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Wie wehre ich mich gegen verbale sexuelle Belästigung?

Illustration: Daniela Rudolf

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Im vergangenen Jahr wurde ich dutzende Male sexuell belästigt, oft von Fremden. Als sexuelle Belästigung werte ich – anders als unser Rechtsstaat – dabei auch solche Situationen, in denen mir Männer verbal klar machen, dass sie mich gerade im Vorbeigehen auf meinen Körper reduzieren. Und das auf wenig diskrete Weise. Im englischsprachigen Raum hat man bereits einen Namen für diese Art Übergriff gefunden: „Catcalling“. Dieser Begriff ist in meinen Augen zu harmlos: Darin steckt viel süße Haustier-Symbolik, aber wenig von der Ernsthaftigkeit des Problems.

In Momenten der sexuellen Belästigung bin ich vollkommen hilflos. „Wehr dich doch“, raten mir männliche Freunde im Nachhinein, oder: „Hör einfach nicht hin!“ Beides ist leichter gesagt als getan. Denn zieht dich ein Fremder gedanklich und verbal aus, konfrontiert dich damit, ohne dass du damit einverstanden bist – das muss man erst mal verkraften.

Ich sehe dann nicht mehr klar vor lauter Chaos im Hirn. Ich will dem Mann entkommen – ihm aber auch deutlich machen, wie furchtbar er sich verhält. Aber wie geht das? Soll ich ihn anschreien? Einfach weggehen? Ihn zurückbelästigen?

Ich suche Rat und finde ihn bei Etta Hallenga von der Frauenberatungsstelle in Düsseldorf. Ich will wissen, wie ich mich in einzelnen Situationen aus dem vergangenen Jahr am Besten verhalten hätte. Das nächste Mal will ich gegen solche Übergriffe gewappnet sein. Die Traumatherapeutin und Sozialpädagogin will mir helfen, aber erst einmal eines klarstellen:

„Es ist leicht, sich als Expertin hinzustellen und zu sagen: So und so hätten Sie sich verhalten sollen. Befindet man sich aber als Betroffene in der akuten Situation, ist das viel schwerer. Es ist wichtig, dass Frauen wissen, dass sie nicht die Verpflichtung haben, auf eine bestimmte, durchdachte Weise zu reagieren.“

Ich hoffe trotzdem, dass es leichter für mich wird, wenn ich mir jetzt einen ungefähren Plan zurechtlege, wie ich in Zukunft unbeschadet aus solchen Situationen herauskomme. Ich fange mit einem vermeintlich harmlosen Beispiel an – das aber immer und immer wieder passiert und vermutlich schon jeder Frau widerfahren ist:

„Es ist Sommer, ich fahre auf dem Rad an einem Café vorbei, dort sitzen drei Männer. Einer von ihnen pfeift mir ,anerkennend‘ hinterher. Was tun?“

Hallenga: „Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Eine ist, souverän weiterzufahren. Ein guter Selbstschutz kann dabei sein, daraufhin auch selbst ein Lied zu pfeifen. Die eigene Stimme zu hören, tut den meisten Frauen in solchen Momenten ganz gut. Eine andere Möglichkeit wäre, stehen zu bleiben. Männer, die einem hinterherpfeifen, sind in der Regel nicht solche, die darauf aus sind, einen noch weiter anzugehen. Sie wollen mit den Pfiffen eher untereinander ihre männliche Solidarität demonstrieren. Da gibt es also auch die Möglichkeit, abzusteigen und zu sagen: „Lassen Sie das.“ Die offene Kritik verunsichert den Mann.“

Ich finde den Tipp, selbst zu pfeifen, ziemlich überzeugend. Ist leicht umzusetzen, gibt den Typen auf subtile Weise zu denken, kostet wenig Zeit. Schwieriger wird es beim nächsten Beispiel, weil man diese Geräusche nicht gar so unverfänglich imitieren kann:

„Letztens lief ich in der Dämmerung über einen belebten Platz, mit zwei schweren Einkaufstüten in den Händen. Ein Typ schlurfte hinter mir her und begann, leise zu stöhnen. Er wurde immer lauter dabei, hörte sich an wie im Porno. Ich war irritiert und reagierte erstmal nicht. Dann überholte er mich, um von da an stöhnend in Kreisen um mich herum zu laufen. Wie hätte ich reagieren sollen?“

