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Wie soll man sich in der Kirche verhalten, wenn man nicht an Gott glaubt?

Foto: pixabay / Collage: Daniela Rudolf

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Eigentlich passt das alles nicht zusammen: Ich zähle per Adventskalendertürchen die Tage bis Heiligabend. Trotzdem stehe ich am 24. Dezember immer wieder völlig überrumpelt und unvorbereitet da. Mitten in der Kirche – nicht wissend, ob ich mich als Ungläubige nun anpassen oder streiken soll. Dabei bin ich eigentlich nur mit etwas konfrontiert, das ich als Kind gewohnt war: einem Pool aus Riten, die meine Kultur, mein Weihnachtsfest, mein Leben geprägt haben. Trotzdem kann ich als Teil der Generation der Zweifelnden, der Agnostiker:innen, der offenen Atheist:innen, meinen Platz in all dem nicht mehr finden.

Mir ist nicht danach, die christlichen Rituale mitzumachen. Jedenfalls nicht alle. Ich bin schließlich nicht aus Überzeugung, sondern der Familie wegen hier. Gruppenzwang greift aber auch im Gottesdienst. Zumindest greift er dort nach mir. Wenn ich als einzige in der Kirche die Hände nicht zum Gebet falte oder das Glaubensbekenntnis nicht spreche, überkommt mich das Gefühl, die (ver)urteilenden Blicke des Pfarrers und der Gemeinde auf mir zu spüren.

Deshalb stehe ich bei jedem neuen Ritual wieder vor dieser Entscheidung: Mitmachen oder nicht mitmachen? Knien oder nicht knien? Beten oder nicht beten? Was ist angemessen für Menschen wie mich? Solche, die nicht an Gott und Jesus glauben, sich aber an einem Ort befinden, an dem ihnen gehuldigt wird?

Ich bin ratlos und will das ändern. Ich rufe Pfarrer Anton Spreitzer an. Ein Kollege meint, der sei offen für Gespräche über den Glauben – sogar über meinen nicht vorhandenen. Spreitzer ist Priester im niederbayerischen Ortenburg. Meine erste Frage treibt mich schon lange um, bringt ihn aber erst einmal zum Lachen:

Finden Sie, Atheisten und Agnostikerinnen wie ich sollten überhaupt in die Kirche gehen?

Spreitzer: Das ist eine gute Frage! Ich glaube, das ist eine Gewissensentscheidung. Die muss jeder für sich selbst treffen. Grundsätzlich steht die Kirche aber jedem offen. Wenn Sie meinen, Sie finden das interessant, dann dürfen Sie natürlich kommen. Da spreche ich auch nicht nur für mich, sondern sicher für die gesamte Kirchengemeinde. Sie hat ja den Auftrag, die Menschen mit Jesus bekannt zu machen. Kontakt ist deshalb immer besser als kein Kontakt. Allerdings sollte Ihr Besuch nicht nur Theater sein, sondern irgendwo auch einen ernsten Hintergrund haben.

Und wenn ich nur widerwillig zum Gottesdienst gehe? Zum Beispiel, weil mich meine Familie mitschleift?

Spannend. Wahrscheinlich müssten Sie mir dann eher leid tun. (lacht) Denn dann wären der Gottesdienst und alle Praktiken darin für Sie ja nur ein rein äußerlicher Ritus, der Sie nicht innerlich berührt. Das habe ich übrigens auch mit „nur Theater“ sagen wollen. Das meine ich nicht despektierlich. Ich kann mir nur vorstellen, dass Ihnen die Welt des Gottesdienstes, der Symbolik dann sehr unverständlich ist. Trotzdem heißt das natürlich nicht, dass ich Menschen wie Sie nicht in der Kirche haben will. Im Gegenteil. Ich erwarte aber, dass man dem Gottesdienst mit einem gewissen Respekt begegnet. Jeder Teilnehmer sollte sich zumindest so einfügen, dass er nicht nach außen zeigt, dass er all das irgendwie blöd findet.

Was Spreitzer sich da wünscht, ist genau der Punkt, an dem ich als Agnostikerin immer wieder ins Rudern gerate. Natürlich respektiere ich den Glauben anderer Menschen. Das möchte ich auch nach außen hin zeigen, wenn ich mich in deren Glaubenswelt einschleiche. Allerdings will ich mich dabei nicht selbst verleugnen. Und überhaupt: Das sture Mitbeten, Glaubensbekenntnis herunterrattern, nur weil man den Text eben noch auswendig kann – ist das nicht heuchlerisch? Und dann wiederum ebenfalls respektlos gegenüber denen, die all diese Rituale als heilig empfinden? Ich bitte Spreitzer, mit mir Elemente des Gottesdienstes abzuarbeiten: Was geht und was nicht?

Mein größtes Problem beim Gottesdienstbesuch ist wahrscheinlich auch das offensichtlichste: Dort spricht man gemeinsam das Glaubensbekenntnis. Sollte ich das mitsprechen, um andere nicht zu irritieren?

Sie sollten das Glaubensbekenntnis nicht mitsprechen. Das meine ich vor allem als Empfehlung, der Ehrlichkeit halber. Das Glaubensbekenntnis ist schließlich das, was das Wort sagt: Man bekennt damit seinen Glauben. Natürlich gibt es sicher auch viele Katholiken, die nicht jeden Satz so meinen. Der Gottesdienst ist aber kein Spiel. Es geht dabei darum, das auszudrücken und zu feiern, was man innerlich fühlt.

