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Horror-Nebenjob: Am Fließband in der Tierfutterfabrik

Manche Jobs sind schlimmer als andere – dieser hier zum Beispiel.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Manche Jobs sind schlimmer als andere – in dieser Serie erzählen wir von unseren und euren schrägsten  Nebenjobs. Diese Geschichte hat Jonas erlebt und uns am Telefon erzählt.

Horror-Stufe: 9 von 10

Chef: Schwebte in einer Glaskabine über der Halle, blieb dennoch unsichtbar. Also: seltsam.

Bezahlung: knapp unter 10 Euro die Stunde

Erlernte Skills: souverän Kisten stapeln

„Eigentlich hätte ich schon bei meinem Bewerbungsgespräch ahnen können, dass das nichts wird. Das Gespräch führte ein netter Herr, der für eine Zeitarbeitsfirma Jobs vermittelte. In meinem Fall ging es um einen Job bei einem Hersteller für Tierfutter. Ich suchte einen Nebenjob, weil mein Studium im vergangenen Jahr coronabedingt später begann als geplant. Irgendwann kamen wir in dem einstündigen Gespräch darauf, dass ich Abitur gemacht habe. Da stutzte er auf einmal und begann, mir den Job auszureden: Er sei körperlich anstrengend, die Kollegen seien nicht einfach. ,Machen Sie das lieber nicht‘, sagte er. Aber ich dachte mir nur: So schlimm wird es schon nicht sein. Meine Eltern hatten früher auch als Produktionshilfen gearbeitet, als sie studiert hatten. Ihnen hat es dort gefallen. Warum nicht auch mir? 

„Irgendwann begann ich vor Langeweile, die Sekunden zu zählen“

Die Arbeit an sich war machbar. In einer gigantischen Halle in einem Industriegebiet stand ich am Ende eines 150 Meter langen Fließbandes. Am anderen Ende kamen Kisten, gefüllt mit Tierfutter für Hunde und Katzen, aus einem Loch in der Wand gefahren. Meter für Meter verpackten und etikettierten meine Kolleginnen und Kollegen das Futter. Ich schaute ihnen dabei zu und wartete darauf, dass die Kisten auf mich zugefahren kamen. Bei mir angekommen, packte ich sie mit beiden Händen, drehte mich einmal um 180 Grad und stapelte sie auf einer Palette. Das war’s. Dann kam die nächste Kiste. So ging das acht Stunden am Tag. 

Immer etwa 20 Sekunden dauerte es, bis die nächste Kiste bei mir ankam. Wie schön, könnte man meinen, da kann man sich kurz ausruhen. Aber das Gegenteil war der Fall. Diese 20 Sekunden waren das Schlimmste an der Arbeit. 20 Sekunden warten – damit kann man nichts anfangen! Man kann sich mit nichts anderem beschäftigen, außer 20 Sekunden auf die nächste Kiste zu starren. Mich zermürbte diese Wartezeit. 

Irgendwann begann ich vor Langeweile, die Sekunden bis zur Ankunft der nächsten Kiste zu zählen. Eins, zwei, drei, vier … Mal waren es 18, mal 23 Sekunden. Als auch das Zählen langweilig wurde, begann ich, die durchschnittliche Wartezeit auszurechnen, um meinen Kopf irgendwie zu beschäftigen. Es machte mich fertig.

Erschwerend hinzu kamen die Vorarbeiter – ständig bekam man von ihnen Anschiss. Ich singe und pfeife beim Arbeiten unglaublich gern. Charts-Songs oder irgendwelche Melodien, die mir in de Kopf kommen. Das wurde mir aber schon am zweiten Tag verboten. Mit der Begründung, es würde aussehen, als hätte ich nicht genug zu tun. Und wenn das der große Chef sehen würde, dann würde er noch mal zwei Stellen streichen an den Fließbändern. Ich wollte keinen Ärger. Also hörte ich mit dem Pfeifen auf.

Als ich nicht mehr pfeifen durfte, fiel mir die Knast-Stimmung um mich herum noch deutlicher auf. Wenn ich an den Arbeitsplatz kam, wurde ich von Metalldetektoren gescannt. Dann ging es weiter zur Händewasch-Maschine. Die Maschine hat einem gesagt: ,Jetzt schrubben.‘ Dann: ,Jetzt bitte die Seife auf den Händen verteilen.‘ Alles wurde einem diktiert und vorgegeben. Ich kam mir wie ferngesteuert vor. Alle trugen weiße Leibchen und weiße Hosen, darunter weiße T-Shirts und auf dem Kopf eine Haube. Der ganze Arbeitsplatz wirkte steril. 

„Jeder einzelne Arbeitstag machte mich kaputt“

Nur der Geruch in der Halle war alles andere als steril. Die Maschinen waren recht störanfällig. Und so kam es vor, dass sie Kartons aufschlitzten oder vom Band stießen. Dann lagen die Fleischstücke auf dem Boden rum. Der Geruch verteilte sich in der ganzen Anlage und kroch in alle Poren hinein. Es roch wie ein Stück Speck, das man zwei, drei Jahre unter dem Bett liegen lassen hat. 

Jeder einzelne Arbeitstag machte mich kaputt. Da ich schon um vier Uhr morgens aufstehen musste und mich die monotone Arbeit noch müder machte, bin ich nach Feierabend nur noch heim, habe etwas gegessen und bin ins Bett. Die Probezeit dauerte zwei Wochen, ich hielt es keinen Tag länger aus. Rückblickend finde ich es erstaunlich, dass ich überhaupt so lange durchgehalten habe. Und vielen ging es wohl ähnlich: In den zwei Wochen habe ich fast jeden Tag neue Gesichter gesehen. 

Mir fiel dann auch wieder ein, was mir der Mann im Vorstellungsgespräch noch erzählt hatte: Mein Vorgänger kam schon am dritten Tag nicht mehr. Wenn mir ein Arbeitgeber das nächste Mal von einem Job abrät, werde ich auf ihn hören.“

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