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Wie Fans Filmschaffende zu ihren Dienern machen

Illustration: Federico Delfrati

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Der neunte Film von Quentin Tarantino trägt den Titel, „Once Upon A Time in Hollywood“, und er ist stinklangweilig. So ist es zumindest an vielen Stellen im Netz zu lesen. Da spritze zu wenig Blut, heißt es. Alles sei viel zu zahm. Es würde zu wenig geballert, und überhaupt passiere nicht genug. Das ist interessant, denn in der Vergangenheit wurde Tarantino eher für seine exzessiven Gewaltdarstellungen kritisiert. Heute fordern dieselben Fans, die solche Szenen früher als Ausdruck künstlerischer Freiheit verteidigten, plötzlich ein Mitspracherecht in den Filmen des Kult-Regisseurs. Neu ist dieses Phänomen nicht.

Regisseur Rian Johnson wurde vorgeworfen, das komplette „Star Wars“-Franchise ruiniert zu haben, nachdem er 2017 in „Die letzten Jedi“ die Konventionen der Saga bewusst auf den Kopf stellte. Schon im Trailer zum Film versprach Alt-Held Luke Skywalker (Mark Hamill), „This is not going to go the way you think“. Im fertigen Film wurde der strahlende Held der Original-Trilogie dann als verbitterter alter Mann in Szene gesetzt. Oberbösewicht Snoke (Andy Serkis), über dessen Identität Fans jahrelang spekuliert hatten, wurde kurzerhand getötet, ohne dabei auch nur eine einzige offene Frage zu beantworten.

Viele Kritiken könnten einfach die Überschrift tragen: „Früher war alles besser“

Die Kritiken feierten Johnsons Mut zur Veränderung. In der Fan-Gemeinde bleibt der Film jedoch umstritten. Enttäuschte Fans überzogen Johnson auf Twitter mit Schmähkritik, zerrissen den Film in Video-Essays auf YouTube und drohten, alle zukünftigen Filme der Reihe zu boykottieren. Auch der Cast des Films blieb nicht verschont: Newcomerin Kelly Marie Tran zog sich nach andauernden Belästigungen durch wütende „Star Wars“-Anhänger sogar gänzlich aus den sozialen Medien zurück.

Auch die finale Staffel von „Game of Thrones“ kam bei vielen Langzeit-Fans nicht gut an. Prompt forderten sie eine Neuauflage mit „fähigen Autoren“. Eine entsprechende Online-Petition konnte bisher fast zwei Millionen Unterzeichner gewinnen und es werden immer noch mehr – obwohl die Stars der Serie sich klar gegen die Aktion ausgesprochen haben.

Es ist erstaunlich, welches gewaltige Ausmaß die Zuschauerkritik mittlerweile in öffentlichen Debatten einnimmt – und welche Anspruchshaltung viele Fans dabei an den Tag legen. Selten bleibt es bei einem enttäuschten Tweet oder einer schlechten Bewertung. Ihrem Ärger machen die Fans in langen Artikeln, in Video-Blogs und Podcasts Luft. Nicht immer gibt es für diesen Ärger nachvollziehbare inhaltliche Gründe – oft rührt er schlicht daher, dass ein Film nicht liefert, was die Fans sehen wollten: das Erwartbare, das Altbekannte, das Vertraute. Viele solcher Kritiken könnten einfach die Überschrift tragen: „Früher war alles besser“.

Diese Entwicklung setzt Filmschaffende enorm unter Druck 

Natürlich hat diese Entwicklung viel mit den sozialen Medien zu tun. Wo es früher nur eine Rezension in der Zeitung gab, der man höchstens per Leserbrief aufwändig hätte widersprechen können, ist es heute blitzschnell möglich, der Welt die eigene Meinung mitzuteilen. Auch die Vernetzung mit Gleichgesinnten stellt kein Problem mehr dar. Innerhalb kürzester Zeit entstehen so Filterblasen, in denen enttäuschte Fans sich gegenseitig in ihren Ansichten bestätigen, bestärken und unterstützen. Besonders kreative oder wortgewandte Kritiker und Kritikerinnen können so schnell zu Wortführern der Fan-Gemeinde aufsteigen. Ihre Meinung wird innerhalb der Filterblase dann zur objektiven Wahrheit. Einige YouTube-Kanäle, die sich hauptsächlich dem vermeintlichen Niedergang der „Star Wars“-Reihe widmen, haben inzwischen Hunderttausende Abonnenten. Jede Neuankündigung, jeder Trailer, jede Entwicklung hinter den Kulissen wird hier argwöhnisch betrachtet, analysiert – und in den meisten Fällen verrissen.

