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Macht uns positives Denken zu unglücklichen Menschen?

Positive Vibes only! In vielen Teilen unserer Gesellschaft ist nicht viel Platz für unsere Ängste und Sorgen.
Illustration: FDE

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Im Internet scheinen irgendwie alle glücklich zu sein. Sie machen Yoga, basteln, besteigen Berge, schreiben Bücher, kochen vietnamesische Teigtaschen. Alle strahlen, alle haben makellose Haut. Aber wenn das eigene Leben und die eigenen Poren in der Realität nicht mithalten können und das Glücksgefühl sich nicht einstellen will, fragt man sich schnell: Bin ich daran Schuld? Müsste ich positiver sein? Mich mehr um „mein Glück“ kümmern?

Die Journalistin und Autorin Anna Maas beschäftigt sich in ihrem neuen Buch „Die Happiness-Lüge – Wenn positives Denken toxisch wird“ mit dem „Good-Vibes-Only“-Slogan, Positive-Thinking und dem Heilsversprechen von Selfcare- und Me-Time-Gurus. Sie fragt: Wann und warum kann eine positive Lebenseinstellung negative Konsequenzen für eine Gesellschaft haben? 

jetzt: Wenn ich meine Freund*innen treffe, ist meine erste Frage meist: „Alles gut?“ – Aber das ist falsch, oder?

Anna Maas: Tatsächlich habe ich darüber neulich nachgedacht, weil mir das auch ständig rausrutscht. Früher gab es die Frage: „Na wie geht’s?“ Das hat mehr Raum geboten, ehrlich zu antworten. Mittlerweile fragen alle nur noch: „Alles gut?“ und antworten: „Ja, alles gut“. Man fragt ja auch nicht: „Alles schlecht?“. Es gibt nur Raum für Positivität: Bitte erzähl' mir bloß nicht von deinem echten Leben. Es ist schwer, die Emotionen von anderen auszuhalten und zuzulassen, besonders, wenn sie negativ sind. 

„Das Problem ist das Happiness-Narrativ, die ‚Toxic Positivity‘“

In einer globalen Pandemie geht es aber eben nicht allen immer gut, oder?

Nein, mir zum Beispiel ging es im ersten Lockdown schlecht, ich war überfordert: Die Kita hat zugemacht, die Aufträge brachen weg, meine Mutter ist vorerkrankt. Ich war in einem Tief. Aber um mich herum hatte ich das Gefühl, dass alle aus der Situation das Beste machen. In den sozialen Netzwerken habe ich Leuten täglich zusehen müssen, wie sie den Keller ausmisten, Yoga machen, und so weiter und so weiter. Und ich habe mich ständig gefragt: Wo nehmen die diese Energie her? Warum geht's denen so gut und mir so schlecht? Gönne ich denen das vielleicht nicht oder was ist los mit mir?

Warum sucht man die Schuld für sein Unglück in so einer Situation zuerst bei sich selbst?

Das Problem ist das Happiness-Narrativ, die „Toxic Positivity“. Seit Jahrzehnten vermitteln uns Glücksratgeber, dass an unserem Unglück nicht der Arbeitgeber, die Gesellschaft oder der Staat Schuld sein sollen, sondern wir selbst. Um dieses Konstrukt ist eine Industrie entstanden: Mit der Anleitung zum Glück lässt sich Geld verdienen. Positive-Vibes-Only! In der Gesellschaft, in der wir leben, ist nicht viel Platz für unsere Ängste, Zweifel und Sorgen, schwierige Phasen. Man könnte soweit gehen, dass das Happiness-Narrativ ein kapitalistisches Konstrukt ist. Wenn jemand, die oder der Probleme bei der Arbeit hat, einen Spa-Tag einlegt, statt sich zu beschweren, nutzt das natürlich dem Arbeitgeber. Übrigens: Da werde ich oft missverstanden. Self-Care ist wichtig! Wenn wir uns nicht um uns selbst kümmern, haben wir auch keine Kraft, unsere Probleme anzugehen. Gute Laune ist wunderbar – aber eben kein Muss!

Wann würdest du sagen, kippt eine positive Einstellung ins Toxische? 

