Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Horror-Date: Betreutes Blinddate wider Willen

Bei unserer Autorin funkte es gar nicht – der Datingpartner hingegen malte sich schon die Flitterwochen aus.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Dating-Situation: Minigolf unter Aufsicht und mit Aussicht auf Flitterwochen

Geschlecht, Alter und Vibe des Dates: männlich, Mitte 20, pragmatische Einstellung zur arrangierten Ehe

Horrorstufe: 8 von 10

Es war in meinem ersten Semester im Sommer 2011. Ich war 19, gerade fürs Studium in eine Kleinstadt gezogen, kannte niemanden, und versuchte Anschluss zu finden. Zum Glück war ich mit dieser Einsamkeit nicht allein. Und so saß ich in der Montagsvorlesung jede Woche neben Vicky und Judith. Beide pendelten und unsere Freundschaft war auf „Einführung in die Soziologie“ beschränkt. Eineinhalb Stunden, jeden Montagvormittag im Audimax, danach ein gemeinsames Essen in der Mensa. Den Rest der Woche sahen wir uns nicht. 

Als Vicky ein WG-Zimmer fand, wurde aus unserer Montagsfreundschaft eine echte. Mit Judith blieb das Verhältnis oberflächlich, da wir sehr verschieden waren. Aber etwas verblüffte mich an ihr: ihr schon im Detail geplanter Lebensentwurf. Im dritten Semester wollten sie und ihr Freund sich verloben, im vierten heiraten und im fünften schwanger werden, damit sie pünktlich mit der Abgabe ihrer Bachelorarbeit mit dem Muttersein beginnen konnte. Ich fand es befremdlich, aber fühlte mich von Judiths Erzählungen gut unterhalten. Von den wilden Kneipentouren erzählte ich ihr nur die softe Version, denn ich hatte Angst, sie zu schockieren. Vicky machte es genauso. Als Judith mir einmal während der Vorlesung zuzischelte, dass sie mich gerne verkuppeln würde, lachte ich nur und sagte „jaja“. Dabei  hätte mir klar sein müssen, dass Menschen wie sie nichts dem Zufall überlassen.

„Die ganze Zeit fragte ich mich, was wir hier eigentlich machten“

An einem Sonntag schrieb sie mir, dass ein Single-Freund („wirklich lieb, mit gutem Beruf und ernsten Absichten“) uns nach der Vorlesung treffen würde. Er würde sich sehr auf das Blinddate mit mir freuen. Überrumpelt versuchte ich, mich herauszuwinden, aber Judith ließ mir keine Chance. Er hätte sich extra am Montag Urlaub genommen, Zugtickets gekauft, weil er zwei Stunden anreisen müsste, und beim Minigolfplatz drei Plätze für uns reserviert. Sie würde uns mit ihrem Auto auch hinfahren. Absagen war nicht möglich. Ich beschwerte mich bei Vicky. Statt Mitleid mit mir zu haben, lachte sie mich aus. Als Rache schrieb ich Judith, dass Vicky großer Minigolf-Fan wäre und gern mitkommen würde. 

Nach der Vorlesung holten wir Kai, der eigentlich anders heißt, vom Bahnhof ab und fuhren zum Minigolfplatz. Kai, Vicky und ich saßen zusammengequetscht in Judiths kleinem Auto, weil auf dem Beifahrersitz ihr Mini-Hund in einer Tragetasche stehen musste. Während sie uns fuhr, zwinkerte sie mir durchgehend im Rückspiegel zu. Kai und ich hatten nichts gemeinsam, kein Thema, das uns beide interessierte, kein Musikgenre, das wir beide mochten, und kannten keine Filme, die wir beide gesehen hatten. Die ganze Zeit fragte ich mich, was wir hier eigentlich machten. Vicky und ich schauten uns nicht an. Die Angst, laut loszulachen, war zu groß.

Kai flirtete nicht mit mir, er verhandelte

Judith hatte recht gehabt: Kai war lieb und freundlich, aber eben auch sehr ernst. Meine Scherze verstand er nicht. Sie verwirrten ihn eher. Zwischen uns existierte keine Anziehung. Dennoch hatte er wohl Interesse. Er flirtete nicht mit mir, sondern verhandelte – so, als sei zwischen uns schon alles klar. Es fühlte sich nicht wie ein Date an, sondern wie ein Tarifgespräch.

Es ging für ihn nicht darum, ob wir uns wieder sehen würden, sondern wie unsere für ihn bereits feststehende, gemeinsame Zukunft aussehen würde. Er wäre bereit, für mich in die Uni-Stadt zu ziehen, damit wir keine Fernbeziehung führen müssten. Bis dahin müssten wir uns aber einigen, ob wir uns jedes oder jedes zweite Wochenende sehen würden. Er fände es auch schön, wenn ich nach der Hochzeit seinen Namen annehmen würde. Ich war perplex, fühlte mich unwohl und pfefferte den Minigolfball ins nächste Gebüsch, um Abstand zu gewinnen. Diese Abwehrstrategie wiederholte ich, als er mich fragte, wie viele Kinder ich mir wünschte, und noch einmal, als er wissen wollte, wie die perfekten Flitterwochen für mich aussehen würden.

Nach zwei Stunden, die mir wie ein ganzes Leben vorkamen, war es vorbei. Judith fuhr uns zurück zum Bahnhof, wir verabschiedeten uns sachlich und tauschten Mailadressen aus. Als Kai mit dem Zug und Judith samt Mini-Hund auf dem Beifahrersitz abgezogen waren, schauten Vicky und ich uns ungläubig an. Es war so absurd, dass wir nicht einmal lachten. Ich dachte, dass sich die Blinddate-Aktion damit erledigt hätte. Doch am nächsten Tag schrieb mir Kai eine Mail, schwärmte von unserer Verabredung und bat um ein weiteres Treffen. Seine Gefühle wollte ich nicht verletzen, auch wenn ich mich auf keinen Fall noch einmal mit ihm treffen wollte. Also log ich, schrieb, dass ich es auch nett fand, doch der Altersunterschied zu groß sei und es mir leid täte. Am folgenden Montag war Judith sichtlich enttäuscht, weil sie sich schon Doppeldates mit ihrem Freund und uns ausgemalt hatte, aber flüsterte, dass sie noch jemanden kennen würde, der dringend eine Freundin suchte, und fragte, ob ich kommende Woche bereit für das nächste Blinddate wäre. Dieses Mal könnten wir Tretboot fahren gehen. Ich lehnte dankend ab.

* Unsere Autorin möchte zum Schutz ihrer Privatsphäre anonym bleiben, ist der Redaktion aber bekannt.

  • teilen
  • schließen