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So antwortest du auf Kommentare, die Rassismus verharmlosen

Illustration: FDE

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Ja, Rassismus ist deutsche Realität. Und nein, das ist keine Neuigkeit. Überall in Deutschland werden Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft diskriminiert und angegriffen. 2019 zählte das Bundesinnenministerium 7318 Straftaten mit rassistischem Hintergrund. Mit „Silent Demos“ und anderen Projekten gelingt es Schwarzen Aktivist*innen aktuell, für das Thema auch in Deutschland eine breite Öffentlichkeit zu schaffen. Die Mehrheitsgesellschaft diskutiert über strukturellen Rassismus. Doch längst nicht alle sehen darin ein ernstzunehmendes Problem.

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Screenshot: Facebook

Ein Beispiel: Die Journalistinnen Alisha Archie und Juliane Reuther haben eine Petition gestartet, die das Stadtwappen Coburgs verändern soll. Bisher ist im Zentrum des Wappens der „Coburger Mohr“ abgebildet, eine klischeehafte Darstellung eines Schwarzen Menschen. Die Petition hat aktuell mehr als 3300 Unterzeichner*innen, sie hat aber auch einen massiven Shitstorm ausgelöst. Juliane Reuther beobachtet ein „unglaubliches Aggressionspotenzial bei den Verfechter*innen des Coburger Mohren“. Sie sagt: „Weiße Menschen sehen in der Petition einen Angriff auf ihre Kultur und Identität.“

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Screenshot: Facebook

Eine Gegenpetition zur Bewahrung des „Coburger Mohren“ bekommt online viel Zuspruch – aktueller Stand: mehr als 4200 Unterzeichner*innen. Für Alisha Archie hat das damit zu tun, dass Menschen das Wappen nicht als rassistisch einschätzen wollen, weil sie damit zugeben müssten, selbst nicht frei von Rassismus zu sein. „Sich das einzugestehen, ist verdammt unangenehm“, sagt sie.

Weiße, die nicht über Rassismus und Vorteile des Weiß-Seins sprechen wollen: Dahinter steckt das Konzept der White Fragility, ein Begriff, den die Soziologin Robin DiAngelo geprägt hat. Aus dieser Zerbrechlichkeit wird schnell eine Abwehrreaktion – und die zeigt sich besonders in den sozialen Medien: jede Kommentarspalte ein Museum weißer Zerbrechlichkeit. Die Anti-Rassismus-Beraterin Tupoka Ogette beschreibt diese Reaktionen in „EXIT Racism“ als „Abwehrmechanismen von Happyland“. Es sind Totschlagargumente, um sich ein Idealbild einer gerechten Gesellschaft zu bewahren, einer heilen Welt, in der alles eigentlich okay ist und man selbst sich nicht ändern muss.

Wir haben der Journalistin Shahrzad Osterer sieben typische Kommentare aus „Happyland“ gezeigt, die es so tausendfach gibt. Die Moderatorin des Diversity-Formats „Working Germany“ des Bayerischen Rundfunks gibt Anti-Rassismus-Trainings und erklärt, wie man Argumente, die Rassismus verleugnen oder verharmlosen sollen, widerlegen kann.

1. Rassismus? Krieg! Hunger! Corona!

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Screenshot: Facebook

Um den Fokus von der Rassismus-Debatte zu nehmen, bringen manche User*innen andere Probleme in Stellung. Rassismus schön und gut, aber was ist mit Krieg? Hunger? Corona? Ein klarer Fall von Whataboutism.

Wie man auf diese Kommentare antworten kann:

Shahrzad Osterer: „Diese pseudo-rationale Fokussierung auf ‚wichtigere‘ Probleme ist ein Scheinargument. Damit soll jede Diskussion über Rassismus und andere kulturelle und soziale Probleme vermieden werden. Aber es gibt Rassismus in Deutschland. Es gibt dieses Problem und es ist groß. Allein die Leute, die jeden Tag davon betroffen sind, sollten entscheiden dürfen, ob das Problem wichtig ist – und nicht weiße Menschen, die nie solche Erfahrungen machen. Das ist leider typisch.“

2. Rassismus? Gegen Weiße!

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Screenshot: Facebook

Wenn es um Diskriminierungserfahrungen von nicht-weißen Menschen geht, parieren einige gleich mit Beispielen für die Diskriminierung weißer Menschen. Der Slogan „All Lives Matter“, der von der Alt-Right-Bewegung gekapert wurde, ist ein Paradebeispiel – eine spezielle Form des  Whataboutism. Das als Reaktion auf „Black Lives Matter“ zu fordern, ist, wie einem Mann mit gebrochenem Bein keinen Krankenwagen zu rufen, sondern ihm wütend vorzuhalten, dass man selbst Kopfschmerzen hat. Dieses rhetorische Ablenkungsmanöver, das auch „Red Herring Fallacy“ genannt wird, hat nicht Gleichberechtigung zum Ziel, sondern soll Gleichberechtigung abblocken.

