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„Wir kämpfen an vorderster Front“

Foto: www.blankebedenken.org; Bearbeitung: jetzt

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Sie posieren nackt in ihren Praxen, wirken dadurch schutzlos und ausgeliefert: Mit einer Foto-Aktion machen Hausärzt*innen in Deutschland gerade darauf aufmerksam, dass ihnen für eine wirksame Bekämpfung des Coronavirus und für den Schutz ihrer Patient*innen einiges fehlt. Schutzausrüstung zum Beispiel – und auch das Entgegenkommen und der Respekt der Politik. Auf Twitter teilen sie Bilder unter dem Hashtag #BlankeBedenken, auf der gleichnamigen Website heißt es deutlich: „Wir konnten uns nicht gut vorbereiten.“ Auch eine Petition verschiedener Hausärzt*innen fordert, dass Ärzt*innen in der Krise nicht allein gelassen werden sollen. 

Hannes Blankenfeld ist Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin in München und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Während der Corona-Pandemie dürfen Patient*innen mit Infekten seine Praxis nur zu bestimmten Sprechzeiten und nur mit Termin betreten, eine telefonische Voranmeldung ist zwingend nötig. Blankenfeld gehört zu den deutschen Ärzt*innen, die die Aktion gestartet haben. Für ein Telefonat nimmt er sich am Abend nach seiner Sprechstunde Zeit. 

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Die Ärzt*innen fordern nicht nur Schutzmaterialien. Ihnen geht es um mehr.

Foto: www.blankebedenken.org
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Foto: www.blankebedenken.org
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Foto: www.blankebedenken.org

jetzt: Wie ist die Situation gerade bei Ihnen in der Praxis? 

Hannes Blankenfeld: Der Andrang ist inzwischen etwas abgeflaut. Wir hatten Anfang bis Ende März eine größere Welle, da München ja zu den besonders betroffenen Gebieten gehört. Sehr viele Menschen haben sich telefonisch gemeldet. Insgesamt hat sich unsere Arbeit stark verändert – es kommen weniger Menschen in die Praxis, ich betreue mehr Patienten über das Telefon. Meine große Sorge ist, dass sich mit den Lockerungen der Beschränkungen wieder mehr Menschen infizieren. Dann brauchen wir ein funktionierendes System, um die Menschen gut versorgen zu können. 

„Es ist absurd, wie viel Firmen jetzt für Schutzmasken verlangen“

Genau dieses System prangern Sie mit der Aktion „Blanke Bedenken“ jetzt an. Was war der konkrete Auslöser?

Am Freitag, den 17. April wurde der Beschluss gefasst, dass Patienten mit leichten Atemwegserkrankungen ab Montag, den 20. April wieder in eine Praxis kommen müssen, um sich krank schreiben zu lassen. Das war ein Schlag ins Gesicht für arbeitende Ärzte und hat ein riesiges Echo ausgelöst. Wegen der massiven Kritik wurde die Krankschreibung per Telefon zwar bis zum 4. Mai verlängert, das reicht aber nicht. Da ist uns die Idee zur Aktion gekommen. Wir beziehen uns dabei auf den französischen Arzt Alain Colombié, der sich nackt in seiner Praxis fotografiert und als „Kanonenfutter“ bezeichnet hat. So prangert er die aktuellen Missstände an.

Was für Missstände sind das genau? 

Zum einen haben wir nicht genug Schutzkleidung. Dabei geht es nicht nur um Masken, wir brauchen auch Overalls und Gesichts-Schutz-Schirme. Ich bekomme jeden Tag Angebote, aber es ist absurd, wie viel manche Firmen jetzt für Schutzmasken verlangen. Das sind Fantasiepreise.

Wie haben sich die Preise verändert?

Früher waren die einfachen OP-Masken ein Centprodukt, heute kosten sie pro Stück 1,50 Euro, die FFP-Masken werden für fünf bis zehn Euro das Stück gehandelt. Wir haben genug, um jetzt wenige Wochen durchzuhalten, aber die Corona-Pandemie wird dann noch nicht vorbei sein. Sobald es eine zweite Welle gibt, ist das Material schnell verbraucht. Die Verteilung von Schutzmaterial muss zentral gesteuert werden. Das darf nicht daran hängen, ob jemand wirtschaftlich in der Lage ist, viel Geld für Masken auszugeben. Da ist bisher viel zu wenig passiert. 

Inwieweit wurden Sie in punkto Schutzkleidung bisher unterstützt? 

