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Wie sinnvoll ist natürliche Verhütung?

Foto: Christophe Gateau, dpa / freepik / Collage: jetzt.de

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Wenn junge Frauen zum Gynäkologen gehen und sich nach Verhütungsmitteln erkundigen, wird ihnen oft die Pille verschrieben. Viele von ihnen haben danach mit Nebenwirkungen zu kämpfen: keine Lust auf Sex, Stimmungsschwankungen oder Kopfschmerzen. Hormonelle Verhütungsmittel können aber auch Depressionen, Thrombosen oder Bluthochdruck hervorrufen.

Immer mehr Frauen wollen deshalb keine Hormone zur Verhütung verwenden. Um trotzdem nicht schwanger zu werden, setzen einige auf natürliche Familienplanung. Sie beruht darauf, dass Frauen nur an bestimmten Tagen während ihres Zyklus’ schwanger werden können: rund um den Eisprung. An den anderen Tagen kann man ungeschützten Sex haben, ohne schwanger zu werden.

Die wichtigste Frage ist bei der natürlichen Verhütung: Wann findet der Eisprung statt? Grob gesagt passiert das etwa zwölf bis 16 Tage vor dem Einsetzen der nächsten Periode. Fünf Tage vor dem Eisprung bis zwei Tage nach dem Eisprung sollte man also verhüten, wenn man nicht schwanger werden möchte. Nur in der Zeit ab zwei Tage nach dem Eisprung bis zur nächsten Menstruation ist eine Befruchtung sicher ausgeschlossen. Eine hundertprozentige Garantie kann dieses Zählen aber nicht geben: Der Zyklus einer Frau ist eine sehr individuelle Angelegenheit, er dauert nicht bei allen Frauen gleich lang. Die eben genannten Zeiträume sind also nur Annäherungswerte.

Überhaupt ist das Tagezählen allein ist als Verhütungsmethode aber zu unsicher. Deswegen beobachtet man weitere körperliche Merkmale wie Temperatur und Zervixschleim, um den Zeitpunkt des Eisprungs festzustellen. Bei der sogenannten Temperaturmethode wird jeden Morgen zur gleichen Zeit die Temperatur in der Vagina gemessen. Nach dem Eisprung steigt die Temperatur um etwa ein halbes Grad an. So werden die unfruchtbaren und fruchtbaren Tage bestimmt.

Noch genauer lässt sich der Eisprung bestimmen, wenn man zusätzlich die Konsistenz des Zervixschleims berücksichtigt oder den Muttermund selbst beobachtet. Man spricht dann von der symptothermalen Methode. „Will eine Frau zuverlässig auf natürliche Weise verhüten, so gehören dazu die regelmäßige Messung und Dokumentation ihrer morgendlichen Körpertemperatur plus ihre eigene Beobachtung des Schleims, den ihre Gebärmuttermund freigibt“, erklärt Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte und niedergelassener Frauenarzt in Hannover.

Der Schleim beginnt vor dem Eisprung, Fäden zu ziehen und wird für Spermien durchlässiger. Der Muttermund wird vor dem Eisprung weicher und öffnet sich. Ab diesem Moment sollte die Frau keinen ungeschützten Sex mehr haben, weil die Spermien in der Gebärmutter bis zu fünf Tage überleben können.

„Die intensive Auseinandersetzung mit dem Zyklus ist eine produktive Beschäftigung mit dem eigenen Körper“

Der Aufwand ist also auf den ersten Blick groß. Wieso sollte man auf diese Verhütungsmethode setzen? Sabine Kray ist Autorin und hat sich in ihrem Buch „Freiheit von der Pille“ unter anderem mit der natürlichen Familienplanung auseinandergesetzt. Für sie ist der größte Vorteil der Methode, dass sie hormonfrei ist. Schon in einem Artikel für die Zeit hat Kray argumentiert: Die Pille ist unzumutbar. „Ich möchte mich nicht mit Hormonen belasten, sondern das Gefühl bekommen, meine individuelle hormonelle Situation wahrzunehmen. Außerdem setzt man sich intensiv mit dem Zyklus auseinander. Das ist meiner Meinung nach eine produktive Beschäftigung mit dem eigenen Körper“, sagt Kray.

Die natürliche Verhütung sei zudem eine flexible Art der Familienplanung, falls man in naher Zukunft doch schwanger werden möchte. Ein weiterer Vorteil sind die geringen Kosten für Verhütungsmittel: Pro Jahr geben erwachsene Frauen rund 200 Euro für hormonelle Verhütungsmittel aus, wie die Autorin in ihrem Buch errechnet hat.

