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Horror-Mitfahrgelegenheit: Telefon-Deals bei 200 Sachen

Illustration: jetzt

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Die Strecke: von Berlin nach Hamburg

Der Fahrer: Andy („Work hard, play harder, verstehste?“)

Die Horrorstufe: 8 von 10

Vielleicht hätte ich schon gleich merken müssen, dass irgendwas an dieser Mitfahrgelegenheit nicht stimmte. Dass ich lieber den langen Weg zum Berliner ZOB hätte antreten sollen, um den Bus von Berlin nach Hamburg zu meinen Eltern zu nehmen, anstatt mit Andy mitzufahren. Da war zunächst Andy selbst. Als er mir auf dem Parkplatz am Alex zuwinkte, dachte ich, der sieht ja gar nicht aus wie ein sympathisch versiffter Student im 18. Semester. Eher wie ein Model aus dem Otto-Katalog. Nach hinten gegelte schwarze Haare, weißes Polohemd, an dessen Kragen eine Sonnenbrille baumelte, weiße Shorts und dazu braune Loafers oder wie diese Yachtclub-Schuhe heißen. Zweitens war da sein Auto. Einen 5er BMW sieht man als Mitfahrer nicht häufig. Aber ich dachte mir nichts dabei. Andy schien normal freundlich und die Fahrt versprach, bequemer und vor allem schneller zu werden als in diesen halblegalen Kleinbussen mit den rumänischen Fahrern. Cool, dachte ich.

Der erste Dämpfer kam, als ich einstieg. Denn hinten saßen schon zwei nicht gerade kleine Jungs. Vorne saß eine Frau und in ihrem Fußraum kauerte ein Dackel. Andys Dackel. Enger kriegt man auch einen 5er BMW nicht. Na gut, dachte ich, wenigstens geht’s dann ja schnell, und zwängte mich hinter Andys Fahrersitz.

„Was? Hunderttausend? Digger, dem müssen wir viel mehr abknöpfen!!“

 

Schnell wurde es dann auch. Nur leider viel zu schnell. Es gibt ja diese Fahrer (eigentlich immer männlich und in großen Autos deutscher Fabrikate) auf der Autobahn, bei denen man sich fragt was eigentlich in deren Leben schiefgelaufen ist, dass die so dicht auffahren müssen, ständig die Lichthupe blitzen lassen und einfach alle anderen nur stressen? Tja, genau so ein Fahrer war Andy. Die Tachonadel durfte unter keinen Umständen unter 200 km/h sinken.

Das war aber nicht das Schlimmste. Denn während er über die Autobahn bratzte, telefonierte er quasi ununterbrochen über seine Freisprechanlage – und zwar in einer Lautstärke, die alle anderen Konversationen unmöglich machte. Offenbar hatte Andy richtig viel zu tun. Was er genau beruflich machte, konnte ich trotz Zwangszuhörens zwar nicht ermitteln, aber auf jeden Fall ging es offenbar um ziemlich viel Geld. Einen Deal nach dem nächsten machte er am Telefon klar. „Was? Hunderttausend? Digger, dem müssen wir viel mehr abknöpfen!!“ So oder ähnlich brüllte er in sein Lenkrad, während er dem Polo vor uns fast in die Heckscheibe fuhr.

Fand er es geil, sich vor wildfremden Menschen zu profilieren? Oder war das alles nur Show?

Aber die knallharten Geschäfte waren nur die eine Seite von Andy, wie wir anderen vier durch zahlreiche weitere Gespräche bald erfuhren. Denn Andy war auch ein Player. Und so einer muss eben auch Golfpartien und Segeltörns auf Sylt organisieren. „Nee, diesmal komme ich nicht mit dem Flieger, ich will halt die Karre dabei haben. Aber mein Swing ist wieder richtig geil, Alter! Und danach, naja, weißt du ja, wie immer. Haha, work hard, play harder, verstehste?“, ließ er seine Zuhörer und Mitfahrer wissen.

Leider hatte ich nicht wie mein Nachbar Kopfhörer dabei und musste deshalb alles mithören. Um die Zeit zu vertreiben, warf ich im Kopf die Gedanken über Andy hin und her. Warum ist so ein angeblicher Hot-Shot auf die 50 Euro von einer Mitfahrer-Tour angewiesen? Fand er es geil, sich vor wildfremden Menschen zu profilieren? Oder war das alles nur Show und Andy arbeitet tatsächlich am Info-Stand im Baumarkt und am Wochenende mietet er sich halt nen BMW und macht sich nen Spaß mit seinen Kumpels, die er anruft? Ich wäre wirklich nicht überrascht gewesen, wenn Andy irgendwann angehalten hätte und uns eine Filmcrew begrüßt hätte. Aber am Hamburger Hauptbahnhof sagte Andy nur „Ciao“ und die Performance – oder was auch immer das gerade gewesen war – endete damit, dass alle Mitfahrer hastig bezahlten und so schnell es ging aus Andys BMW flüchteten. Als ich im HVV-Bus zu meinen Eltern saß, freute ich mich über diese echt langsame Busfahrt so sehr wie noch nie zuvor in meinem Leben.

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