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Jemanden zu lieben bedeutet nicht, ihm treu zu sein

Illustration: Julia Schubert

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Offene Beziehung Verbindlichkeit Cover

Illustration: Julia Schubert

Menschen im Internet sagen einem ziemlich direkt, was Phase ist. Drei Folgen meiner „Wie lebt es sich in einer offenen Beziehung“-Kolumne für jetzt sind nun online, und unter jeder von ihnen finden sich folgende, in reichlichen Variationen vorgetragene Bewertungen: „Die beiden lieben sich doch eh nicht.“ Oder: „In Wirklichkeit sehnen sie sich auch nur nach Treue.“ Oder: „Das ist nie und nimmer eine richtige Beziehung.“

Die Frage, ob es wirklich sein kann, dass zwei Menschen einander lieben, aber eben auch gerne mit anderen intim sind, scheint eine brennende zu sein. Und weil es vermutlich nicht ausreicht, wenn ich „Doch, das gibt’s wirklich“ schreibe, werde ich an dieser Stelle etwas weiter ausholen müssen — und zwar mit unseren Vorfahren.

Die romantische Langzeit-Zweierbeziehung ist nämlich, historisch betrachtet, ein sehr junges Konstrukt. Die Idee von der Ehe und damit der Monogamie entstand tatsächlich erst vor etwa 10 000 Jahren, zu der Zeit nämlich, in der die Menschen sesshaft wurden. „Vor einer Ewigkeit!“, werden manche von euch jetzt denken. Und dabei vielleicht vergessen, dass 10 000 Jahre im Vergleich zu der rund zwei Millionen Jahre andauernden Geschichte der Gattung Homo nicht mehr sind als ein lautloser Furz. Die längste Zeit seiner Existenz lebte der Mensch in Gruppen zusammen, in denen generöses Teilen aller vorhandener Ressourcen — inklusive Sexualität — als überlebenswichtig galt. Jetzt aber, da es plötzlich Besitz und Besitzer gab, musste geregelt werden, wer den Acker denn nun erbt. Und das sollte eben möglichst nicht das Balg des Nachbarn sein. Vor allem für Frauen war nun Monogamie angesagt, damit die väterliche Linie geschützt war. Die lebenslange Ehe war also vielmehr wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwängen unterworfen, als der Idee von Liebe. Vor allem für die Männer gab es darüber hinaus aber noch Konkubinen, Geliebte und Prostituierte, denn Leidenschaft, das wusste man schon immer, hat nicht unbedingt etwas mit dem Menschen zu tun, der zu Hause auf einen wartet. Das beweisen auch die Kulturerzeugnisse unserer westlichen Welt, angefangen beim Minnesang und aufgehört beim Hollywoodfilm, in denen große Gefühle grundsätzlich außerhalb des (ehelichen) Langzeithafens explodieren.

Obwohl das Ideal der lebenslangen sexuellen Treue kaum der Wirklichkeit standhält, sind unsere Erwartungen ans Lieben und Geliebtwerde himmelhoch. Und je entlarvender die Trennungs- und Untreuestatistiken werden, desto mehr, so scheint es, sehnen wir uns nach „Alles mit einem für immer“. Dabei ist es in Wirklichkeit nicht nur dieser einzige Mensch, der uns glücklich macht. Was ist mit all unseren Freunden, Bekannten, Kollegen, Mitbewohnern, Familienmitgliedern und all den anderen, die für die unterschiedlichen Facetten unseres Seins eine Rolle spielen — und die uns notfalls auch auffangen, wenn es mal wieder nicht geklappt hat mit der „großen Liebe“?

Ihr merkt schon selbst, dass diese Argumentation hinkt, oder?

 

Und weil wir im Grunde unseres Herzens ja wissen, dass wir einander nicht alles sein können, erlauben wir uns Kino- und Saufabende mit anderen, Urlaube, seelenentblößende Gespräche und gemeinsame Heularien. Aber: um Himmels Willen nichts mit Sex! Weil unsere Genitalien — im Gegensatz zum Rest unseres Körpers — nur für einander bestimmt sind. Ihr merkt schon selbst, dass diese Argumentation hinkt, oder?

In Wirklichkeit nämlich hat die Frage, wann man von einer „richtigen“ Beziehung zwischen zwei oder mehr Menschen sprechen kann, so ziemlich gar nichts mit Sexualität zu tun. Ich kenne zum Beispiel etliche Paare, die leben zwar seit Jahren recht zufrieden zusammen, haben aber das Thema Horizontalpolka schon lange von ihrer gemeinsamen Bucket-List gestrichen. Trotzdem wäre es völliger Blödsinn zu behaupten, sie hätten keine richtige Beziehung, nur weil sie nicht die statistisch ermittelten zwei Mal die Woche miteinander bumsen. Und was ist auf der anderen Seite mit denen, die es zwar karnickelmäßig miteinander treiben, sich aber um nichts in der Welt aufeinander festlegen wollen?

Meiner Meinung nach gibt es einen sehr simplen Indikator dafür, ob etwas eine Liebesbeziehung ist oder nicht — und zwar die beiderseitige Absicht, auch in Zukunft zusammenzubleiben. Beziehen zwei (oder mehr Menschen) sich gegenseitig in ihre Pläne mit ein, gehen sie die Dinge gemeinsam an, fühlen sie sich einander verpflichtet? Dann ist das eine richtige Beziehung. Ganz egal, ob sie in einer gemeinsamen Wohnung leben oder ob sie die Absicht haben, zu heiraten und Kinder zu kriegen. Oder ob sie eben nur einander vögeln oder zusätzlich noch andere oder überhaupt niemanden.

Aber was weiß ich schon? Für jemand anderen sieht so ein Echtheits-Indikator wieder völlig anders aus. Daher mein Vorschlag ans geschätzte Internet: Weniger über andere urteilen, mehr nach eigenen Spielregeln leben. Dann wird das schon mit der „richtigen“ Beziehung.

Und weil handfeste Tipps, die an dieser Stelle sonst immer stehen, bei philosophischen Fragen nicht ziehen, habe ich stattdessen zwei Buchempfehlungen für euch — meine absoluten Favoriten, wenn es um Verbindlichkeit und Leidenschaft in Beziehungen geht:

 

  • Sex. Die wahre Geschichte: Christopher Plan und Cacilda Jethá untersuchen die prähistorischen Wurzeln der menschlichen Sexualität — und stellen mit diesem Bestseller so ziemlich alles in Frage, was wir über Sex und Beziehungen zu wissen glauben.
  • Die Psychologie sexueller Leidenschaft: David (Achtung, jetzt nicht lachen!) Schnarch hat mit diesem Buch einen absoluten Klassiker für Menschen in Langzeitbeziehungen hingelegt — und bewiesen, dass eine Beziehung genau das ist, was wir draus machen.
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