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Tabea hat öffentlich über ihre Abtreibung gesprochen

Screenshot: YouTube/ Die Frage

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Tabea wurde von ihrem Freund ungewollt schwanger – trotz Verhütung. Die 19-Jährige entschied sich für einen Schwangerschaftsabbruch, weil sie gerade eine Ausbildung begonnen hatte und sich nicht bereit dazu fühlte, Mutter zu werden. Tabea ließ sich während dieser Zeit von dem Funk-Format „Die Frage“ begleiten. In dem Video, das dabei entstanden ist, erzählt sie vom Ablauf des Schwangerschaftsabbruchs und was das alles mit ihr gemacht hat.

jetzt: Tabea, wie geht es dir?

Tabea: Mir geht es gut. Mittlerweile ist der Schwangerschaftsabbruch auch knapp zwei Monate her. In der vergangenen Woche hatte ich noch mal einen kleinen Eingriff.

Was ist da passiert? Gab es Probleme?

Nein, gar nicht. Es musste ein bisschen Restgewebe ausgesaugt werden. Das war aber nicht schlimm. Mir ging’s gleich danach gut und ich merke nichts mehr davon. Ich hatte Blutungen, aber die haben nach einem Tag wieder aufgehört.

Warum hast du dich entschieden, mit diesem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen?

Einerseits, weil Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland noch immer ein Tabuthema sind und das sollte es einfach nicht sein. Wir sollten offener darüber reden. Andererseits, weil ich natürlich selber nach Erfahrungsberichten gesucht habe, als ich den Schwangerschaftsabbruch vor mir hatte.

Wie sahen diese Berichte aus?

Online gab es vor allem sehr viele sehr negative Berichte. Klar, toll ist so ein Schwangerschaftsabbruch nie. Aber diese Posts waren immer extrem emotional geschrieben, mit sehr vielen Übertreibungen. Ich sage nicht, dass diese Erfahrungsberichte nicht gerechtfertigt wären, weil diese Frauen das wahrscheinlich so erlebt haben. Aber ich habe wirklich keinen einzigen gelesen, in dem nicht alles super schlimm lief, die Frauen nicht schwer traumatisiert waren und nicht die ganze Badewanne vollgeblutet haben. Das finde ich echt problematisch, weil dadurch erstens ein falsches Bild von dem Vorgang vermittelt wird und Frauen, die nicht so sehr informiert sind, sich davon einschüchtern lassen und mit einer totalen Angst da reingehen. 

„Ich hatte Angst, dass mich Menschen aus der Nachbarschaft komisch angucken“

Haben dir diese Berichte nicht auch Angst gemacht? 

Eher weniger. Ich konnte das irgendwie von mir abgrenzen und einschätzen, dass das nur eine sehr subjektive Wahrnehmung ist und nicht der Normalfall. Ich war bei Pro Familia beim Beratungsgespräch. Die hatten mir auch gesagt, dass normalerweise nichts schiefläuft und man keine krasse Schäden davonträgt. Aber natürlich haben genau diese Frauen dann ein sehr hohes Mitteilungsbedürfnis. Das ist auch total gut und berechtigt. Nur die, bei denen alles gut gelaufen ist, haben überhaupt kein Mitteilungsbedürfnis und das ist ein Fehler. 

Wie ging es dir denn in den Tagen vor der Veröffentlichung des Videos? Hattest du Angst vor den Reaktionen? 

Ich hatte Angst, dass mich die älteren Menschen aus der Nachbarschaft komisch angucken. Noch mehr Angst hatte ich davor, dass sie mich ansprechen – oder noch schlimmer: meine Eltern darauf ansprechen.

Und war das dann auch so?

Meine Freunde wussten alle schon vorher Bescheid. Aber von Nachbarn, ehemaligen Mitschülern, entfernten Verwandten habe ich schon ein paar Nachrichten bekommen. Die waren aber fast alle positiv: „Hey, dass du dich getraut hast, darüber zu reden, finde ich voll mutig“, „Vielen Dank, dass du das machst.“ Manche haben aber auch gesagt: „Ich hätte das nicht gemacht, aber wenn du damit konform gehst, ist das für mich cool.“ Da war jetzt niemand dabei, der gesagt hat: „Wie kannst du sowas nur machen?“

„Das greift ja nicht mich persönlich an, sondern ist deren Meinung“

Gab es echt keine negativen Reaktionen? 

