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„Ich hatte noch nie nüchtern Sex“

Foto: Christian Gode / Photocase Bearbeitung: jetzt

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Zum Kiffen hat so ziemlich jede*r eine Meinung. In der öffentlichen Debatte darüber kommen die Konsument*innen aber am wenigsten zu Wort. Das sind in Deutschland rund 3,7 Millionen Menschen – und längst nicht alle kiffen aus medizinischen Gründen. Die Studentin Mia kifft seit sieben Jahren. Hier erzählt sie von ihrem Alltag mit Cannabis. 

Mein Coming-Out als Lesbe verlief ziemlich problemlos. Zum einen akzeptierte mich der Großteil meines Umfeldes so wie ich bin, zum anderen half mir dabei mein Konsum. Wann immer doch ein dummer Spruch kam, war mir das tatsächlich egal, weil einem ja bekifft irgendwie alles egal ist. Ich machte durchs Kiffen mein eigenes Ding und das daraus gezogene Selbstbewusstsein war wahres Gold in meiner Outingphase. Ich bin mir sicher, dass ich mich das nicht so früh getraut hätte, wenn ich nicht ständig high gewesen wäre.

Ich war 17, als ich mich das erste Mal als lesbisch outete. Schon mit 15 hatte ich mich vor meinen Freundinnen als bisexuell bezeichnet. Aber nach ein paar ernüchternden Rummach-Versuchen mit Jungs war mir klar, dass das mit den Männern nichts für mich ist. Ich war in dieser Zeit sehr viel mit einem Mädchen unterwegs. Wir waren Freundinnen, trafen uns fast jeden Tag und kifften uns die Birne weg. Irgendwann merkte ich, dass ich sie mehr als nur „cool“ fand, ich wollte mit ihr schlafen und ich wollte mit ihr zusammen sein.

Das Blöde: Sie war hetero, bald hatte sie einen Freund. Ich hoffte aber immer, dass vielleicht doch irgendwann etwas passieren könnte und hing deshalb weiter mit ihr ab. Ich habe also nach meinem Outing nicht angefangen, endlich Frauen zu daten, sondern mich mit einem heterosexuellen Mädchen fast täglich zugekifft.

Bei meinem Outing half mir Gras also, meinem Sexleben aber hat es eher geschadet. Bekifft fokussiere ich mich nämlich oft viel zu sehr auf einzelne Dinge und verliere das große Ganze aus dem Blickfeld. Das kann beim Sex ziemlich scheiße sein, zum Beispiel, wenn man Komplexe hat. Ich fand früher meinen Körper nicht schön, ich hatte Angst, mich vor jemandem auszuziehen. Durch Alkohol kann man sowas ganz gut wegtrinken, durch Gras denkst man nur noch mehr drüber nach, warum man seinen Hintern nicht schön findet. Ich traute mich deshalb sehr lange nicht, irgendwelche Frauen zu daten, ich hing lieber mit meinen Freunden rum und kiffte.

Als ich 18 Jahre alt war, hatte ich also immer noch keinerlei sexuelle Erfahrung. Denn sexuell gleichgesinnte Frauen zu finden, ist oft gar nicht so einfach. Deshalb habe ich angefangen mit Tinder. Auch das hat eher so semi-gut funktioniert. Ich bin meistens ultra nervös zu den Dates gefahren, hab daher noch schnell einen gekifft und saß dann völlig high mit irgendeinem Mädel in einem Café. Einmal traf ich dort ein Tinder-Date, das sehr süß war. Ich fand sie gut, aber ich konnte kaum dem folgen, was sie erzählte. Ich musste ständig nachfragen und vergaß Dinge, die sie erst vor ein paar Minuten gesagt hatte, ich konnte also null auf sie eingehen. Dass da dann am Ende kein Sex bei rum kam, wird jetzt wohl niemanden wundern.

„Wenn man im Bett schon ein eingespieltes Team ist, kann das bekifft sehr schön sein“

Irgendwann, auch wenn ich weiterhin nur bekifft zu Dates ging, bin ich dann doch mit einem Mädchen im Bett gelandet. Ihr machte es nichts aus, dass ich davor noch einen rauchte, sie war empathisch, einfühlsam und ließ sich Zeit mit mir. Ich lernte direkt beim ersten Mal, dass Kiffen bei mir wahnsinnig viele Dinge einschränkt, die beim Sex wichtig sind: Die eigene Wahrnehmung ist komplett verändert, ich bin bekifft viel empfindlicher als sonst. Wenn ein Mädchen im Bett zum Beispiel sagt: „Hey, ich mag das nicht“, dann mach ich mir da solche Gedanken drum, dass ich sofort unsicher werde und am liebsten abhauen will. Es ist bekifft schwerer, den ersten Schritt zu machen, weil man die ganze Zeit eigentlich eher einschlafen als mit jemand schlafen will. Zuhören kann ich high auch nicht richtig, weil ich direkt vergesse, was die andere Person gesagt hat. 

An alle, die dazu jetzt sagen: „Gras wirkt doch voll stimulierend, das macht den Sex doch nur schöner!“: Ja, das stimmt. Wenn man im Bett schon ein eingespieltes Team ist, dann kann das bekifft sehr schön sein. Ich zum Beispiel fühle dabei intensiver und lasse mir mehr Zeit. Aber all diese schönen Dinge entwickeln sich erst. Um die positiven Dinge an bekifftem Sex zu schätzen, muss ich Vertrauen zu der Person aufbauen, mit der ich im Bett bin. Wenn ich das erste Mal mit jemand schlafe, dann ist bekifft sein der Horror. Ihr könnt euch bestimmt daran erinnern, wie eure jeweils ersten sexuellen Erlebnisse mit einer bestimmten Person waren. Ihr wart sicher ziemlich aufgeregt. Jetzt stellt euch mal vor, ihr hättet gegen die Aufregung gekifft und dann beim Vorspiel gemerkt, dass ihr viel zu stoned seid, um euch bewegen zu können. 

Ich kann nicht sagen, ob ich Sex mit oder ohne Gras besser finde. Bis heute hatte ich nämlich noch nie nüchtern Sex. Ich war entweder zugekifft oder betrunken. Mir ist das nicht peinlich, ich hatte noch nie eine Beziehung und da macht man vor dem Sex eben etwas, um sich aufzulockern. Bei One-Night-Stands sind wohl die allermeisten Menschen nicht ganz nüchtern, oder? Natürlich will ich irgendwann auch mal nüchtern mit einer Frau schlafen, ich kann mir gut vorstellen, dass mir da was entgeht. Weil ich das aber nach 22 Jahren noch nicht hatte, will ich, dass das was besonderes wird. Und eine Person, mit der ich nüchtern schlafen will, habe ich noch nicht kennen gelernt.

Mia heißt nicht wirklich Mia, möchte aber  ihren richtigen Namen nicht im Internet lesen. Ihr wahrer Name ist der Redaktion bekannt. Für diese Kolumne treffen wir sie regelmäßig und sprechen mit ihr über ihr Leben als Kifferin.

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