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Gendergerechte Sprache hat ein Imageproblem

Illustration: Julia Schubert

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Liebe*r Leser*in,

diese Anrede gefällt dir nicht, zumindest rein statistisch gesehen. Denn gegenderte Sprache ist nichts für die Deutschen: Kaum jemand nutzt sie, die allermeisten halten sie für Unfug und die Debatte dazu für übertrieben. Das zeigt nicht nur eine repräsentative Umfrage, die vom Verein Deutsche Sprache in Auftrag gegeben wurde. Das merkt man auch, wenn man sich in Deutschland umhört: Da braucht man „einen neuen Hausarzt” oder muss noch „zum Fotografen”, bildet Plurale wie „Sieger“, „Autofahrer“ und „Studenten“ – unabhängig welchen Geschlechts diese Menschen tatsächlich sind. Gegenderte Sprache ist hierzulande aber nicht nur unbeliebt. Sie ist in einigen Kreisen zum Feindbild geworden, wird als „Genderwahn” bezeichnet. In unseren Kommentarspalten schrieb kürzlich einer, er wolle „Femen“ dafür „gerne ins Gesicht spucken“.

Aber woher kommt der Hass? Was hat die gegenderte Sprache uns getan? Ihre Verfechter*innen meinen: Eigentlich nur Gutes. Gegenderte Sprache soll unsere Welt gerechter machen, indem sie neben dem generischen Maskulinum auch noch andere Geschlechter in der deutschen Sprache sichtbar macht. Das dürfte doch keinem wehtun?

Aber vermutlich liegt darin das Problem: Dass einige nicht sehen, dass geschlechtergerechte Sprache eben doch jemandem wehtut. Sie gendern daher nicht nur ihre eigene Sprache, sondern ziehen auch aus, um andere zu bekehren. Aber wer möchte schon gerne bekehrt werden? Vermutlich niemand. Vor allem niemand, der alles in Ordnung findet, wie es ist.

„Geschlechtergerechte Sprache bedeutet vor allem Arbeit, Einsatz und Energie“

Gravierende, gesellschaftliche Veränderungen sind nie einfach. Besonders, wenn sie etwas so Alltägliches treffen wie unsere Sprache. Die Deutschen befürchten ohnehin schon lange ihren Verfall. Zu präsent sind die vielen Anglizismen, Abkürzungen – oder eben Unterstriche und Sternchen, die den gewohnten Lesefluss stören.

Die Psychologin Anelis Kaiser ist Professorin für Gender Studies in Freiburg, forschte zuvor in Bern, unter anderem zum Thema „Geschlecht und Sprache”. Sie sagt: „Geschlechtergerechte Sprache klingt holpriger und umständlicher, wird länger. Sie bedeutet für viele also vor allem, Arbeit, Einsatz und Energie. So wird das Gendern oft als störend empfunden.”

Gegenderte Sprache schafft aber nicht nur ein Schriftbild ab, an das wir uns gewöhnt hatten. „Sie stellt auch die Grundordnung in Frage, mit der viele Menschen zufrieden waren.“ Nämlich die zweigeschlechtliche Gesellschaft, das „Ying und Yang“ aus Mann und Frau.

Wer gendergerechte Sprache verwenden will, muss sich also aus seiner eigenen Komfortzone quälen. Dafür braucht es Motivation. „Aber viele Leute empfinden die Debatte als überflüssig. Sie gehen davon aus, dass es kein Problem gibt, weil Frauen eh immer mitgemeint sind“, erklärt Kaiser. „Das wurde zwar aus wissenschaftlicher Sicht schon vor etwa 30 Jahren als falsch erwiesen. Die Mühe erscheint ihnen dann aber trotzdem oft als Verschwendung.” 

Viele empfinden die gegenderte Sprache also nicht nur als unschön, sondern auch als wenig effektiv. Schließlich beschreibt das Genus eines Wortes nicht immer auch sein Geschlecht: „Die“ Lampe und „der“ Stuhl sind ja eigentlich auch Neutrum, haben aber männliche oder weibliche Artikel. Warum also lange umformulieren, wo das generische Maskulinum im Deutschen doch sowieso jeden einschließen soll?

