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Was wir uns bei unseren peinlichsten Online-Namen gedacht haben

Illustration: FDE

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Es gab da diesen Moment im Leben jedes Millennials, irgendwo zwischen elf und sechzehn, in dem die verzweifelte Identitätssuche des pubertierenden Teenagers mit der persönlichen Entdeckung des Internets zusammenfiel. Es erschien uns als eine riesige Spielwiese, ein Raum zur freien Persönlichkeitsentfaltung: ICQ! SchülerVZ! MySpace! Hier gab es endlich die Möglichkeit, allen sein wahres Ich zu zeigen, das unter dem pickligen, unsicheren Äußeren schlummerte – aufregend, cute, heroisch, hochintelligent, tiefgründig und superhot.

Und all das musste sich in dem wichtigsten Element der Online-Identität konzentrieren: dem Usernamen. Die jetzt-Redaktion hat den schmerzhaften Blick zurück gewagt und beichtet erste Emailadressen, Gamer-Pseudonyme und Social-Media-Namen.

„Poemknuffflbaer“ – die drei „F“ und das „Baer“ waren eine Notlösung

Es waren dunkle Zeiten damals. Zum einen für meine Rechtschreibung. Denn wer an meiner Schule cool sein wollte, durfte unter keinen Umständen Wörter ganz normal und unkreativ schreiben. Stattdessen wurde der Buchstabe „s“ eigentlich immer mit „z“ oder „$“ ausgetauscht, jede SMS mit „Hdggggdbzmuwzl“ unterschrieben, überall mischten sich englische Begriffe unter.

Zum anderen wirkte sich das auch auf meinen Internetauftritt aus: Denn ich lebte diese Kreativität auch dann aus, als ich mir die ersten Profile im Netz anlegte. Der vermutlich schlimmste Name, der dabei enstand: Poemknuffflbaer. Er stammte daher, dass ich Gedichte schrieb und mein Lieblingswort zu diesem Zeitpunkt (allein dafür schäme ich mich) „knuffig“ war. Der Name „Poem-Knuffel“ lag also plötzlich nahe, besonders als Mädchen, das zuvor noch nie etwas von der Emanzipation der Frau gehört hatte und daran glaubte, hauptsächlich süß sein zu müssen. Die drei „F“ und das „Baer“ waren übrigens eine Notlösung: Poemknuffel und Poemknufflbaer waren nämlich schon vergeben.

Stv. Redaktionsleiterin Lara Thiede (damals 13 Jahre alt)

„DonRaphaele“ – ein Handle, das bleibt

Ich war jung, unerfahren, „Der Pate“ war der coolste Film, den ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Wie Marlon Brando mit hochgeschobenem Kinn und seiner bedrohlich ruhigen Art Anweisungen hauchte: der absolute Waaaaaahnsinn. Zue gleichen Zeit kaufte ich mir die Playstation 3 und musste mir einen Online-Benutzernamen aussuchen. Cool sollte er sein, verwegen, ja, vielleicht sogar ein kleines bisschen furchteinflößend. Sobald ich die Lobby von irgendeinem Ballerspiel betreten würde, sollten die anderen denken: „Hm, dem Typen geh ich besser aus dem Weg.“ Ich musste nicht lange überlegen und tippte das Coolste und Furchteinflößendste, was man aus meinem Namen machen konnte, ein. Die gewünschte Reaktion der anderen darauf (Angst!) ist – für mich bis heute vollkommen unverständlich – nie eingetreten. Weil es nicht allzu einfach ist, den Playstation-Namen zu ändern, trage ich das Handle bis heute mit mir rum. Zu meinem Trost ist mir in den vielen Jahren aber auch bei anderen Menschen noch kein einziger cooler Benutzername untergekommen.

Autor Raphael Weiss (damals 16 Jahre alt)

Chane – In der Schule rief man mich auf einmal „Tscheiny“

Ich heiße mit vollem Namen Charlotte Annemarie Erdmuthe, nach meinen Omas. Mit 13 fand ich das nicht so schick, insbesondere, da meine Eltern mich mit allen drei Namen auch in der Schule angemeldet hatten. Wurde dann „Charlotte Annemarie… ERDMUTHE??” aufgerufen, war ich immer äußerst peinlich berührt. Vermutlich hatte ich damals in irgendeinem Kalender den Spruch „Es ist nicht, was du hast, sondern wie du es trägst“ gelesen und versuchte, die Deutungshoheit über meinen peinlichen Namen zu gewinnen, indem ich nur noch das Akronym „Chane“ bei allen Online-Aktivitäten verwendete. Kurze Zeit funktionierte das und auch in der Schule rief man mich auf einmal „Tscheiny“, was ich ziemlich cool fand. Bis dann meine ICQ-Dates fragten, was dieser Name heißen sollte und ich irgendwann dann doch wieder mit Erdmuthe um die Ecke kommen musste. 