Wie man auf diese Kommentare antworten kann:

„Für lange Haare und Tattoos entscheidet man sich. Man kann sie irgendwann schneiden oder weglasern lassen. Es gibt keine strukturelle Diskriminierung von Langhaarigen oder Tattooträgern. Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder Ethnie Diskriminierung erfahren, konnten sich hingegen nie entscheiden, wie sie geboren werden und können ihre Hautfarbe und Herkunft nicht ablegen. Das ist ein täglicher Kampf. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.“

3. Rassismus? Ich bin farbenblind.

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Screenshot: Facebook

Auch im liberalen Milieu kursieren Muster, die den Diskurs über Rassismus erschweren. „Alle Menschen sind gleich“ oder „Ich bin farbenblind“ sind Sätze, die gerne fallen und auf den ersten Blick niemandem wehtun. Aber diese Hippie-Rhetorik hört nicht zu, fragt nicht nach, sondern geht dogmatisch von einer post-rassistischen Gesellschaft aus, die es nicht gibt.

Wie man auf diese Kommentare antworten kann:

„Ein Spruch wie ‚Ich sehe keine Hautfarben‘, ist sicher lieb gemeint, aber die Realität sieht anders aus. Schwarze Menschen und PoC (People of Color) haben aufgrund ihrer Hautfarbe beispielsweise Probleme mit der Wohnungs- und Jobsuche. Sie haben nicht die gleichen Chancen. Formulierung wie ‚Wir sind alle gleich‘ sind schön, aber utopisch. Das ist auch ignorant und aus einer privilegierten Perspektive gedacht. Solche Slogans helfen wenig.“

4. Rassismus? Mein Schwarzer Freund findet es okay

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Screenshot: Facebook

 

 

Ein Trick, um nicht-weißen Menschen ihre Wut abzusprechen, ist die „Mein-Schwarzer-Freund-findet-es-okay-Strategie“. Man darf sich zurücklehnen, da ein Schwarzer Bekannter die Absolution erteilt hat. Die Frage nach strukturellem Rassismus ist durch – da nicht vorhanden. Das ist beliebig auch in anderen Kontexten anwendbar: mein jüdischer Freund, meine lesbische Kollegin und so weiter und so weiter.

Wie man auf diese Kommentare antworten kann:

„Der Begriff ‚Mohr‘ ist rassistisch. Da gibt es kein Wenn und Aber. Es ist eine Fremdbezeichnung, die sich Schwarze Menschen nicht ausgesucht haben. Sehr, sehr viele empfinden den Begriff als beleidigend. ‚Mohr‘ ist genauso problematisch wie ‚Farbiger‘ oder das ‚N-Wort‘. Und nur weil ein  Schwarzer Freund damit scheinbar kein Problem hat, ist es trotzdem rassistisch. Das ist eine unsinnige Ausrede, um sich nicht mit den Gefühlen Schwarzer Menschen zu befassen.“

5. Rassismus? Selber!

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Screenshot: Facebook

Wer eine rassistische Handlung benennt, wird deshalb oft selbst als Rassist diffamiert. Eine Art Täter-Opfer-Umkehr: Rassistisch sei nicht, wer Schwarze Menschen als Wilde darstellt, sondern wer„Mohren“ aus Wappen entfernt und ihnen damit die „Sichtbarkeit“ nimmt; rassistisch sei nicht, wer „Mohrenkopf“ sagt, sondern wer das als Rassismus interpretiert.

Wie man auf diese Kommentare antworten kann:

„Es gibt eine klare Definition für Rassismus: Wenn eine Minderheit aufgrund von vermeintlichen oder tatsächlichen kulturellen oder körperlichen Merkmalen benachteiligt, abgewertet und nicht gleich behandelt wird, handelt es sich um Rassismus. Das ist keine Spinnerei, das ist klar definiert. So eine Verdrehung der Tatsachen hebelt man damit easy aus.“

6. Rassismus? LOL.

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Screenshot: Facebook

Eine Verteidigungsstrategie so alt wie die Menschheit: Wer nicht über sich sprechen will, macht einen Witz über den Anderen. Wer nicht lacht, ist der Spielverderber.

Wie man auf diese Kommentare antworten kann:

„Wenn jemand als ‚Weißbrot‘ oder ‚Kartoffel‘ bezeichnet wird, kann das als Beleidigung empfunden werden und weh tun, keine Frage. Es ist aber keine systematische, strukturelle Diskriminierung – und natürlich kein Rassismus. Mit diesen Begriffen wurde nicht über Jahrhunderte Sklaverei legitimiert. Es ist nicht vergleichbar und anmaßend so zu tun, als wäre es das. Als Witz natürlich sowieso geschmacklos.“

7. Rassismus? Nein.

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Screenshot: Facebook

Weiße Deutungshoheit: Ich, weiße Frau, halte die Sache nicht für rassistisch, also ist sie es nicht. Zack, fertig: kein Rassismus. Weiße Menschen wollen online oft entscheiden, wie mit den Erfahrungen von beispielsweise Schwarzen Menschen und POC umzugehen ist. Sie entscheiden, wer rassistisch handelt und wer nicht – Stürmer, die selbst entscheiden, wann sie im Abseits stehen.

Wie man auf diese Kommentare antworten kann:

„Man muss auf die Gefühle von allen Menschen eingehen, ihnen zuhören. Allen. Wenn Schwarze Menschen wollen, dass sie nicht als ‚Mohr‘, bezeichnet werden wollen, ist das das einzige, was zählt und wir müssen das akzeptieren. Weiße Menschen haben da gar nichts mitzuentscheiden. Was rassistisch ist und was nicht, was die Abbildung einer Sklavin ist und was die einer freundliche Frau, entscheiden die Opfer von hunderten Jahren Sklaverei und nicht Weiße Menschen. Fertig aus.“

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