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Horror-Date: Die Schlafwandlerin

Erst Jahre später erfuhr unser Autor, was bei diesem Date schief gelaufen war.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Dating-Situation: Spontaner Tinder-Sex um ein Uhr

Geschlecht und Alter des Dates: weiblich, circa 24

Vibe des Dates: Mischung aus Keinohrhasen-Slapstick und David Lynch-Grusel

Horrorstufe: 10 von 10 (vor allem für sie)

Wenn es einen Gott gibt, dann muss er ein gelangweilter Teenager sein. Und menschliches Leben für ihn nichts anderes als eine Art Youtube-Prank-Channel, auf dem er ab und zu – statt Hausaufgaben zu machen – zuschaut, wie diese armen kleinen Wesen unten auf der Erde gedemütigt werden. Die folgende Geschichte lässt keinen anderen Schluss zu. 

Es betrug sich wie folgt: Vor einigen Jahren, Samstagnacht um ein Uhr, war ich auf Tinder unterwegs. Mona, die eigentlich anders heißt, einen Kilometer entfernt, schrieb mir: Sie sei gerade auf einer Party bei mir in der Nähe, würde aber jetzt gehen und ob man sich noch treffen wolle. Wollte man. Wir trafen uns an einer Kreuzung, spazierten ein bisschen, gefielen uns und gingen zu mir. Harmloser Spaß. Bei mir tranken wir Bier und redeten, bis sie meinte: „Okay, wir wissen doch eigentlich beide, auf was das jetzt hinausläuft, oder?“ Wussten wir. Wir hatten Sex. Danach schliefen wir zusammen ein.  Irgendwann früh morgens, so gegen sechs Uhr, wachte ich auf. Mona war nicht da. Ihre Klamotten schon. „Klo“, dachte ich und schlief wieder ein. Eine Stunde später war ich wieder wach und Mona war immer noch weg. „Klo??“, dachte ich und schaute nach. Sie war nicht auf dem Klo und auch nirgendwo sonst in der Wohnung. Irgendwas war hier ganz entschieden faul. Ich stellte verschlafen Hypothesen auf. Meine zwei brauchbarsten waren: Sie hatte Klamotten von mir angezogen und war Brötchen holen gegangen. Oder: Sie war unter dem Bett und kicherte psychotisch. Letztere war schnell widerlegt. Erstere war extrem unwahrscheinlich. 

Nach einigen Minuten stumpfsinnigen Vor-mich-Hinstarrens entschied ich mich für moderne Kommunikation. Ich rief auf ihrem Handy an. Es war in ihrer Hosentasche auf dem Boden. Ich wurde nervös. Ich googelte: „One Night Stand Frau morgens verschwunden ohne Klamotten“. Die Suchergebnisse waren ausnahmslos unbrauchbar. 

Ich öffnete die Wohnungstür und schaute auf den Gang. Nichts. Ich wartete. Überlegte. Die Polizei anrufen? Die Tinder-Service-Hotline anrufen? 

Dann klopfte es an der Tür. Ich machte auf, schaute nach links und rechts. Niemand da. Grusel. Ich wartete wieder. Es klopfte wieder. Ich machte wieder auf, rief zögerlich in den Flur: „Mona?“ Und da, hinter einer Ecke ein paar Meter entfernt, schaute ein bleiches Gesicht hervor. Mona. Nackt. Sie huschte ohne ein Wort an mir vorbei in die Wohnung und fing sofort an, sich mit starrem Blick ihre Klamotten anzuziehen. 

„Ich … was ist passiert?“

„Können wir bitte nicht darüber reden?“

„Kann ich dir irgendwie helfen?“ 

Konnte ich nicht. Sie zog sich an und ging.

Später an dem Tag schrieb sie mir dann noch. Es täte ihr leid, sie wisse auch nicht genau, was da los war. Und ob ich das bitte für mich behalten könne. Ich versicherte ihr, dass ich das könne und rief gleich danach mehrere Freunde an und erzählte ihnen alles. Ohne ihren Namen zu nennen immerhin.

Ich wusste nie, was genau passiert war. Bis ich vergangenen Herbst Mona wiedergetroffen habe, beim Feiern. Angetrunken und mit einigen Jahren Abstand konnte sie über Nackt-im-Flur-Gate reden. Ihr Teil der Geschichte ging so: Sie hatte geschlafwandelt. Das sei ihr weder davor noch danach passiert, jedenfalls nicht, dass sie wüsste. Sie war aus meiner Wohnung spaziert, wie der Herr sie schuf, und sei wohl durch die verzweigten Gänge des riesigen 70er-Jahre-Baus gelaufen, bis sie aufgewacht war. Sie hatte Panik bekommen und keine Ahnung gehabt, wo meine Wohnung war. Meinen Nachnamen kannte sie nicht. Alle Gänge und Türen sahen gleich aus. Und bald würden die Menschen aufstehen, aus ihren Wohnungen kommen und sie finden und es würde der schmachvollste Moment ihres Leben sein. Sie hatte versucht, sich irgendwie zu erinnern, welchen Weg wir von der Haustür zu meiner Wohnung gegangen waren und irgendwann war ihr nur noch übrig geblieben, in dem Gang, in dem sie die richtige Tür vermutete, systematisch an Türen zu klopfen, wegzurennen und hinter einer Ecke hervorzuspähen, wer öffnen würde. Das hatte aber nicht richtig geklappt, weil die wenigen, die überhaupt öffneten, nicht weit genug herauskamen, so dass sie sie hätte sehen können. Bis sie hörte, wie ich ihren Namen rief.

Und das war alles, was sie dazu sagen konnte. Sie tat mir wahnsinnig leid. Teenager-Gott, ich hoffe, du hattest deinen Spaß. Mach jetzt Hausaufgaben.

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