Es wird toxisch, wenn es keinen Raum mehr für unangenehme oder überhaupt für andere Gefühle gibt. Besonders, wenn man gerade in einer schweren Situation steckt, empfindet man diesen Druck zum Positiv-Sein oft so, als würden die eigenen Sorgen und Ängste nicht Ernst genommen. Das erhöht den Druck. Und das kann in eine Negativspirale führen, psychisch krank machen, weil man für die eigenen schlechten Gefühle auch noch ein schlechtes Gewissen haben soll, weil man es nicht schafft, positiv zu denken. Wenn man sagt, du bist deines Glückes Schmied, du musst an deinem Mindset arbeiten, heißt das eben auch: Du bist auch Schuld, wenn du es nicht schaffst.

Welche Rolle spielt Social Media dabei?

Viele von uns sehen das Smartphone schon fast als Körperteil. Wir schauen mehr auf den Bildschirm, als um uns herum. Wir sehen tagtäglich diese idealisierten Bilder von Influencer*innen, von einer heilen Welt und das macht was mit uns und mit den Zielen, die wir im Leben haben. Man vergisst schnell, dass das nur ein Ausschnitt deren Welt ist. Filter helfen da, weil sie die Welt schöner machen, als sie ist. Am liebsten mag ich Menschen, die sich bei Instagram zeigen, wie sie sind. Das nimmt für uns alle den Druck raus. Man fragt sich seltener, warum die das so toll hinbekommen – und ich eben nicht.

„Wer immer gefallen will, wer immer lieb sein will, wer immer lächeln will, der rebelliert nicht“

Wie kann man sich davor schützen?

Aussortieren! Aussortieren! Aussortieren! In sich reinspüren und überlegen: Tut mir das gut, diese Bilder zu sehen? Wenn man das Gefühl hat, das baut Druck auf, dann kommt man schnell raus: stummschalten, löschen, entfolgen und fertig. Im echten Leben würde ich empfehlen mit gutem Beispiel voran zu gehen, über die schönen und die schlechten Momente zu sprechen und eine Tür für andere aufzumachen. Vielen geht es ähnlich, viele zweifeln, viele haben Sorgen. Das ist ganz normal, das geht allen so. 

Macht uns „Toxic Positivity“, dieser Druck zum Positiv-Sein, zu unkritischen Menschen?

Definitiv. Wer immer gefallen will, wer immer lieb sein will, wer immer lächeln will, der rebelliert nicht. Wenn wir immer gefallen wollen – uns und anderen – verlieren wir die Wut und die Aggression, die nötig sind, um an strukturellen Problemen und Missständen etwas zu ändern. Vor allem Frauen bekommen seit der Kindheit eingeredet: Sei nett, sei freundlich, lächle. Ganz ehrlich: Ich merke diese Prägung bei mir selbst. Zu meiner Tochter sage ich manchmal „Meine kleine süße Maus“, zu meinem Sohn: „Na, mein Großer!“. Wie bescheuert, oder? Frauen fällt es auch deshalb meistens schwerer, ihre Wut zuzulassen. 

Wut ist ein gutes Stichwort: Du schreibst in deinem Buch, diese „Toxic Positivity“ mache den Diskurs über Diskriminierung in der Gesellschaft schwerer. Warum?

Wenn man nie etwas sagt, immer alles weglächelt, nie in Konfrontation mit Menschen geht, die sich rassistisch, sexistisch, homophob oder antisemitisch verhalten, immer die Stimmung nicht kaputt machen will, immer nur Good-Vibes-Only, dann ändert sich nichts. Stellen wir uns vor, jemand macht einen rassistischen Spruch, man sagt nichts dazu. Die Person wird das nie überdenken, sich vielleicht weiter in diesen Kram verstricken und schlimmstenfalls in Zukunft noch diskriminierender auftreten. Es tut uns gut, uns zu empören, uns aufzuregen. Aber das Gegenteil von „Toxic Positivity“ ist nicht nur Wut, sondern überhaupt ein authentisches Gefühlsleben, Platz für alle Gefühle. Alle Gefühle müssen okay sein. Ich will nicht, dass wir alle immer wütend oder traurig sind, aber ich will auch nicht, dass wir immer alle so tun, als ob wir glücklich sind. Ich will, dass wir für echte, authentische Gefühle Raum lassen. Alle Gefühle.

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