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„Da habe ich erstmal Instagram für 48 Stunden von meinem Handy gelöscht“

Wiebke Winter von der CDU war Teil von Armin Laschets Zukunftsteam. Fabian Funke von der SPD ist einer der neuen Jungen.
Fotos: Gottfried Schwarz / Privat

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Die Bundestagswahl hat das Parlament verjüngt. Knapp 30 Prozent der Abgeordneten sind 40 Jahre oder jünger – im 2017 gewählten Bundestag waren es gerade mal 15 Prozent. Fabian Funke von der SPD ist einer der neuen Jungen. Dabei hatte er mit einem Einzug ins Parlament lang selbst kaum gerechnet. Eine andere junge Kandidatin, Wiebke Winter von der CDU, war Teil von Armin Laschets Zukunftsteam – doch weil ihre Partei bei der Wahl so schlecht abschnitt, hat sie es trotzdem nicht in den Bundestag geschafft. Hier erzählen beide davon, wie es ist, entgegen der eigenen Erwartungen zu gewinnen oder zu verlieren.

Wiebke Winter, 25, ist für die CDU in Bremen angetreten und hat den Einzug in den Bundestag verpasst

Die ersten Tage nach der Wahl ging es mir nicht gut. Aber wäre es nicht so gewesen, dann hätte ich es wohl auch nicht ernst gemeint. Wären die Umfragen so geblieben, wie sie im Frühjahr waren, hätte ich das Direktmandat in Bremen gewinnen können. Aber so hatte ich keine Chance. Ich habe es zwar geahnt – aber begriffen habe ich es erst, als es feststand: Es wird diesmal nichts wird mit dem Einzug in den Bundestag. Am Dienstag habe ich dann erstmal für 48 Stunden Instagram von meinem Handy gelöscht. Es fühlte sich seltsam an, die vielen Storys zu sehen, in denen befreundete Politikerinnen und Politiker sich freuten, wie sie nach Berlin fahren, weil sie jetzt im Bundestag sind. 

Aber ich habe mich auch gefreut für sie. Zum Beispiel für Catarina dos Santos, mit der ich privat befreundet bin und die nun für die CDU im Bundestag sitzt. Als wir uns ein paar Tage später getroffen haben, haben wir gemeinsam gefeiert, dass sie in den Deutschen Bundestag eingezogen ist, jetzt einen Bundestagsausweis hat, eine eigene Mailadresse und eine Bahncard 100, die jeder Abgeordnete bekommt. Sie gehört jetzt dazu. Das freut mich sehr für sie.

Kurz nach der Wahl bin ich krank geworden, wahrscheinlich, weil der Stress von mir abgefallen ist. Ich lag im Bett, habe viel gelesen, nichts Unpolitisches, sondern die neue Angela-Merkel-Biografie von Ralph Bollmann. Als ich dann zwei Tage später mit meiner Schwester durch die Innenstadt von Bremen spazieren ging, fiel mir auf, wie viele Leute dort tagsüber in den Cafés saßen. Ich dachte mir: Wie krass ist das bitte – Eigentlich hat man doch so viel Zeit. Da sagte meine Schwester: „Du hast jetzt auch wieder Zeit, Wiebke.“ Und zumindest in dieser Woche nach der Wahl habe ich mir Zeit für Dinge genommen, die ich lange aufgeschoben habe. Ich bin zu Ikea gefahren, habe Kopfkissen und Gardinen gekauft, ein „Malen nach Zahlen“-Buch vollgemalt. Am liebsten hätte ich meinem Team gleich wieder dabei geholfen, die Wahlkampf-Plakate abzuhängen. Aber die sagten nur: „Wiebke, chill erstmal.“

Im Wahlkampf habe ich an den meisten Tagen 16, manchmal 18 Stunden gearbeitet. Ich habe in dieser Zeit so viel gelernt über meine Heimat Bremen, so viele Unternehmen und Menschen besucht. Und gelernt habe ich auch vieles über mich: Vor Entscheidungen habe ich oft lange gegrübelt. Nun entscheide ich mich deutlich schneller.