Tatsächlich könnte man diese Entwicklung als „demokratisch“ loben – endlich sind es nicht nur mehr Einzelne, die entscheiden welcher Film gut und welcher Film schlecht war. Allerdings setzt das Filmschaffende auch enorm unter Druck. Immer öfter führt dieser Druck auch zu künstlerischen Einschränkungen. Der nächste „Star Wars“-Film, „Der Aufstieg Skywalkers“, wird schon vor dem Kinostart gänzlich anders präsentiert als seine Vorgänger. Der erste Trailer besteht fast zur Hälfte aus Bildern der heiß geliebten Original-Trilogie. Luke Skywalker, der in den letzten Filmen nur noch in einer Nebenrolle auftrat, wird zum Titelhelden erhoben. Auch sein Erzfeind, der totgeglaubte Imperator (Ian McDiarmid), soll noch einmal auf die Leinwand zurückkehren. Alles scheint darauf ausgelegt zu sein, verprellte Alt-Fans zurück zu gewinnen.

Welche Macht Fan-Gemeinden entwickeln, ließ sich schon 2016 beobachten. So wurde Paul Feigs weiblich besetzter „Ghostbusters“-Reboot von Fans schon zum Flop erklärt, ehe er überhaupt ins Kino kam. Im Netz verkündeten Wortführer der Fangemeinde, sie würden den neuen Film weder ansehen noch besprechen. An den Kinokassen fiel der neue „Ghostbusters“ dann auch tatsächlich durch. Eine Fortsetzung gilt als nahezu ausgeschlossen. Der nächste „Ghostbusters“-Film, der 2020 in die Kinos kommt, knüpft direkt an die ersten beiden Teile an; der Reboot wird gänzlich ignoriert.

Wenn Fans die Drehbücher bestimmen, leidet die Kreativität in der Filmbranche

Für nostalgische Alt-Fans mögen solchen Nachrichten positiv sein; nicht aber für die Zukunft der Filmindustrie und die künstlerische Freiheit der Kreativen. Viele Filme, die heute als Klassiker gelten, wären unter solchen Bedingungen womöglich nie entstanden. Als George Lucas 1977 den ersten Teil der „Star Wars“-Reihe an den Start brachte, rechnete alle Welt mit einem Flop. Dass der Film überhaupt fertig wurde, ist maßgeblich Lucas' Risikobereitschaft zuzuschreiben. Auch Quentin Tarantino hätte wohl kaum den Kultstatus erreicht, den er heute genießt, wenn seine Kreativität von Anfang an durch starre Vorgaben und Erwartungen eingegrenzt worden wäre. Endlose Dialoge über Nebensächlichkeiten, komplex verschachtelte Erzählstrukturen und auch die berüchtigen Tarantino-Blutbäder – all das war nur möglich, weil der Regisseur die Freiheit hatte, seine ganz eigenen Geschichten zu erzählen.

Und das tut er immer noch. Mit „Once Upon A Time in Hollywood“ wendet Tarantino sich nicht etwa von dem ab, was ihn groß gemacht hat; er entwickelt sich weiter. Die bekannten Tarantino-Traditionen lassen sich auch hier wiederfinden; sie werden nur sparsamer platziert und dezenter eingesetzt als in den bisherigen Filmen. Dass das nicht jedermanns Sache ist – verständlich. Dem Film seine Existenzberechtigung absprechen zu wollen, schießt aber weit über jede nachvollziehbare Kritik hinaus.

Alle Kreativen brauchen ihr Publikum. Der aktuelle Trend jedoch will sie zu Dienern dieses Publikums machen. Aber wenn die Fans das Drehbuch bestimmen, muss dabei die Vision der Filmemacher fast zwangsläufig auf der Strecke bleiben – und diese Entwicklung kann wohl kein Filmfreund ernsthaft befürworten.

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