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Wie Zeit zum Luxus von heute wurde

Illustration: FDE

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Ist man offiziell erwachsen, wenn die ersten Kontogebühren fällig sind? Was haben Heels mit der Wirtschaftslage zu tun?  Warum gehört der so genannten Gen Z nichts mehr? In ihrer Kolumne „Cash, Card oder Krise“ geht Lilian Schmitt den großen Finanzfragen ihrer Generation nach. In der finalen Folge 6: Die neue Freizeitelite.

Ich wollte eigentlich mit einer Freundin das Konzert der spanischen Sängerin Rosalía besuchen. Wir klickten uns vergangene Woche durch die Online-Warteschlange und als wir nach einigen Minuten endlich dran waren, war sofort klar: Wir werden nicht hingehen. Das günstigste Ticket, das noch für Köln übrig war, lag bei 160 Euro.

Ich gehe wirklich gerne auf Konzerte, aber für mich ist dieser Preis Luxus. In meinen Social-Media-Feeds sieht das anders aus. Da sehe ich viele Menschen, die im selben Jahr mehrere solcher Shows mitnehmen: Kendrick Lamar, Raye, Rosalía, Coldplay. Sie filmen kurze Snippets, posten sie und zeigen damit, dass sie dort waren. 

Solche Konzerte sind zum Statussymbol geworden. Damit zeigen Menschen, wie gut es ihnen geht: finanziell und sozial. Früher ging es darum, was Menschen besitzen, zum Beispiel teure Autos, Uhren, Markenkleidung. Heute haben sich Statussymbole verändert. Es geht nun mehr darum, wie viel Freizeit man hat. Und was sie sich leisten können, um ihre Freizeit zu verbringen. Zeit zu haben, das ist der neue Luxus. Das zeigt auch ein Bericht der Unternehmensberatung Bain and Company und dem italienischen Luxusverband Altagamma: Erlebnisse wie Fine Dining, Reisen, Übernachtungen in Hotels überholen klassische Luxusgüter in Form von Objekten.

Was früher der Mercedes vor der Haustür war, ist heute die dreiwöchige Reise nach Südafrika jeden Januar oder das Wellness-Wochenende in Tirol mit Sauna, Fünf-Gänge-Menü und Panoramafenster. 

Doch nicht nur Urlaube zeigen, wie viel Zeit und Geld man hat, sondern auch, wie der eigene Alltag aussieht. Joggen gehen? Eine Gym-Mitgliedschaft für 19 Euro im Monat? Die meisten Menschen in meinen Social-Media-Feeds gehen anderen Sportarten nach. Zum Beispiel Reformer-Pilates. Ich bin selbst dem Hype verfallen und gehe gerne zu den Kursen. Aber eine 50-minütige Session kostet zwischen 20 und 30 Euro. Für viele ist das finanziell eigentlich nicht mal eben drin. Aber der Hype ist groß und wer nicht Tage im Voraus bucht, bekommt überhaupt keinen Platz. Vor zwei Jahren gab es in meiner Stadt noch kein Studio. Mittlerweile sind es sechs und es eröffnet immer wieder ein neues. 

Durch den hohen Preis hat sich die Sportart zu einer Art stillem Club entwickelt: Wer dort trainiert, gehört irgendwie dazu. Insgesamt ist schon die Anwesenheit bei einer solchen Pilates-Stunde teuer genug, um ein kleines Statement zu sein. In der Wirtschaftsforschung ist dieses Phänomen als Veblen-Effekt bekannt, benannt nach dem amerikanischen Ökonomen Thorstein Veblen. Er beschrieb das Ende des 19. Jahrhunderts wie folgt: Manche Dinge sind deshalb begehrt, weil sie teuer sind. Nicht trotz des Preises, sondern gerade deswegen

Diese Person ist nicht abgehetzt, sondern führt ein Leben, das sie strahlen lässt

Jede Epoche, jede Kultur hat ihre eigenen Statussymbole. Während einiger chinesischen Dynastien galt Gelb als die kaiserliche Farbe. Im antiken Rom war Purpur zu tragen den Mächtigen vorbehalten. Im mittelalterlichen Frankreich trugen Wohlhabende unpraktisch lange, spitze Schuhe, um zu zeigen, dass sie keine körperliche Arbeit leisten. Und als die Röntgentechnik neu war, ließen sich reiche Menschen ihre Hände durchleuchten und hängten die Bilder ins Wohnzimmer. 

