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„Ich hatte kurz Angst, er steht auf und will mein Heft sehen“

Screenshot: YouTube / zdf.de

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Die Maske hängt unter der Nase und die braune Ledertasche etwas ungelenk über der Schulter. Dazu noch das schlecht sitzende Sacko, die im Schritt minimal zu enge Jeans: In diesem vollendeten Lehrer-Klischee-Outfit zeigt sich Moderator Jan Böhmermann in seinem neuen Homeschooling-Video, das am Donnerstag auf dem Youtube-Kanal seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ veröffentlicht wurde. „Digital und ganz modern bei Youtube werden unter dem pädagogischen Auge Jan Böhmermanns Eltern entlastet und Schüler*innen wieder fit für das wahre Leben gemacht!“, so steht es in der Beschreibung. Das Versprechen: „45 Minuten erstklassige Betreuung“.

Natürlich ist das ironisch gemeint. Denn was in dem Video eigentlich stattfindet, ist eine traurig-realistische Darstellung eines Unterrichts, der das eine oder andere Schultrauma aufleben lässt. Ein 45 Minuten langer Diss gegen die deutsche Bildungspolitik. Böhmermann mimt den Typus Lehrer, den leider viele kennen: Er malt unleserlich auf die nasse Tafel, ordnet für den Großteil der Stunde „Stillarbeit“ an, während er lautstark Tee aus der Thermoskanne schlürft und einen mitgebrachten Apfel futtert. Im Anschluss wird – Überraschung – ein Film geschaut. Das ist ganz nett anzusehen, aber lustig sind vor allem die Kommentare unter dem Video. 

„Nostalgie pur“ oder „die realistischste Schulstunde, die jemals aufgezeichnet wurde“, steht etwa in der Youtube-Kommentarspalte. Aber nicht für alle Zuschauer*innen werden damit positive Erinnerungen wach. Ganz im Gegenteil: Auf Twitter schreibt eine Person beispielsweise, sie habe nur den Anfang schauen können und da habe es sie schon durchgeschüttelt. Das Fazit: „So RealityTV ist nichts für mich.“ Ähnlich ging es einer anderen Twitter-Nutzerin, die schreibt: „Die Darstellung ist so real, ich hatte kurz Angst, er steht auf und will mein Heft sehen.“

In der Youtube-Kommentarspalte freuen ich die meisten über die Authentizität des Videos. Die Nutzer*innen schreiben zum Beispiel: „Ich finde es realistisch, dass die Stunde überzogen wurde.“ Oder: „Stillarbeit: ... Böhm: macht lärm wie ein Elefant – wirklich 100% authentisch.“ Dazu eine ausführliche Stilkritik: „Wollsocken, ausgewaschene Jeans, Sakko aus den mittleren 2000ern, Herrenschuhe mit eckigem Abschluss, komisch-verklemmte Sitzpositionen. Starke schauspielerische Leistung und gute KostümbildnerInnen. PS: Kleines Manko sind die Schuhe aber doch. BRAUNE Schuhe zu SCHWARZEM Gürtel wäre korrekt gewesen.“

Und das bleibt nicht das einzige Manko, das aufmerksame Zuschauer*innen identifizieren konnten. Jemand anderes schreibt, zum perfekten Outfit hätten noch die Ellbogenschoner gefehlt. Insgesamt kommen sowohl Outfit als auch Attitüde bei den meisten aber gut an – positiv hervorgehoben werden vor allem typische Lehrer*innen-Dialoge wie: 

„Herr Böhmermann, ich kann das nicht lesen.“

„Dann mach deine Augen auf.“

Oder: „Herr Böhmermann, kann ich mal bitte auf die Toilette gehen?“

„Ob du das kannst, weiß ich nicht.“

Einige kreative Zuschauer*innen steuern noch prägende Zitate und Erlebnisse aus ihrer eigenen Schulzeit bei: „Es fehlt: ‚Es ist noch niemand erfroren, nur erstunken.‘“, schreibt jemand bei Youtube. Oder auch: „Fake! Kein Lehrer kriegt den TV ohne Hilfe der Schüler an!“ Die Ausstattung des Klassenzimmers könnte realistischer sein, schreibt jemand auf Twitter: „Völlig unrealistisches Luxus-Klassenzimmer mit Geodreieck UND Zirkel UND eigenem OH-Projektor UND Kartenhalter.“

Auch wenn das Homeschooling-Video Böhmermanns als Kritik an der trägen Digitalisierungs-Entwicklung und Bildungspolitik in Deutschland zu verstehen ist und nicht als ernsthafter pädagogischer Beitrag, haben manche seine Unterrichtsstunde sehr ernstgenommen: Eine Zuschauerin etwa hat sich brav zusammen mit ihrem Freund hingesetzt und sich an der Geografie-Aufgabe, einer Europakarte versucht.

Andere spielten ebenfalls mit und lieferten einige authentische Wortmeldungen in den Youtube-Kommentaren. Zum Beispiel den Klassiker: „Herr Böhmermann, welches Datum haben wir heute?“ Oder: „Ist das klausurrelevant?“

Eine Nutzerin, die offenbar selbst Lehrerin ist, nimmt das Video sportlich und selbstironisch. Sie freut sich darüber, dass Böhmermann ihr mit seinem Homeschooling-Video Material für eine ganze Schulstunde geliefert hat:

Aus der digitalen Stunde verabschiedet sich Lehrer Böhmermann mit den Worten: „Dann sehen wir uns in ein bis zwei Jahren wieder, wenn die nächste große digitale Lerneinheit verfügbar ist.“ Autsch.

fsk

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