Redaktionsleiterin Charlotte Haunhorst (damals 13 Jahre alt)

„Kolja.lebt@web.de“ – es sollte ein selbstglorifizierendes Statement sein

Ich wollte mit meiner ersten Emailadresse einen Hit landen, alle aufhorchen lassen. Es sollte ein gleichzeitig cleveres als auch selbstglorifizierendes Statement sein. Mit kolja.lebt@web.de wollte ich auf die Verschwörungstheorie „Elvis lebt“ anspielen. Damals hielt ich die Kenntnis von  Verschwörungstheorien sowieso für den Inbegriff von Kultiviertheit, Coolness, Erwachsensein. Ich hätte keinen einzigen Song von Elvis nennen können, wusste aber, dass er der „King“ war – etwas, das zu sein ungefähr jeder 12-jährige Junge als seine Bestimmung empfindet. Im Nachhinein wirkt die Adresse ziemlich deppert und verzweifelt, weil sie irgendwie auch impliziert, dass man mich im Allgemeinen für tot hielt und ich mit diesem Missverständnis aufräumen müsse.

Autor Kolja Haaf (damals zwölf Jahre alt)

„Linafunkelperlentraum@gmail.com“ – Ich wollte, dass der Titel für den Inhalt spricht

Ich hab mir die E-Mail mit ungefähr dreizehn angelegt, um meinen ersten Tumblr einzurichten. Der hieß auch genauso. Ich wollte, dass der Titel für den Inhalt spricht: schöne Fotos von Lichterketten, „Tintenherz“-Zitate und Stills der besten Kuss-Szenen meiner Lieblingsfilme. Linafunkelperlentraum war ein gelebtes Klischee, das Teenie-Mädchen schlechthin. Super viele Follower*innen hatte ich leider nie. Also wurde der Traum begraben. Doch die Saga ging weiter mit

„Aschenputtelfluch@googlemail.com“

Einige Zeit war vergangen, seit dem Breakup von mir und meinem Funkelperlentraum. Ich war jetzt fünfzehn, so sehr und wenig unzufrieden mit der Welt, wie man das mit fünfzehn nun eben ist und bereit für eine zweite Tumblr-Karriere. Ich wusste, dass ich es diesmal stringenter aufziehen musste. Aschenputtelfluch – mega der Name! Inspiriert von einem Jugendbuch, identifizierte ich mich damit. Ich, das arme Aschenputtel, und die Welt, die mich absolut unfair behandelte. Dem setzte ich eine Menge deprimierender Zitate von Dillon und Bilder schick eingerichteter Camper-Vans entgegen. War auch nicht so erfolgreich. Aber es ist doch schön, durch solche Blogs in die Vergangenheit zu schauen. Das Poesiealbum der Millennials. 

Autorin Lina Wölfel, damals 13 und dann 15 Jahre alt

„TheFancyFranzy“ – Nein, ich bin nicht sonderbar, ich bin fancy!

Mein Instagram-Name „TheFancyFranzy“ ist wohl eines der wenigen Dinge, die mir schon als Teenagerin null peinlich waren – obwohl es ja Gründe dafür gäbe: Es ist weder originell, noch bescheiden, vor seinen Vornamen ein englisches Adjektiv zu setzen, das übersetzt „ausgefallen“ , „schick“ oder „extravagant“ bedeutet (kann nicht garantieren, das damals so genau gewusst zu haben). Und dann ausgerechnet noch eines, das sich auf den eigenen Vornamen reimt und phonetisch ähnlich ist.

Trotzdem verwehre ich mich in diesem Fall dem Gefühl der Peinlichkeit. Zum einen, weil meine Freund*innen mich in der Schulzeit „Fancy Franzy“ genannt haben (je nach Situation auch „Franzy Dancy“). Zum anderen, weil es eine wichtiger Move weg von all dem Selbsthass war, den ich in einer bestimmten Phase meiner Pubertät gespürt habe – also mir selbst und anderen zu zeigen: Nein, ich bin nicht sonderbar und keiner Liebe würdig – ich bin fancy! Als ich 2014 Abi gemacht habe, kam dann Iggy Azaleas Song „Fancy“ raus. Ich hab’s gefühlt.

Redakteurin Franziska Setare Koohestani, damals 16

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