In diesem Moment ist es gut, laut zu benennen, was er gerade tut, und auch zu sagen, was er stattdessen tun soll: ,Hören Sie mit dem Stöhnen auf und gehen Sie weiter.‘ Es kann helfen, die Taschen abzustellen und in die Richtung zu weisen, in die er gehen soll. Das alles sollte man so tun, dass andere mitbekommen, was gerade passiert. Denn seine Aktion zielte vermutlich darauf ab, dass Ihnen das peinlich ist. Und die Peinlichkeit sollte seiner Meinung nach natürlich allein bei Ihnen bleiben. Deshalb ist die beste Gegenwehr, insofern sie möglich ist, das Ganze umzudrehen. Die Peinlichkeit zu seiner zu machen. Und das geht, indem sie sein Fehlverhalten vor anderen enttarnen.“

ettahallenga

Das ist Etta Hallenga von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf. Sie berät täglich Frauen, die Opfer sexueller Übergriffe wurden.

Foto: privat

Ich bin nach diesem Ratschlag ziemlich stolz auf mich. Ich glaube nämlich, mich genau richtig verhalten zu haben und erzähle Hallenga, dass ich intuitiv schon ganz ähnlich reagiert hätte:

Ich ging auf den Mann zu und sagte laut: ,Was soll das denn? Soll ich die Polizei rufen oder lässt du den Scheiß auch so?!‘“

„Das Lautwerden war gut. Aber ich würde Ihnen dringend raten, keine Fragen zu stellen! So kommunizieren Sie ja, dass sie an einem Austausch mit ihm interessiert wären. Das sind Sie aber vermutlich nicht. Denn erstens wollen sie ja, dass er verschwindet. Und zweitens käme von ihm mit Sicherheit sowieso keine gute Erklärung für sein Verhalten.“

Ich stelle solchen Männern immer laut die Frage nach dem Warum. Weil mich interessiert, wie sie auf so bescheuerte Ideen kommen. Was den Reiz ausmacht, jemanden in diese Peinlichkeit, manchmal auch Angst zu treiben.

„Das hat ganz oft nichts mit der Frau zu tun, die belästigt wird. Die Sprüche sind nicht mal sexuell gemeint, sondern einfach nur ein Werkzeug, um Macht auszuüben“, sagt Hallenga. Ihre Erklärung hilft mir auch, zu verstehen, wie es wohl zum nächsten Vorfall kommen konnte:  

Ich ging durch einen U-Bahn-Schacht, hinter mir eine Gruppe Jungs. Als ich mich in die leere U-Bahn setzte, blieben die Teenager draußen stehen. Sie klopften an die Scheibe. Als ich zu ihnen aufsah, formten sie mit ihren Mittel- und Zeigenfingern eine Vulva und schlabberten – es gibt kein besseres Wort dafür – mit ihrer Zunge durch den V-förmigen Spalt.

„Wenn Sie nicht unbedingt die Welt verändern wollen: Es ist absolut legitim, hier den Kopf wegzudrehen und einfach nicht hinzugucken. Denn die machen das gezielt, um Ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Wie Sie reagieren, ist denen vollkommen egal. Sie wollen nur sehen, dass Sie reagieren. Wenn Sie nicht hinsehen, haben die Jungs keine Bühne. Eine andere Möglichkeit ist, mit dem Handy ein Foto zu machen. Die wissen ja nicht, was sie damit vorhaben. Sie könnten damit zur Polizei gehen und das macht den Tätern oft Angst. Natürlich ist es auch möglich, den Vorfall bei der Bahn zu melden.“

Ich fuhr direkt nach diesem Vorfall an den Hauptbahnhof und wandte mich mit dem Stichwort ,sexuelle Belästigung‘ an zwei Männer vom Sicherheitspersonal der Deutschen Bahn. Die sagten mir, ich könne bei sowas die Bundespolizei rufen. Ich allerdings dachte schnell bei mir: Wegen einer solchen Lappalie kann ich doch nicht die Polizei rufen! Ist das Quatsch?“

„Es ist etwas sehr Individuelles, wann die Polizei gerufen wird und wann nicht. Die Polizei sagt dazu: Lieber einmal zu viel als zu wenig. Spätestens wenn es eindeutige Berührungen gibt, sollte man sie verständigen. Viel zu oft rufen wir für uns selbst aber nicht die Polizei, obwohl wir für jeden anderen sofort die 110 wählen würden.“