Doch, aber natürlich nur hinter meinem Rücken. Meine beste Freundin hat mir da regelmäßige Updates gegeben, was in meiner alten Stufe so abgeht, was da so geredet wird. Aber es ist mir auch egal, was die sagen. Ich habe mit denen nichts mehr zu tun.

Und in der Nachbarschaft? Gab’s komische Blicke? 

Eigentlich nicht, aber ich habe in der Zeit sehr viel gearbeitet und war selten zu Hause. Zwei Mal bin ich im Hausflur Nachbarn begegnet, die ich besser kenne. Da bin ich dann schon ein bisschen schneller zu meiner Wohnung gegangen, weil ich auf Gespräche über meinen Schwangerschaftsabbruch keine Lust hatte. Aber von einer Freundin, die in meiner Nachbarschaft wohnt, habe ich gehört, dass deren Mutter von einer Nachbarin angesprochen wurde: „Wie kann man denn sowas machen? Das geht ja gar nicht. Und warum muss man dann auch noch sein Gesicht in die Kamera halten, das kann ich ja überhaupt nicht nachvollziehen.“ Da musste mich dann meine Freundin verteidigen und sagen: „Ja, um genau dieses Tabu zu brechen. Es ist gut, dass dieses Video existiert.“

Online war das Ganze etwas heftiger.

Die ersten 100 Kommentare sind ja eigentlich alle positiv. Aber wenn man sich dann die Antworten anschaut, kommt dann schon sowas wie: „Wie könnt ihr nur diese Kindermörderin unterstützen?“ Am Anfang habe ich mir die alle durchgelesen, bis ganz unten. Und da gabs schon einige Kommentare wie „Mörderin!“ Das war für mich okay, das greift ja nicht mich persönlich an, sondern ist deren Meinung. Ein paar Kommentare waren dann aber schon ziemlich heftig: „Gut, dass du dein Kind abgetrieben hast, du hättest es eh nicht geliebt und wärst niemals eine gute Mutter geworden“, „Ich wünsche dir, dass du niemals in deinem Leben Kinder bekommst“, „Die Kinder, die bei dir aufwachsen, können einem nur leid tun.“ Aber darum geht es ja gar nicht. Ob ich eine gute Mutter werde oder nicht, hat ja noch niemand gesehen. Mittlerweile lese ich mir so etwas gar nicht mehr durch. Ich hab da einfach keinen Bock drauf. 

„Das Thema ist für mich nicht vorbei“

Was haben die Kommentare mit dir gemacht?

Es hat mich schon mitgenommen. Weil ich dann auch darüber nachgedacht habe, ob das stimmt, dass ich keine gute Mutter sein werde, weil ich mich jetzt gegen das Kind entschieden habe. Aber ich bin immer zu der Erkenntnis gekommen, dass das einfach nicht miteinander zusammenhängt. Dass ich natürlich eine gute Mutter sein kann, auch wenn ich schon mal abgetrieben habe. Es gibt ja auch genügend gute Mütter, die schon Kinder haben und sich entscheiden abzutreiben. 

Die positiven Kommentare waren ja deutlich in der Überzahl, bleiben die dann auch stärker bei dir hängen?

Ja, absolut. Auf jeden negativen Kommentar kommen zehn positive, wie: „Sie ist so eine starke, erwachsene Frau. Danke, dass sie das gemacht hat“ und „Schön, dass du damit an die Öffentlichkeit gehst“. Andere lobten, dass es ein objektiver Beitrag sei, der informiere. Es gab auch Frauen, die ihre eigene Geschichte erzählten. Das lässt die ganzen negativen Kommentare verschwinden. Es hat mich auf jeden Fall in meiner Entscheidung bestätigt.

Am Freitag hast du einen letzten Termin. Ist damit diese Episode in deinem Leben abgeschlossen?

Emotional habe ich damit schon abgeschlossen, würde ich sagen. Aber es kann natürlich sein, dass mich das alles irgendwann noch einmal einholt. Ich bin natürlich auch froh, wenn ich den letzten Arzttermin hinter mir habe. Aber ich werde mich noch weiter damit beschäftigen, weil ich sicher auch in Zukunft mit Freunden darüber sprechen werde, wenn die irgendwelche Fragen an mich haben. Und das ist auch gut so. Ich will einen Dialog, das ist wichtig. Für mich ist am Freitag mein persönlicher Schwangerschaftsabbruch abgeschlossen. Das Thema ist damit für mich nicht vorbei.

(Dieses Interview ist in inhaltlicher Zusammenarbeit mit Die Frage entstanden, einem Format von funk.) 

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