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In dieser Gruppe kannst du dich wie deine Eltern auf Facebook verhalten

Screenshot: Twitter/anna oop-

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Jahrelang war Facebook ein Rückzugsort von Schülern, jungen Erwachsenen und Studenten. Ein Ort, an dem man peinliche Fotos postete, sich öffentlich auf der Pinnwand eines Freundes zum Saufen verabredete oder über Lehrer lästerte. Doch eine Benachrichtigung änderte alles. Man hatte schon von Freunden gehört, dass es ihnen widerfahren war, hatte sich darüber amüsiert. Doch auf einmal traf es einen selbst: die Freundschaftsanfrage eines Elternteils. Annehmen wollte man sie auf keinen Fall, aber ablehnen war auch zu hart.

Da half nur eins: hinauszögern, notdürftig die schlimmsten Fotos beseitigen und schweren Herzens auf „akzeptieren“ drücken. Was man zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte: Die Anfrage war ein trojanisches Pferd, eine perfide Falle, die alles zerstören würde. Denn bei dieser einen Anfrage blieb es nicht. Weil Mama jetzt mit einem befreundet war, konnte man das Papa nicht verwehren. Es folgten Tanten, Onkel und schließlich, als man längst kapituliert hatte, sogar Nachbarn. Mit ihnen kamen eine Flut an unscharfen Blumen-Fotos als Geburtstagsgruß, peinliche Suchanfragen, die eigentlich für Google gedacht waren und ernstgemeinte Antworten auf die Frage von Facebook: Was machst du gerade? 

Es gibt wieder einen Grund, zu Facebook zurückzukehren

Die ältere Generation hat Facebook entdeckt und es innerhalb von kürzester Zeit übernommen. Für junge Leute ist diese Plattform eigentlich nicht mehr zu benutzen. Wohl nur aus Trotz, Nostalgie und weil sich die Finger irgendwie gemerkt haben, ab und an ein „fa“ in die URL-Zeile einzugeben, um einen im Wochenrhythmus in die alte digitale Heimat zu spülen, in den Scherbenhaufen deiner Jugend. 

Doch jetzt gibt es wieder einen Grund, zu Facebook zurückzukehren. Eine Möglichkeit, sich zumindest ein kleines bisschen bei der alten Generation zu rächen. Seit Mitte Mai gibt es die Facebook-Gruppe, in der sich frühere Zielgruppe trifft, um so zu tun, als seien sie 30 Jahre älter: „A group where we all pretend to be boomers“. Millennials wollen hier ihre Plattform zumindest ein Stückchen zurückzuerobern und sich unter geschützten Bedingungen genau so zu verhalten wie die, denen Facebook nun gehört: den Babyboomern.

Sobald man drei Fragen beantwortet hat, die sicherstellen sollen, dass man kein ein Babyboomer ist und den Sinn dieser 234 000 Nutzer starken geschlossenen Gruppe verstanden hat, taucht man ein in eine Welt voller GROßBUCHSTABEN, falsch benutzter Emojis und Rechtschreibfehler.

Der erste Post, ein Kunstwerk mit dem Titel „Dinner with Tom“. Zu sehen: fast nichts. Schemenhaft zu erkennen ist eine Wand, ein Fenster und vielleicht so etwas wie ein Stuhl. Ein Klassiker unter den Baby-Boomer-Posts. Mittlerweile gibt es über 10 000 solcher Beiträge. Posts über verstorbene Gattinnen, garniert mit unangebrachten Freudentränen-Emojis, schlechte Witze mit Minion-Bebilderung und unbeholfenen Verkaufsangeboten.

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Screenshot: Twitter/anna oop-
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Screenshot: Twitter/anna oop-

Doch ist der Grund zur Häme wirklich so berechtigt? Haben wir uns denn damals nicht ähnlich unbeholfen in die Welt der sozialen Netzwerk eingelebt? Als wir Fotos von uns hochluden, in denen wir so betrunken waren, dass wir nicht mehr geradeaus schauen konnten? Den Beziehungsstatus updateten, sobald wir das erste Date hinter uns hatten? Und als wir noch dachten, man müsse den eigenen Namen mit in den Post mit einbauen und jedes noch so unwichtige Detail in die Öffentlichkeit hinausschrieben? „Raphael Weiss isst gerade Pizza.“ Wow. Weltbewegend. Die zwei Likes hatte ich mir verdient.

Und auch jetzt ist unsere Häme vielleicht etwas unangebracht, wenn man sieht, wie wir uns auf Instagram aufführen, wie Hobby-Influencer, jeden noch so banalen Trip zum See zum Fotoshooting werden lassen und auf Twitter pseudo-deepe Gesellschaftskritik in die Welt blasen. Vielleicht ist es Zeit, dass wir unseren Eltern mal Instagram auf dem Handy installieren.

rawe

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