Ich erinnere mich noch an eine andere Situation in der U-Bahn. Mit mir zusammen saßen drei Typen in einer Vierer-Sitzgruppe. Sie sprachen kein Deutsch und schlechtes Englisch. Ich lächelte sie an, weil ich das Gefühl hatte, sie übten gerade. Immer wiederholten Sie den Satzanfang: ‘Do you wanna...‘ Als ich aufstand, um auszusteigen, sagte einer laut: ‘Do you wanna fuck with me?‘ Die anderen lachten.“

Hallenga hat meiner Formulierung offensichtlich (zu recht) entnommen, ich würde mir eine Teilschuld an der Anmache der Typen geben. Bevor Sie mir zu einer Reaktion rät, sagt sie:

„Deren Spruch hat nichts mit Ihrem freundlichen Lächeln zu tun. Sie haben nicht die Schuld an deren Fehlverhalten. In diesem Fall können Sie einfach wortlos aussteigen, Sie waren ja eh gerade dabei. Aber auch wenn Sie unbedingt reagieren wollen, müssen Sie da nicht mit Intelligenz brillieren. Nicht extra die Sprache wechseln und auf Englisch antworten zum Beispiel. Sagen Sie also einfach, wie Sie diese Frage bewerten – gerne auch auf Deutsch, denn es kommt auf den Tonfall an: ‘Unverschämtheit. Lass das!‘ Schauen Sie gezielt einem der Männer dabei in die Augen.“

„Warum einem der Männer?“ 

„Man geht meistens davon aus, dass sich die Täter bei der Aktion einig seien. Das sind sie aber oft nicht. Gucken Sie einen an, grenzen Sie ihn als Individuum von der Gruppe ab. Er ist als Einzelner gemeint, muss über sein eigenes Verhalten nachdenken und kann sich nicht mehr hinter den Anderen verstecken. Generell ist es übrigens nicht ratsam, Sexualisierendes oder Sexualisiertes erwidern. Es fühlt sich vielleicht zwar gut an, zu sagen: ,Ihr Wichser‘. Aber man muss sich überlegen, auf welches Niveau man sich selbst begeben möchte.“

Vergangene Woche lief ich nachts mit zwei Freundinnen eine Straße entlang, in der sich viele Bars und Clubs befinden. Da hagelte es vermeintliche ,Komplimente‘ von vorbeigehenden Männern, einmal kniete sich jemand vor uns nieder, als wolle er uns einen Antrag machen. Ich fand das absolut inakzeptabel, meine Freundinnen störte es nicht weiter. War ich im Unrecht? Sollte ich mich dann zurückhalten?“ 

„Was schön ist, ist, wenn sie sich mit ihren Freundinnen darüber unterhalten: Was erlebt die eine als sexuellen Übergriff und was die andere? Sie werden immer wieder feststellen, dass das sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Generell zählt in der akuten Situation die Einschätzung derjenigen, die es als Übergriff wahrnimmt. Denn man kann nicht darüber diskutieren, ob es ihr schlecht damit geht. Oft bewerten Frauen Übergriffe auch nicht als solche, weil das auch hieße, dass sie dann reagieren müsste. Es ist einfacher zu sagen: ,Das hat der nicht so gemeint, das ist doch ein nettes Kompliment!‘

Das sieht man übrigens auch bei der #MeToo-Debatte. Wenn eine Frau sich über etwas äußert, das sie als Übergriff empfindet, andere aber als undramatisch, wird ihr Empfinden von einer anderen Person abgewertet: ,Da gibt es doch viel Schlimmeres‘, heißt es dann. Letztendlich ist das Täterschutz. Denn eine Person verharmlost eine Situation, in der sich eine andere als Opfer gefühlt hat. Das beschämt das Opfer. Ihm wird gesagt: ,Lass das!‘ Während das ,Lass das!‘ eigentlich dem Täter gebühren sollte.“

Ich kenne das gut. Immer wieder erlebe ich, dass Leute mir sagen, ich sei zu zimperlich. Letztens twitterte ich eine Situation, erstmalig versehen mit #metoo. Die einzige Reaktion: Man antwortete, ich solle nicht so rumjammern, Männer bräuchten eben weniger emotionalen Anlauf als Frauen und seien einfach direkt. Die Situation, die ich dabei beschrieben hatte, schildere ich auch Hallenga: 

Es ist 8 Uhr morgens, ich stehe an einem Bäckerstand im Münchner Hauptbahnhof. Ein Mann steht neben mir und sagt: ‘Na, dich würde ich auch gerne mal reiten.‘“

