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Die Geschichte eines im Holocaust getöteten Mädchens als Instagram-Story

Evas.Stories ist eine Webserie auf Instagram, die nicht nur Geschichte aufarbeitet, sondern durch ihren innovativen Gehalt vielleicht auch Geschichte macht.
Foto: Screenshots Instagram / @eva.stories

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„Hi! My name is Eva“, stellt sich das Mädchen vor. Wir sehen sie mit ihrer Freundin Annie und ihrer kleineren Cousine Martha Eis essen, durch den Park rennen und sich verlieben. Herzsmiley. Doch je mehr Zeit man mit Eva verbringt, desto weniger Smileys gibt es – dafür taucht der Hashtag #lifeduringwar auf: Leben im Krieg. Jetzt marschieren Nazis durch die Straßen, Hakenkreuzflaggen hängen an Häusern, gelbe Sterne an Mänteln, Hunde bellen. Dazwischen sieht man auch historisches Material, etwa Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Adolf Hitlers Reden, die Eva mit „I hate him“ untertitelt.

Die Geschichte eines 13-jährigen Mädchens, das in Auschwitz von den Nationalsozialisten umgebracht wurde, kann man sich jetzt, mehr als 75 Jahre später, als Instagram-Story ansehen. Das Ganze ist natürlich nicht echt – zumindest nicht ganz echt – sondern ein Filmprojekt des israelischen Unternehmers Mati Kochavi und seiner Tochter Maya Kochavi. Mehr als 1,1 Millionen Abonnenten hat der Kanal inzwischen, Millionen Menschen haben die Geschichte angeschaut, auf Twitter und anderen sozialen Medien kommentiert.

Auf dem Account „Eva.Stories“ sind im typischen 15-Sekunden-Format der Instagram-Stories die Entwicklungen im Jahre 1944 in Ungarn zu sehen – hautnah. Inszeniert, als würde Eva es in diesem Moment erleben und mit einem Smartphone aufnehmen. Die Geschichte erzählt das echte Schicksal der jungen Ungarin Éva Heyman nach, die ihre letzten Monate im Jahr 1944 in einem Tagebuch festgehalten hat. Das Tagebuch ist in einer überarbeiteten Fassung auf Deutsch verfügbar: Das rote Fahrrad von Ágnes Zsolt. Évas Geschichte hatte bisher aber nicht die öffentliche Aufmerksamkeit bekommen wie etwa die Tagebücher der Anne Frank. Das hat sich nun geändert.

Ein Projekt gegen das Vergessen

„Die Erinnerung an den Holocaust verschwindet außerhalb Israels“, sagte Kochavi gegenüber der New York Times. „Wir dachten, lass uns etwas machen, das wirklich aufrüttelt. Wir haben das Tagebuch gefunden und sagten, ‚lasst uns annehmen, dass Eva statt Stift und Papier ein Smartphone gehabt und so dokumentiert hätte, was ihr passiert‘. So haben wir ein Smartphone ins Jahr 1944 gebracht.“

Dabei sind 70 Mini-Episoden herausgekommen, knapp fünf Millionen Euro habe das Projekt gekostet. Gefilmt wurde nicht in Ungarn selbst, sondern mit einem Team von 400 Leuten über drei Wochen in der Ukraine. Mehr als 30 Tagebücher habe Kochavi gelesen. Für Evas Geschichte habe er sich entschieden, weil sie selbst gerne Nachrichtenfotografin werden wollte. Und: „Da war etwas sehr Modernes und Vertrautes an ihr.“

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Evas Instagram-Stories sind zu Beginn nicht viel anders als die von heutigen Teenagern.

Foto: Screenshots Instagram / @eva.stories

Modern ist auch die Erzählweise: Dass die Stories auf Instagram sich eignen, um gerade junge Menschen zu erreichen, ist naheliegend. Es ist mehr eine Frage der Umsetzung – so hat sich auch ZDF Info 2018 an einer Erzählung zur Weimarer Republik, also ebenfalls einem geschichtlichen Thema, durch Instagram-Stories im Comic-Style versucht. Eine derart große mediale Aufmerksamkeit wie „Eva.Stories“ konnte der Sender damit aber nicht erreichen.

Es funktioniert – und ist trotzdem umstritten

Das Projekt erfährt in den sozialen Medien viel Lob – wird aber auch kritisiert. Die Frage, inwieweit Kochavis Umgang mit echter Geschichte angemessen sei, wird vor allem in Israel diskutiert. Gerade in Verbindung mit der Selfie-Kultur wird debattiert, ob das Projekt zu oberflächlich und unangemessen ist.

Letztendlich ist das Instagramprojekt aber nichts anderes als ein Film, der sich den 15-sekündigen Schnittregeln der Foto-Plattform unterwirft – und dort ein anderes Publikum erreicht, als das ein klassischer Spielfilm im Vorabendprogramm der Öffentlich-Rechtlichen könnte.

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Bilder der Verzweiflung: Evas Leben ist dunkel geworden.

Foto: Screenshots Instagram / @eva.stories

Auffällig ist dabei die Sogkraft der Mini-Episoden – fängt man einmal an, ist es schwer aufzuhören. Das erreicht Kochavi unter anderem dadurch, dass sich die Machart an die Situation anpasst. Je ernster und gefährlicher eine Situation ist, umso weniger werden Filter, Smileys, Hintergrundmusik hinzugefügt. Klar, dafür hätte man in einer echten Angstsituation auch weder Zeit noch Nerven. Stattdessen: nur wacklige Aufnahmen einer Handykamera.

Das hat einen Effekt, den man so oder so ähnlich schon aus Horrorfilmen kennt: Man sieht nicht immer genau, was passiert und hört Geräusche, die man nicht ganz zuordnen kann – manches passiert sogar außerhalb des Bildschirms. Das gibt dem Geschehen Authentizität, es fühlt sich echt an, real, weniger nach Kostümdrama. Das haben auch viele Internet-User und Userinnen so gesehen und vor allem betont, wie sehr sie die Geschichte berührt habe:

Das Yad Vashem, Israels Holocaust-Gedenkstätte, hat ebenfalls ein Statement herausgegeben, in dem es heißt, dass es „legitim und effektiv“ sei, „soziale Plattformen zu benutzen, um an den Holocaust zu erinnern“.

Evas Instagram-Geschichte endet, als sie in einen Zug einsteigt, der sie wohl in ein Konzentrationslager bringt. Um sie ist es dunkel, ein Mann betet. Die Türen gehen zu und es wird schwarz. Kurz wird es noch einmal hell. Eva und ihre Freundin Annie sitzen nebeneinander an eine Wand gelehnt am Boden: „Werden Menschen sich an uns erinnern?“, fragt Eva Annie und die antwortet: „Ja, Eva, durch dein Tagebuch.“

Die echte Éva wurde am 17. Oktober 1944 in Auschwitz umgebracht. Sie war eines von 1,5 Millionen Kindern, die im Holocaust getötet wurden.

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Zum Abschluß erinnert evas.stories an die echte Èva Heyman.

Foto: Screenshot Instagram / @eva.stories
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