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„Es muss einfach Tage geben, an denen ich nüchtern bin“

Foto: mashiki / photocase.de; Bearbeitung jetzt

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Zum Kiffen hat so ziemlich jede*r eine Meinung. In der öffentlichen Debatte darüber kommen die Konsument*innen aber am wenigsten zu Wort. Das sind in Deutschland rund 3,7 Millionen Menschen – und längst nicht alle kiffen aus medizinischen Gründen. Die Studentin Mia kifft seit sieben Jahren. Hier erzählt sie von ihrem Alltag mit Cannabis. 

„Zeichnen war schon im Kindergarten das, was mir am meisten Spaß machte und das, was ich am besten konnte. Ich traute mich nach dem Abi aber nicht, nur freie Kunst zu studieren, das war mir irgendwie zu krass. Ich hatte viel zu viel Angst, dass ich nie im Leben einen Cent verdiene, wenn ich eine freie Künstlerin werde. Deshalb habe ich angefangen, die Fächer Kunst und Philosophie auf Lehramt zu studieren. 

An der Kunstuni fühlte ich mich sofort wohl. Ich war in der Schule nie gut gewesen, weil mich die meisten Fächer einfach nicht interessiert hatten – aber hier konnte ich das tun, worin ich gut war. Außerdem merkte ich, wie akzeptiert Gras in diesem neuen Umfeld war. Jeder kiffte. Wir haben manchmal Partys in unseren Ateliers. Einmal rauchte ich mit Freunden tanzend einen Joint direkt vor dem DJ, da tippte mir jemand auf die Schulter. Mein Professor für Bildhauerei wollte mal ziehen. Einer meiner Dozenten kauft bei einem Kommilitonen von mir sogar immer seine Drogen. Ich musste mich an der Kunstuni noch nie für das verstecken, was ich bin, beziehungsweise für das, was ich mir reinziehe. 

Mein Studium hat meinen Bezug zu Gras verändert, weil ich gemerkt habe, dass auch Leute kiffen, deren Arbeit ich bewundere. Das hat mich selbstbewusster gemacht, seitdem stehe ich auch mehr zu meinem Konsum und habe – glaube ich zumindest – ein selbstreflektierteres Bild davon. 

Für mich ist das Problem mit der Kunst immer, dass ich nur gut arbeiten kann, wenn ich gerade eine kreative Phase habe. Wenn die ausbleibt, bringe ich nichts zustande. Ich kann sie aber mit Gras super gut künstlich erzeugen, zumindest teilweise: Wenn ich high überlege, wie ich eine bestimmte Stimmung zu Papier bringe, dann wird das nichts. Ich fange dann gar nicht erst an zu zeichnen und verliere mich nur in Einzelheiten, weil ich bekifft viel zu detailverliebt bin. Aber wenn ich dann an einem Gemälde arbeite, dann ist es genau diese Detailverliebtheit, die mir hilft. Ich male jeden Strich bewusster, konzentrierter und genauer und bin mir selbst gegenüber viel kritischer.

„Irgendwann habe ich das aber gerafft und eine Hausarbeit nüchtern geschrieben“

Bei meinem Philosophie-Studium ist es genau andersrum. Ich kann keinen Philosophie-Text lesen, wenn ich bekifft bin. Ich schweife dann ab und kann die Wörter gar nicht richtig aufnehmen. Das musste ich am Anfang des Studiums auf die harte Tour lernen. Ich las und las und konnte mir das Zeug einfach nicht merken. Dementsprechend schlecht waren auch meine Hausarbeiten in Philosophie. Ich verstand einfach oft nicht, worum es in den Texten von Platon, und wie die alle heißen, ging. Für jemand Außenstehendes klingt das jetzt dumm, natürlich erscheint es euch logisch, dass das am Gras lag. Aber wenn du ständig bekifft bist, fällt dir das nicht auf. Irgendwann habe ich das aber gerafft und eine Hausarbeit nüchtern geschrieben, die war dann richtig gut. Es fällt mir zwar schwer, aber seitdem ich das kapiert habe, kiffe ich an den Tagen nicht mehr, an denen ich etwas für das Philosophie-Studium lernen muss. 

Natürlich ist Gras für ein Studium generell eher scheiße. Ich tue mir eh schon schwer mit alltäglichen Dingen wie Planung oder Organisation, weil ich einfach ein verpeilter Mensch bin. Aber ein Universitätsstudium muss man nun mal organisieren. Ständig bekifft zu sein, hilft da nicht. Da habe ich noch weniger Bock, meine Klausuren anzumelden oder meinen Tutoren zurückzuschreiben. Ein E-Mail-Passwort zu ändern, kann sich so anstrengend anfühlen, wie einen Marathon zu laufen, wenn man high ist.

„Wenn ich zu high bin, dann male ich kein schönes Bild“

Dass ich als kiffende Kunst- und Philosophiestudentin ein wandelndes Klischee bin, ist mir natürlich bewusst. Aber das interessiert mich nicht, ich habe im Studium viele Freunde gefunden. Das sind keine stumpfen Kiffer, sondern Leute, die mit dieser Droge auch ein bisschen umzugehen wissen. Die setzen Gras für ihre Kreativität ein und nicht nur, um irgendwelche negativen Gefühle zu unterdrücken. 

Am Anfang des Studiums habe ich noch viel zu viel tagsüber geraucht und deshalb den ganzen Orgakram nicht gebacken bekommen. Ich wäre zum Beispiel fast exmatrikuliert worden, weil ich irgendwelche Prüfungsvorleistungen nicht vorlegen konnte. Ich habe gemerkt: Es muss einfach Tage geben, an denen ich nüchtern bin, sonst wird das mit dem Studium nichts, denn in der Dosis liegt das Gift. Bei allem kreativen Potential, das Gras mir persönlich bietet: Wenn ich zu high bin, dann male ich kein schönes Bild und denke mir keine tiefsinnige Performance aus. Dann will ich einfach nur im Bett liegen, eine Tiefkühlpizza essen und Netflix schauen.“

Mia heißt nicht wirklich Mia, möchte aber  ihren richtigen Namen nicht im Internet lesen. Ihr wahrer Name ist der Redaktion bekannt. Für diese Kolumne treffen wir sie regelmäßig und sprechen mit ihr über ihr Leben als Kifferin.

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