Es gibt im Gottesdienst aber auch Rituale, die bestimmte Bewegungen erfordern. In der katholischen Kirche kniet man vor Gott. Wer nicht kniet, fällt auf. Sollte ich knien?

Auch vom Knien würde ich Ihnen deutlich abraten. Das ist etwas ganz Heiliges, etwas Demütiges vor Gott. Das würde ich als Pfarrer sehr eigenartig finden – und auch, wenn ich selbst in Ihrer Position wäre: Ich würde mich nicht hinknien wollen.

Eine harmlosere Geste scheint mir da, mit den anderen aufzustehen oder die Hände beim Gebet zu falten.

Zumindest beim Aufstehen und Hinsetzen sehe ich das ähnlich. Das sollte man auch als Atheist oder Agnostiker mit vollziehen. Denn wenn ich am Gottesdienst teilnehme, ist das in dieser Hinsicht ähnlich, wie wenn ich bei einem Fußballspiel zusehe. Da lasse ich mich auf die Regeln ein, die gelten – auch wenn ich nicht mitspiele. Aber Hände falten – puh! Das würde ich an Ihrer Stelle wahrscheinlich nicht tun. Außer Sie versprechen sich tatsächlich etwas davon und tun das mit einer gewissen Ernsthaftigkeit. Wenn sich innerlich aber nichts in Ihnen bewegt, sähe ich keinen Grund, beim Gebet die Hände zu falten.

Für mich gibt es eine Sache am Gottesdienst, die ich tatsächlich meistens mitmache: Lieder singen. Ist das in Ordnung, auch wenn ich deren Inhalt nicht immer so meine?

Ich finde, dass Sie Lieder auf jeden Fall mitsingen dürfen. Das ist im deutschen Kulturraum sowieso eine Besonderheit: Christliche Lieder sind auch Teil des Kulturgutes. Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit „Stille Nacht, heilige Nacht“ geht, aber das ist ja schon fast eine Art Volkslied. Das singen fast alle mit, das bewegt sie. Viele kommen wahrscheinlich sogar nur zur Messe, um am Ende zusammen dieses Lied singen zu können. Das löst richtige Weihnachtsseligkeit aus und ist schön so. Es berührt die Menschen offenbar und bringt viele auch wieder auf den Gedanken: „Vielleicht gibt es doch was Größeres“.

Das Gespräch mit Pfarrer Spreitzer hat mir gut getan. Ich fühle mich plötzlich viel besser mit dem Gedanken an den Gottesdienst an Heiligabend. Stellt sich nur die Frage: Kann ich mich auf seine Leitlinien auch verlassen, wenn ich nicht gerade in Ortenburg zur Kirche gehe?

Glauben Sie denn, dass alle Pfarrer so geantwortet hätten wie Sie?

Ich würde sagen, die meisten sehen das so wie ich. Aber es gibt auch viele strengere Mitbrüder, die sehr darauf achten, dass Formalitäten eingehalten werden. Das finde ich zwar auch nicht unwichtig, aber das Formale ist für mich nur der Rahmen, der das Bild hält.

Was kann ich denn dann tun, wenn ich nicht gerade Ihren Gottesdienst besuche, um nicht die Ungnade des jeweiligen Pfarrers auf mich zu ziehen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich auch meine Mitbrüder die Zeit nehmen würden, mit Ihnen zu sprechen und Ihre Fragen zu beantworten. Sie würden bestimmt fast alle deutlich machen, dass jeder im Gottesdienst willkommen ist. Natürlich gibt es auch ein paar, die sich nicht darauf einlassen. Aber die sind sicher die große Ausnahme.

Was denken Sie insgeheim über Menschen, die ausschließlich an Weihnachten und großen Festen in die Kirche gehen? Mir fällt immer wieder auf, dass diese Menschen dann oft ein sehr schlechtes Gewissen haben.

Ich verurteile da niemanden. Ich freue mich über jeden, der da ist. Die institutionelle Bindung an die Kirche ist heute eben einfach nicht mehr so sehr Bestand vom Glaubensleben. Die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs sagt nicht unbedingt etwas über die Christlichkeit des Menschen aus.

Dass mich ausgerechnet ein katholischer Priester darin bestärken würde, meinen Agnostizismus auch im Gottesdienst nicht zu verleugnen, hätte ich vor dem Gespräch mit Spreitzer nicht erwartet. Ich hatte mit mehr Strenge gerechnet – und deutlich weniger Verständnis. Ich freue mich noch Tage später über dieses Gespräch. Ich habe das Gefühl, dass es uns irgendwie beide weitergebracht hat. Mich auf jeden Fall. Denn ich habe zwar schon vorher im Gottesdienst nur das mitgemacht, was ich mit meinem Gewissen vereinbaren konnte. Aber erst jetzt weiß ich, dass ich mich deshalb nicht schuldig fühlen muss.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zum ersten Mal am 22.12.2017 und war besonders beliebt – daher möchten wir ihn noch einmal mit euch teilen und haben ihn aktualisiert.

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