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Warum wir alle „Barry“ schauen sollten

Barry ist nicht gerade der charismatischte aller Auftragskiller. Und trotzdem: absolut sehenswert.
Screenshot: Youtube

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Barry hat etwas Schlimmes getan. Eigentlich hat er sogar viele schlimme Dinge getan: Getötet, gelogen, noch mehr getötet. Mit einer Waffe, mit den Händen, nachts, tags, egal. Barry, ein schlanker dunkelhaariger Mann mit Augenbrauen, so dick, dass Laster darauf parken könnten, ist von Beruf Auftragskiller. Dieser Tätigkeit geht er weniger aus Blutlust als aus Bequemlichkeit nach. Er ist eben gut darin. Für den zielsicheren Ex-Marine hat es sich nach seiner Heimkehr aus Afghanistan halt so ergeben. Und lange hat er auch einfach keine Idee, auf was für einen Lebensinhalt er sonst Lust haben könnte.

Und gerade als Barry beginnt sich mit der tschetschenischen Mafia und deren charismatischen Vize-Boss Noho Hank einzulassen, findet der introvertierte Serienmörder doch etwas, das ihn begeistert. Auf dem Weg zu seinem nächsten Kill stolpert er in Los Angeles in einem Proberaum auf eine Bühne. Da steht Sally: vielschichtig, emotional, ehrgeizig. Klar fasziniert sie ihn. Aber auch das, was sie tut: die Schauspielerei. 

Prima, könnte man meinen, so wird er seinem kriminellen Leben entkommen, kann lernen innerhalb der Gesellschaft zu leben, eine Metamorphose zu einem Good Guy hinlegen. Geschichte erzählt. Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Schon beim ersten Mal auf der Bühne, als er stocksteif und mit regungsloser Stimme seinen Text im Rampenlicht abliest, ist eigentlich allen Beteiligten klar: Barry ist – was das Theater angeht – komplett talentfrei. Das macht das mit der professionellen Schauspielerei natürlich etwas komplizierter. Und auch die Mafiosi haben ihre eigenen Vorstellungen davon, was Barry noch so alles für sie „erledigen“ könnte. Daraus entsteht ein schnelles, nie erwartbares Hin und Her der verschiedenen Welten – bis man sich am Ende der zweiten Staffel fragt, wie das noch topbar sein soll.

Zwei Staffeln gibt es von der von HBO produzierten Hitman-Serie, mehr als 30 Emmy-Nominierungen hat die tiefschwarze Comedy in der Zeit eingesammelt. Darunter auch die Big Five: beste Comedy, beste Regie, bester Hauptdarsteller und Nebendarsteller und Nebendarstellerin, bestes Drehbuch. Der Hauptdarsteller Bill Hader, der Barry verkörpert, hat in beiden Jahren gewonnen. Hader prägt die Serie auch sonst stark und bringt zusätzlich als Autor und Produzent seine gesammelten Erfahrungen aus der legendären US-Sketch-Show „Saturday Night Live“ mit.

Aber nicht nur Hader ist eindrücklich. „Barry“ lebt vom Ensemble: Da fällt keiner ab, nicht Sally aka Sarah Goldberg, nicht Anthony Carrigan, der den liebenswertesten Mafiosi der Welt spielt und schon gar nicht Henry Winkler, der Barrys selbstverliebten Schauspiellehrer so differenziert gibt, dass man sich manchmal fragt, ob er überhaupt spielt. Wundert nicht, Winkler war (vor unserer Zeit) schon eine popkulturelle Legende und dominierte als lederjackentragender obercooler „Fonzie“ die Sitcom-Szene der Siebziger. Der 73-Jährige wurde ebenfalls mit einem Emmy für seine Arbeit in „Barry“ ausgezeichnet.

Es ist gar nicht so einfach, sich gegen sein Talent zu entscheiden

Es ist eine fantastisch lustige Serie über das Showbusiness, die Liebe, den Tod und die eigene Bestimmung. Wie famos „Barry“ aber wirklich ist, zeigt sich nicht nur in der Preiskategorie, sondern auch daran, dass man – trotz aller Skurrilität – etwas daraus mitnehmen kann. Keine Sorge, keine Spoiler. 

Den Stress, den Barry bekommt, als er versucht, sich aus den kriminellen Gefilden zu befreien, ist erst mal nicht nur seinen Verstrickungen im Gangster-Gefilde verschuldet. Was Barry erlebt, ist eine Art Pfadabhängigkeit. Es ist so: Talent verpflichtet. Wer etwas findet, in dem er gut ist, entkommt dem nur schwer. Egal wie unmoralisch die Tätigkeit ist, solange man sich durch Leistung von der Masse abhebt und daraus Kapital schlagen kann, ist es der richtige, der einfache Weg. Da endet man vielleicht nicht immer gleich direkt als Auftragskiller*in, aber vielleicht als Tabaklobbyist*in, Waffeningenieur* in oder Kaffeefahrten-Veranstalter*in.

Das es so schwierig ist, sich von seiner vorgeblichen Bestimmung loszueisen, liegt aber nicht nur am Geld. Das mag nach Sozialdarwinismus klingen, aber Leistung bringt soziale Anerkennung – von Familie, von Freunden. Die wollen, dass es einem gutgeht. Die respektieren und mögen einen ja auch aufgrund dieser besonderer Talente, die einen einzigartig machen. Im Falle von Barry ist das eben: das Töten. Da kann es schwierig sein seine Lieben darauf hinzuweisen, dass man – obwohl man das Zeug dazu hätte –  doch lieber nicht Banker*in, sondern Kindergärtner*in sein möchte.

Sich gegen diesen offensichtlichen Weg zu entscheiden, kann schwer sein. Deswegen tut es gut eine Serie zu haben, die zeigt, dass man ruhig mal ein bisschen rumeiern kann. Und dass es zwar vielleicht leichter ist, sich mit der tschetschenischen Mafia anzulegen, als sich selbst neu zu erfinden – aber der Kampf es trotzdem wert sein kann.

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