„Auch hier sollten sie wieder laut sagen: ,Lassen Sie solche unverschämten Äußerungen.‘ Wenn Sie noch weiter gehen möchten, können Sie auch den Mitarbeitern oder dem Chef ganz gezielt sagen, was dieser Mann gemacht hat. Wenn das jetzt nicht unbedingt am Bahnhof passiert, sondern in einer Bäckerei, kann es nämlich gut sein, dass der Mann ein Stammkunde ist und dort öfter mal übergriffig wird.“

Dass Hallenga mir sagt, dass ich Recht hatte mit meiner Reaktion (Ich sagte: „Halt den Mund!”), erleichtert. Nach dem Tweet suchte ich die Schuld nämlich tatsächlich bei mir. Hatte ich die Situation nicht richtig eingeschätzt?  

„Das Schuld-bei-sich-selbst-Suchen ist ein psychologischer Effekt, den die meisten Frauen haben und der Sinn ergibt. Denn wenn man Schuld bei sich sucht, tut man das, weil man unterbewusst denkt: ,Wenn ich herausfinde, was ich falsch gemacht habe, dann brauche ich es ja nächstes Mal nur richtig zu machen – dann passiert sowas nicht mehr.‘ Das funktioniert in Fällen der sexuellen Belästigung aber leider nicht. Denn die Frauen tragen – und das ist wichtig – keine Schuld daran, was ihnen zustößt.“

Dass ich selbst keine Schuld habe, muss ich erst mal verinnerlichen. Denn ich suche nach jedem Übergriff danach; schaue, was ich anhabe, überlege, wie ich geguckt habe. Das Lautwerden, das Hallenga mir immer wieder empfiehlt, ist übrigens eine andere natürliche Reaktion von mir. Manchmal ist es aber vielleicht gar keine so gute Idee:

„Einmal drängte ich mich durch einen engen Gang im Club an einem Typen vorbei, der mir in den Schritt fasste. Ich ging zurück, baute mich vor ihm auf und beschwerte mich bei ihm. Er schubste mich und war drauf und dran, mich zu verprügeln. Seine Freunde hielten ihn zurück und sagten: ,Lauf, Mädel, lauf.‘“

Wichtig ist, sich die Situation zu besehen, bevor sie handeln. Gibt es da Menschen, die einen aggressiven Mann zurückhalten könnten und würden? Falls Sie merken, das könnte jetzt tatsächlich gefährlich werden, ist es nie verkehrt, sich der Situation auch nach einem solchen Übergriff zu entziehen und wegzurennen. Verständigen Sie bei derartigen Übergriffen die Polizei oder Sicherheitspersonal!

Wenn Sie außerdem merken, dass Sie den Übergriff nicht unkommentiert hinnehmen können, ist es natürlich richtig, sich beim Täter zu beschweren. Auf ihn zuzugehen, ist allerdings tatsächlich nicht gut. Ich würde ihnen empfehlen, Abstand zu halten und die Stimme zu erheben. Die Botschaft wird auch ohne Ihren Körpereinsatz deutlich.

Was ich aus diesem Gespräch mitnehme, ist vor allem dieser Merksatz: Auf einen Angriff sollte ich keinen Gegenangriff starten, aber mich offensiv wehren.

„Zuletzt möchte ich noch eine Frage stellen, die mich eher aus präventiven Gründen interessiert: Wenn ich nachts die Straße entlang laufe, alleine bin und mir ein Mann hinterher geht, der sich merkwürdig verhält – wie kann ich mich schützen?“

„Es gibt inzwischen Möglichkeiten, Stellen anzurufen und sich auf dem Heimweg telefonisch begleiten zu lassen. Wenn Sie das nicht wollen, tun Sie so, als würden Sie telefonieren. Dabei könnten Sie zum Beispiel Angaben zu Ihrem Aufenthaltsort machen. Fühlen Sie sich akut bedroht, sollten Sie die Polizei rufen.“

Hallenga hat mir eine Menge Tipps gegeben, mit denen ich so nicht gerechnet habe. Ich merke mir: Mehr pfeifen und deutlich weniger Fragen stellen. Das habe ich bisher nämlich wirklich zu häufig getan. Und: Ich sollte mir nicht die Last aufbürden, den übergriffigen Teil der Männerschaft und die Welt selbst verändern zu müssen. Ich hoffe trotzdem, dass es irgendwann jemand schafft.

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