Ich habe bisher eine Lieferung von der Kassenärztlichen Vereinigung bekommen mit insgesamt zehn FFP-Masken, die zu klein sind für mein Gesicht, und 50 OP-Masken. Dazu gab es 500 Milliliter Desinfektionsmittel, mehr war nicht da. Über den versorgungsärztlichen Dienst in München ist jetzt ein bisschen mehr nachgekommen, aber das wird nicht reichen.

„Wir sind die ersten, an die sich viele Menschen wenden“

Was fordern Sie außer Schutzkleidung von der Politik? 

Aus unserer Sicht muss die telefonische Krankschreibung bis in den Herbst hinein verlängert werden. Diese Entscheidung, dass Menschen mit einer leichten Atemwegserkrankung wieder in die Praxis kommen müssen, zeugt davon, dass wir Hausärzte zu wenig wertgeschätzt werden und vor allem, dass wir dann unsere chronisch kranken Patienten vermehrt der Gefahr aussetzen müssten.

Inwiefern? 

Wir werden voraussichtlich wieder sehr viel mehr mit Covid-19-Patienten zu tun haben. Unsere Gesundheit und die der Praxismitarbeiter sowie unserer Patienten wird leichtfertig aufs Spiel gesetzt, wenn unnötige Kontakte mit leicht Infizierten erzwungen werden. Da wird mehr auf die Sorge der Unternehmen gehört, dass sich die Mitarbeiter zu lange krank schreiben lassen könnten, obwohl sie gar nicht krank sind. Insgesamt müssen Ärzte, alle Gesundheitsberufe und auch Patienten von der Politik in diese Entscheidungen mit einbezogen werden, zum Beispiel in Expertengremien. Wir kämpfen an vorderster Front. Zwischen Hausärzten und Patienten besteht oft ein großes Vertrauensverhältnis, wir sind die ersten, an die sich viele Menschen wenden. 

Wovor haben Sie am meisten Angst?

Eine große Sorge ist, dass Leute aus Angst, sich anzustecken, nicht in eine Praxis kommen, obwohl sie kommen müssten. Das ist gefährlich, weil andere Krankheiten ja nicht wegen Covid-19 verschwinden. Außerdem könnte es in den Krankenhäusern wieder eng werden, wenn eine zweite Welle kommt. Dann müssen wir vorbereitet sein, so gut das halt geht.

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Wenn nicht ausreichend Masken zur Verfügung gestellt werden, blebt auch Ärzt*innen oft nur: selbst nähen.

Foto: www.blankebedenken.org
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Foto: www.blankebedenken.org

Welche Sorgen haben Ihre Patient*innen? 

Die Jüngeren haben eher Sorgen um die eigenen Eltern. Diejenigen, die chronisch krank sind, sind oft noch unsicherer als die anderen und fühlen sich bedroht. Bei vielen hochbetagten Patienten ist die Sorge aber auch noch eine ganz andere: Sie leiden sehr unter der Isolation, sie haben Angst, die wenige Zeit, die ihnen noch bleibt, allein verbringen zu müssen, ohne Kontakt zu ihrer Familie. Und am Ende haben wir alle Angst, dass wir das Virus an jemanden weitergeben, der dann schwer erkrankt oder verstirbt. 

Sie zeigen sich auf den Bildern nackt. Was steckt hinter dieser Nacktheit? 

Vordergründig symbolisiert die Nacktheit natürlich das Fehlen von Schutzmaterialien. Vor allem macht sie aber die Verletzlichkeit von uns Ärzten deutlich. Die Patienten denken, dass wir sie schon sicher durch diese Pandemie führen. Das wollen wir auch. Wir Hausärzte machen jetzt ja nicht unsere Praxen zu und warten ab, bis alles vorbei ist. Natürlich arbeiten wir. Aber wir erwarten, dass wir unterstützt werden, so gut es geht. Und nicht, dass die Politik es uns schwerer als nötig macht. 

Über Ihre Aktion wird gerade deutschlandweit berichtet. Sind Sie überrascht, dass sie ein solches Echo auslöst? 

Um ehrlich zu sein: nein. Denn es war klar, dass diese Bilder Aufmerksamkeit erregen. Das nehmen wir zur Kenntnis. Sogar Nachrichten aus China, Russland, Großbritannien und Polen haben wir bekommen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Doch darum geht es uns nicht! Es geht uns um die Situation in Deutschland. Wir müssen alle zusammen daran arbeiten, dass wir diese Pandemie überstehen.

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