Als Armin Laschet mich wenige Wochen vor der Wahl für das Thema Klimapolitik in sein Zukunftsteam berufen hat, wusste ich, dass das eine massive Öffentlichkeit bedeuten würde. Ich konnte an diesem Tag nichts essen, was eigentlich nicht meine Art ist. Aber ich habe einfach nichts runter bekommen.  Ich wurde zu Markus Lanz eingeladen und habe mir Fragen gestellt wie: Was passiert eigentlich, wenn man sich in einer Talkshow vor Aufregung übergeben muss?

Junge Politiker müssen künftig weiter vorne auf den Listen stehen. Wir dürfen nicht nur warten, wir müssen auch kämpfen und aufstehen. Beeindruckend fand ich, dass Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Altmaier ihr Mandat abgegeben haben und Platz machen für eine jüngere Generation von CDU-Abgeordneten, zum Beispiel für die 38-jährige Nadine Schön, die nun nachrückt. Ich sitze jetzt zwar nicht im Bundestag. Aber ich kann immer noch Politik machen und etwas bewirken, ich bin im Parteivorstand, vor zwei Wochen durfte ich den Tagesthemen ein Interview geben. Nur mache ich jetzt eben keine Politik als bezahlte Abgeordnete, sondern ehrenamtlich und neben meinem Zweiten Staatsexamen. Eines Tages im Bundestag zu sitzen, bleibt weiterhin mein Traum.   

Fabian Funke, 24, ist für den Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge angetreten und für die SPD in den Bundestag eingezogen

Ich stand auf Listenplatz sieben, also nicht sehr weit vorne. Die SPD lag in Sachsen lange unter dem Bundesschnitt, und gerade in meinem Wahlkreis, wo die CDU und AfD um Platz eins kämpfen, ist die SPD noch einmal schwächer. Aber am Montag nach der Wahl, als das Ergebnis final feststand, wurde mir klar: Die SPD hat knapp acht Prozent zugelegt. Also hab ich’s geschafft. Das fühlte sich unwirklich an. Wäre die Wahl ein halbes Jahr früher gewesen, hätte ich wohl kaum eine Chance gehabt. 

Nach dem Wahlkampf war ich geschafft. Aber als ich morgens aufgestanden bin und mir klar wurde: Ich sitze im Bundestag – da war die Müdigkeit wieder weg. Ich hatte aber nichts geplant. Vor der Wahl habe ich keine Wohnung in Berlin gesucht, keinen Umzug organisiert. Und kurz vor der Wahl hatte ich noch ein Punktspiel mit meinem Handballverein. Es hätte sich albern angefühlt, Vorkehrungen zu treffen. Genauso gut hätte es auch nicht klappen können. Ich wäre dann normal ins dritte Semester gekommen und hätte weiter an der TU Dresden Internationale Beziehungen studiert. Nun wird das Studium erstmal kürzer kommen. Wichtig ist mir aber, dass die Leute verstehen: Ich bin zwar recht jung, aber nicht nur Student. Ich habe auch schon einen Abschluss. Vor zwei Jahren habe ich meinen Bachelor erfolgreich zu Ende gebracht.

Die Zeit des Wahlkampfs war kraftraubend. Noch nie hatte ich so eine große Termin-Last wie in den Wochen vor der Wahl. Es gab Wochen, da hatte ich an jedem Abend eine andere Podiumsdiskussion. Das schafft einen, wenn man an jedem Abend gut sein will. Sechs Stunden Schlaf waren in dieser Zeit Normalität. Aber man wächst da rein. Mein Alltag war der Wahlkampf, und nicht viel mehr. Nur das Handballspielen wollte ich mir nicht nehmen lassen. Meistens habe ich es immerhin einmal pro Woche zum Training geschafft. Es tut gut, auch mal mit Leuten zusammen zu sein, die nichts mit Politik zu tun haben und mit denen man einfach Sport machen kann.

Es gibt Leute, die haben Probleme damit, dass da jemand in so einem jungen Alter für den Bundestag kandidiert. Und natürlich gibt es mal den einen oder anderen blöden Spruch. Doch die positiven Ereignisse haben überwogen. An den Wahlkampf-Ständen und beim Haustürwahlkampf wurde ich kein einziges Mal angefeindet. Was leider nicht selbstverständlich ist, wenn man Geschichten anderer Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer hört. Doch die meisten Leute, mit denen ich gesprochen habe, waren der Ansicht: Es braucht frischen Wind in der Politik, und dafür braucht es eben auch junge Leute.

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