Außerdem kann man laut Kray den natürlichen Zyklus positiv für die eigene Lebensplanung nutzen. „Wenn man ihn genau beobachtet, kann man sehen, wie sich im Laufe des Zyklus das Lebensgefühl ändert. Das ist bei jeder Frau individuell. Ich persönlich  möchte vor meiner Periode gerne meine Ruhe haben. In der Zeit vor dem Eisprung habe ich viel Energie. Deshalb lege ich mir gerne wichtige Termine in diese Phase.“

Ist der Zyklus sehr kurz oder unregelmäßig, ist eine natürliche Verhütung unzuverlässig 

Die Nachteile der natürlichen Familienplanung liegen vor allem in der Unsicherheit der Methode, erklärt der Frauenarzt Christian Albring. „Es reicht nicht immer aus, wenn die Frau ihre durchschnittliche Zykluslänge berechnet und dann zur Halbzeit ein paar Tage keinen Sex hat. Mit dieser Methode wird innerhalb eines Jahres jede zehnte Frau schwanger, weil sich der Eisprung aus vielerlei Gründen um einige Tage verzögern oder auch verfrühen kann. Zum Vergleich: Bei der hormonellen Verhütung wird weniger als jede hundertste Frau innerhalb eines Jahres schwanger, wenn die Einnahme korrekt ist.“

Der Pearl-Index der Temperaturmethode liegt bei 0,8 bis drei, der der symptothermalen Methode bei 0,4 bis 2,3. Der Index gibt an, wie hoch der Anteil an sexuell aktiven und fruchtbaren Frauen ist, die trotz Verhütung innerhalb eines Jahres schwanger werden. Je kleiner der Index, desto sicherer ist die Methode. Zum Vergleich: Der Wert der Pille liegt bei 0,1 bis 0,9, der von Kondomen bei zwei bis zwölf, bei optimaler Anwendung bei 0,6 bis zwölf.

Für eine möglichst zuverlässige natürliche Verhütung müsse man auf die symptothermale Methode setzen, sagt Albring. „Eine solche Art der Verhütung ist möglich, aber sie braucht viel Wissen und Übung und die Bereitschaft der Frau, sich mit sich selbst und mit dem Zyklusgeschehen zu befassen und das auch langfristig und mit Regelmäßigkeit beizubehalten. Ist der Zyklus sehr kurz oder sehr unregelmäßig, dann ist eine natürliche Verhütung unzuverlässig und weniger geeignet.“ Die größte Fehlerquelle der natürlichen Verhütung sei die nicht exakte Unterscheidung der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage. Frauen fühlen sich dann an den falschen Tagen sicher, haben ungeschützten Sex und werden schwanger.

Wenn man zur Toilette geht, bevor man die Temperatur misst, kann die Temperatur steigen

Für die natürliche Verhütung gibt es mittlerweile zahlreiche Gadgets und Apps, die dabei helfen sollen, den Überblick über den eigenen Zyklus zu bewahren. In Kalender-Apps kann man eintragen, wann man die Regel bekommen hat. Die Anwendung gibt dann an, an welchem Tag man mit dem Eisprung rechnen kann. Solche Kalender beziehen aber weder Temperatur noch andere Einflussfaktoren mit ein und sind deshalb sehr unsicher. Andere Gadgets berücksichtigen die Temperatur oder setzten auf die symptothermalemale Methode: Der Ovularing wird nachts vaginal getragen. Die Daten werden dann mit einem Lesegerät and die webbasierte Software übertragen. Auch Gadgets, die im Ohr oder als Armband getragen werden, sollen Frauen sagen, in welcher Phase des Zyklus sie gerade sind.

Auch wenn man Gadgets zur Hilfe nimmt, gibt es bei der Temperaturmessung einiges zu beachten. Denn die Körpertemperatur wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst.  Dazu zählen laut Albring die Dauer des Schlafs und der Zeitpunkt der morgendlichen Messung. Aber auch Infekte, Alkohol, Stress, Reisen oder Schichtdienste können sich auf die Temperatur auswirken. Dadurch werden auch die eigenen Aufzeichnungen über den Zyklus beeinflusst. Aber auch, wenn man aufsteht und zur Toilette geht, bevor man die Temperatur misst, kann das laut dem Gynäkologen einen Temperaturanstieg erzeugen.

Jede Frau müsse selbst im Lauf der Zeit herausfinden, welche dieser Faktoren bei ihr zu einem Temperaturanstieg führen. „Solange sie sich noch nicht sicher damit ist, ihre Temperaturkurven zu interpretieren, sollte sie sich nicht darauf verlassen, und nicht nur an den potenziell fruchtbaren Tagen, sondern durchgängig mit Kondomen verhüten, wenn eine hormonelle Verhütung oder eine Kupferspirale nicht erwünscht ist“, rät Albring.

Dieser Text erschien erstmals am 15.02.2018 und wurde am 15.12.2020 nochmals aktualisiert.

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