Heute zeigen viele Menschen eben über Gesichtsbehandlungen, Konzertbesuche oder Vormittage in Fitnesskursen, dass es ihnen – auch finanziell – gut geht. Ein Blick genügt, um zu sehen: Diese Person ist nicht abgehetzt, sondern führt ein Leben, das sie strahlen lässt. Hat Zeit, Ruhe, Selbstbestimmung und Privatsphäre. Sie braucht keine großen Labels an ihrer Kleidung, um das zur Schau zu stellen (trägt aber vermutlich dennoch einen schlichten hochwertigen Kaschmirpullover).

Auf diese Art zeigen Menschen sogar im doppelten Sinn, dass sie Geld haben. Denn früher musste man für den Mercedes vor der Tür zwar viel arbeiten, allerdings hat er einem keine Zeit gestohlen. Und man konnte eine Stunde nach dem Kauf wieder Geld verdienen, wenn man wollte. Wer heute jede Woche viele Stunden mit Hobbys oder Selfcare-Aktivitäten verbringt oder viele teure Trips macht, muss nicht nur davor das nötige Geld verdienen. Sondern kann es sich leisten, auch währenddessen kein Geld zu verdienen – oder sein Geld für sich arbeiten zu lassen. 

Die Workaholic-Mentalität ist out, es bildet sich eine Freizeit-Elite. Menschen wollen jetzt mühelos wirken, sich erlauben, Zeit zu verschwenden: Lange Mittagessen, Treffen ohne Zeitdruck und Arbeit, die sich ihrem Leben anpasst und nicht umgekehrt. Ich merke das sogar an mir selbst. Ein langsames Frühstück fühlt sich inzwischen wie ein kleiner Luxus an, den ich mir bewusst erlaube. Oder der Pilates-Kurs dienstags um 11 Uhr. In manchen solcher Studios gehört sogar ein Café zum Konzept. Das Statussymbol unserer Zeit ist dieser Vibe von „Ich habe Zeit“.

Wer es sich leisten kann, Zeit zu haben, kann sich auch mehr Schlaf gönnen 

Diese Art von Luxus geht nachts weiter. Denn wer es sich leisten kann, Zeit zu haben, kann sich auch mehr und besseren Schlaf gönnen. Acht Stunden pro Nacht, kein Dauerkoffein, freie Vormittage. Für mich ist das der Inbegriff von Luxus: So viel Geld zu haben, dass man nicht in drei verschiedenen Jobs arbeiten muss, sondern sein Geld auch wirklich genießen kann. Und diese Zeit für Freizeit (und für Gesichtsbehandlungen) sieht man, wie ich finde, Menschen wortwörtlich im Gesicht an.

 

Wirklich weg von Objekten geht diese Entwicklung übrigens aber auch nicht. Denn idealerweise trägt man beim Pilates ein Sport-Outfit der Marke Lululemon, von der eine herkömmliche Leggins 118 Euro kostet. Und obwohl ich schon genug Sportkleidung besitze, ertappe mich bei dem Wunsch, auch gern eine Lululemon-Leggins zu tragen. Obwohl das Label übrigens nur ganz klein und dezent am Bund der Leggins aufgedruckt ist, anders als früher Markennamen möglichst groß auf Taschen oder Kleidungsstücken aufgedruckt waren. 

 

Heute ist Quiet Luxury angesagt: Wer sich auskennt, weiß Bescheid. Das Beispiel lässt sich auch gut auf andere Hobbys wie Rennradfahren übertragen. Es geht dabei nicht nur ums Rad, sondern um die komplette Ausrüstung: Schuhe, Helm, Brille, Kleidung. Das kann schnell teuer werden. Aber dieses Set-up signalisiert Zugehörigkeit, ohne zwingend laut zu sein. Es macht die Hürden größer, mit dem Hobby einzusteigen, den Club exklusiver.

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