Denn Sprache schafft Realität. „Vielen Männern macht das sogar Angst“, sagt Anelis Kaiser. „Sie fürchten, dass ihnen mit der zusätzlichen Betonung anderer Geschlechter im übertragenen Sinne selbst weniger Raum gegeben wird. Dass man ihnen vielleicht auch auf anderen Ebene etwas wegnimmt.“ Der Gedanke ist nachvollziehbar: Was, wenn die Sprache nur der Anfang ist? Und sich unsere Weltordnung in der Folge ebenfalls radikal ändern würde, Männer ihre Privilegien abgeben müssten?

Für einen persönlichen Angriff bedankt sich niemand

 

Aber es sind ja nicht nur Männer, die gegenderte Sprache für überflüssig halten. Auch viele Frauen stellen sich vehement als „Student“, „Lehrer“ oder „Sachbearbeiter“ vor. Hinweise darauf, dass sie sich doch auch „Studentin“, „Lehrerin“ oder „Sachbearbeiterin“ nennen könnten, nerven sie oft nur.

Um das zu verstehen, hilft es vielleicht, es bildlich vorzustellen: Zwei Menschen plaudern auf ihrer Veranda über eine Astronautin, die zur ISS geschickt werden sollte. Dabei nennen sie sie aber „Astronaut“. Eine junge Frau kommt vorbei, aufgerüstet bis übers Kinn – und zwar mit Argumenten, warum diese Unterhaltung den Frauen dieser Welt gegenüber unfair sei. Die Beiden werden sich für die ungebetene Kritik kaum bedanken. Auch dann nicht, wenn die Verfechterin ihre Forderungen mit wissenschaftlichen Ergebnissen rechtfertigen kann.

Anelis Kaiser sagt: „Viele Menschen erleiden durch den Hinweis, dass geschlechtergerechte Sprache angebracht wäre, einen regelrechten Schock. Sie fassen die Kritik als persönlichen Angriff auf.“ Der verletze sie besonders. „Denn die Leute haben die Sprache ja nicht erfunden, sie beteiligen sich lediglich daran und fühlen sich nicht verantwortlich für die Ausdrücke, die sie gelernt haben.“

Automatisch entsteht das Gefühl, dass eine*r überlegen, der/die andere unterlegen wäre

Ein weiteres Problem ist auch die Machtverteilung in solchen Diskussionen: Eine*r belehrt – und der/die andere, wird belehrt. Automatisch entsteht ein Gefühl von Über- und Unterlegenheit. Und Letzteres will man natürlich nicht einfach so akzeptieren.

Was folgt ist: Abwehr. Die Schotten sind dicht, kein Argument wird mehr durchdringen zu dem Menschen, der politische Korrektheit inzwischen eh für übertrieben hält. Seine Position verhärtet sich, plötzlich findet er sich im Kampf für den Erhalt der eigenen Sprache wider. Gendern ist für ihn letztlich nicht mehr als die wahnwitzige Erfindung einer wütenden Minderheit.

Auch Anelis Kaiser sieht, dass gegenderte Sprache inzwischen ein Imageproblem hat. „Es könnte sich tatsächlich lohnen, das Thema etwas verspielter anzusprechen“, sagt sie. Aber sie erklärt auch, warum das vielen Verfechter*innen schwer fällt: „Eine solche Änderung durchzubekommen, ist kein leichter Job. Da denkt man schnell: Bevor sich jetzt wieder 30 Jahre lang nichts tut, müssen wir eben etwas konsequenter und fordernd  werden. Da braucht es eine gewisse Zielgerichtetheit.“

Aber vielleicht liegt genau darin der Schlüssel zum besseren Image: Geschlechtergerechte Sprache zwar zielgerichtet und selbstbewusst in den eigenen Alltag zu integrieren, wo immer es geht – sie aber nicht zu predigen. Denn auch, wenn man vom eigenen Standpunkt absolut überzeugt ist, gibt einem das weder das Recht noch die Möglichkeit, ihn auch anderen aufzuzwingen.

Stattdessen ließe sich der eigenen Vorschlag vermutlich subtiler über das eigene Vorbild verbreiten, anstelle es anderen mahnend vorzuhalten. Denn das Schöne an Sprache ist ja: Sie wird gehört, gelesen – und früher oder später verstanden. Wenn man den Empfänger*innen nur genug Raum gibt, sich eigene Gedanken dazu zu machen.

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