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Horror-Mitfahrgelegenheit: Der pöbelnde Säufer

Grafik: jetzt

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Die Strecke: Von Frankfurt nach München

Der Fahrer: Handwerker Manu, auf Montage

Die Horrorstufe: 9 von 10

Vielleicht hätte ich früher skeptisch sein müssen – aber woran erkennt man schon einen Alkoholiker? Am Bierbauch? Das ist doch ein Klischee, dachte ich mir, als Manu in seinem klapprigen Kastenwagen am vereinbarten Treffpunkt vorgefahren kam. Manu sollte mich von Frankfurt nach München mitnehmen. Er war Handwerker, Mitte 20, aus der Nähe von Berchtesgaden und in Frankfurt auf Montage gewesen. Weitere Fakten, bei denen man Vorurteile haben könnte. Aber beim Einsteigen machte ich mir darüber keine Gedanken. Vielmehr war ich froh, dass der Fahrer einigermaßen pünktlich gekommen war und auf den ersten Blick nicht ganz verkehrt zu sein schien.

Das änderte sich nach der ersten Ampel. „Kannst du mir was zu trinken vorgeben?“, fragte mich Manu und deutete mit dem Daumen auf eine Getränkekiste auf der Ladefläche des Kastenwagens. Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass es sich um einen Bierkasten handelte – in dem bereits drei Flaschen fehlten. Hatte er sich die schon von der Fahrt gegönnt? Egal, dachte ich mir, ein Bier mehr oder weniger würde Manus Fahrkünste schon nicht allzu sehr beeinträchtigen, zudem wollte ich die durchaus positive Stimmung zwischen uns beiden nicht gleich wieder kaputtmachen. Also gab ich ihm sein Bier.

„A Blondes“, jubelte Manu beim Anblick der Flasche, bevor er sie sich in den Mund steckte und mit den Zähnen öffnete. „Aaaah!“, machte er beim ersten Schluck genüsslich. Nebenbei hatte er den Kastenwagen auf die Autobahn bugsiert und steuerte ihn mit für das röchelnde Gefährt erstaunlicher Geschwindigkeit auf Würzburg zu. Das Bier in der rechten, das Lenkrad in der linken Hand, heizte er die linke Spur entlang.

Dabei überzog er die anderen Verkehrsteilnehmer, die seiner Meinung nach viel zu langsam unterwegs waren, mit Beleidigungen, für die ihm Björn Höcke einen Orden verliehen hätte. „Geh zua!“, brüllte er einem Fahrer vor uns zu, um sich dann erklärend an mich zu wenden: „A Inder.“ Die würden schließlich Autos noch nicht so lange kennen, kein Wunder, dass sie nicht fahren könnten. Anschließend orderte er bei mir das nächste „kühle Blonde“, nicht ohne mir auch eins anzubieten. Ich lehnte dankend ab.

Nach weiteren „Schleich di, du N****!“, „Mir san hier ned beim Samba!“ und „Gibst mir no oans?“-Rufen gerieten wir bei Nürnberg in einen Stau. Dachte ich zumindest. Manu aber fuhr einfach weiter. Er benutzte die Rettungsgasse, wich auf den Standstreifen aus – und das alles mit einem Bier in der Hand und mindestens vier Bier im Bauch. Die drei, die er eventuell schon vor der Fahrt getankt hatte, nicht mitgezählt. Entsprechend riskanter wurden seine Manöver, immer knapper trat er auf die Bremse. Mehrere Male hätten wir fast ein anderes Auto gerammt, was nur deshalb nicht passierte, weil die anderen Fahrer rechtzeitig reagierten und vor dem rasenden Kastenwagen und seinem besoffenen Steuermann auswichen.

Ich fühlte mich immer unwohler, traute mich aber auch nicht, etwas zu sagen. Zum einen war ich damals erst 19 oder 20 und mit diesem pöbelnden Raser alleine im Auto, zum anderen erschien mir eine Diskussion mit Manu nicht wirklich erfolgsversprechend. Ich war mir sicher, dass er mich im Fall einer Meuterei einfach auf dem nächsten Parkplatz rausschmeißen würde. Das typische Dilemma einer Mitfahrgelegenheit also.

Als mich Manu vor meiner Haustür absetzte, hatte er sich sieben Bier reingestellt und fast vier Unfälle gebaut

Nachdem wir den Stau hinter uns gelassen hatten, klärte mich Manu allen Ernstes darüber auf, er würde besonders vorsichtig fahren, wenn er Mitfahrer dabei habe. Allein sei das anders, klar, da wolle er einfach nur schnell ankommen. Aber wenn fremde Menschen im Auto seien, ginge das natürlich nicht. Man habe ja Verantwortung. Ich sagte nichts.

Als mich Manu vor meiner Haustür absetzte, hatte er sich sieben Bier reingestellt und fast vier Unfälle gebaut. Keine schlechte Bilanz für vier Stunden Fahrt. Ich jedenfalls war froh, dass ich und alle anderen mit dem Leben davon gekommen waren.

Ein paar Tage später habe ich mir noch einmal Manus Bewertungen durchgelesen. Bestimmt hatte sich schon vor mir jemand über den saufenden Fahrer beschwert und ich hatte es während meiner hektischen Buchung einfach übersehen. Denkste. Alle lobten die zügige und sichere Fahrt. Einer schrieb sogar: „Manu sorgt für das leibliche Wohl seiner Mitfahrer, es gab Verpflegung für die ganze Mannschaft.“

Wahrscheinlich hätte ich es einfach genauso machen sollen – und mittrinken müssen.

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