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Horror-Nebenjob: Body Shaming im Klamottenladen

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Horror-Stufe: 7 von 10

Chef*innen: US-Amerikanische Manager*innen mit Stasi-Methoden

Bezahlung: etwa 12,50 Euro die Stunde

Erlernte Skills: T-Shirts falten, englische Begrüßung aufsagen

Eigentlich beginnt die Geschichte meines Horror-Nebenjobs schon 2007. Damals war ich 14 und zum ersten Mal in einer amerikanischen Mall, beim Schüleraustausch. Besonders die Klamottenläden, in denen man schon an der Tür mit einer „Hey, what’s up“ begrüßt wurde, fand ich obercool. Wir sparten unser Taschengeld zusammen, um uns dort ein teures, duftendes T-Shirt mit großer Aufschrift zu kaufen, was wir dann zurück in Deutschland stolz auf Partys trugen.

Jedenfalls liegt es sicher auch an diesen sehr positiven Erinnerungen, dass ich etwa zehn Jahre später in genau so einem Laden als Aushilfe landete, zumindest ein paar Monate lang. Dabei war schon die Art, wie ich an den Job gekommen bin, etwas sketchy. Zwei sehr junge, sehr schöne Menschen sprachen mich an, als ich in der Innenstadt einkaufen war: „Hey, wir haben dich gesehen und du entsprichst genau unserem Look, hast du Lust, mal zu einem Vorstellungsgespräch vorbeizukommen?“ Ehrlicherweise fühlte ich mich sehr geschmeichelt. Das Ganze fühlte sich ein bisschen nach Casting an – und ich war eine Runde weiter!!! Und einen Job konnte ich damals sowieso gut gebrauchen, weil ich gerade im ersten Semester an der Uni angefangen hatte. Also sagte ich zu.

Noch bevor der Laden überhaupt offiziell eröffnet wurde, wurden wir trainiert: Wie faltet man Shirts (dreifach) und wie Hosen (vierfach) so akkurat, dass sie perfekt gerade, mit dem Logo nach vorne im Regal liegen? Wie begrüßen wir die Kund*innen (auf Englisch) und wie verabschieden wir sie („Follow us on Twitter!“). Zwischen Begrüßung und Verabschiedung durften wir auch Deutsch mit den Kund*innen sprechen – der erste und der letzte Satz der Interaktion musste aber genau das sein. Was übrigens für viel Verwirrung vor allem bei älteren Menschen sorgte.

Beim Fitting meiner Arbeitskleidung wurde ich in eine viel zu enge Jeans gesteckt

Im Laden war es immer laut, dunkel, parfümiert und kalt. Wir alle mussten bei der Arbeit aber immer bestimmte Outfits tragen, egal wie warm oder kalt es war – etwa Flip-Flops und Hotpants, auch im Januar. Weil zusätzlich die Klimaanlage konstant lief (und angeblich auch nur von der Zentrale in New York aus verstellt werden konnte) waren wir alle dauerhaft erkältet. 

Um unsere Größe für besagte Outfits herauszufinden wurden wir an unserem ersten Arbeitstag „gefittet“. Nur in der dann festgelegten Größe durften wir von da an die Outfits tragen, das wurde, wie einfach alles in diesem Laden, streng kontrolliert. Beim Fitting wurde ich in eine viel, viel zu enge Jeans gesteckt, in der ich mich nur mit kleinen Trippelschritten bewegen konnte. Als ich das vorsichtig anmerkte hieß es nachdrücklich, das müsste so, „skinny“ und so. Im Nachhinein denke ich, dass die Manager*innen uns so dazu bringen wollten abzunehmen, um besser in unsere festgelegte Größe zu passen.

Generell drehte sich bei diesem Job alles nur um unser Aussehen – und kein bisschen darum, wie engagiert oder fleißig wir arbeiteten. Alle Angestellten waren in drei Kategorien eingeteilt, die sich rein aus dem Aussehen erschlossen, und was tatsächlich offiziell so kommuniziert wurde: Models, Kassierer*innen und Lagerarbeiter*innen. Wer davon wie angesehen im Laden war, das kann man sich vorstellen. Ich arbeitete an der Kasse, solide Mittelschicht also, was meinen Attraktivitäts-Faktor anging.

Die ganz klare Botschaft im ganzen Laden war: Je dünner, desto besser (bei den Frauen) und je mehr Sixpack, desto besser (bei den Männern). Das wurde mehr oder weniger deutlich immer wieder kommuniziert – manchmal eher indirekt, zum Beispiel über eine ermäßigte Mitgliedschaft im Fitnessstudio. Einmal wurde ich aber auch direkt darauf angesprochen, ob ich nicht mal wieder etwas mehr auf meine Ernährung achten wolle. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich reagiert habe – aber ich weiß noch genau, dass ich in der Zeit zum ersten Mal angefangen habe, auf Kalorien zu achten.

Wenn die Augenringe tief waren, hieß es: Keller

Es gab auch sonst penible Regeln, wie wir auszusehen hatten: Für Frauen war zum Beispiel Kajal verboten, genauso wie „zu viel“ Mascara, bunter Nagellack oder Pferdeschwänze. Die Männer mussten immer frisch rasiert und ohne Gel in den Haaren zur Arbeit kommen. Wer diese Regeln nicht ernst nahm wurde vor der Schicht mit Einweg-Rasierer oder Abschminkpads auf die Toilette geschickt.

Eigentlich arbeitete ich ja an der Kasse – aber manchmal wurde ich spontan woanders eingesetzt. Die Botschaft war klar: Wer einen äußerlich guten Tag hatte, der wurde auch mal an eine Model-Position geschickt. Wenn die Augenringe tief waren, hieß es: Lager. Das war unangenehm auf so vielen Ebenen: jeder, Manager*in und Angestellte*r wussten genau, was Sache war. Und alle anderen natürlich auch. So stellten die Manager*innen immer wieder sicher, dass es eine ganz klare Hierarchie im Laden gab – und jede*r sich auch anstrengte, jeden Tag möglichst fresh auf der Arbeit zu erscheinen.

Für meine Gesundheit war der Job aber bestimmt nicht gut. Und das lag nicht nur an der eisigen Klimaanlage und dem unterschwelligen Body-Shaming. Charakteristisch für den Laden war nämlich auch der sehr aufdringliche Geruch. Es gab sogar ein extra Team, das sich nur darum kümmerte, dass dieser Duft in jede Pore von Kleidungsstücken und Menschen im Laden eindrang. Es gab also Kolleg*innen von mir, die den ganzen Tag mit riesigen Sprühflaschen voll mit Duft rumlaufen mussten, mit denen sie dann Kleidung und Luft besprüht haben. Das Problem war nur: Auf diesen Flaschen stand eine Gesundheitswarnung: „Bitte nicht in geschlossenen Räumen sprühen!“ Der Laden war aber ein mehr als geschlossener Raum – denn alle Fenster waren immer vollständig abgedunkelt und geschlossen. Uns zu beschweren, das haben wir uns damals nicht getraut. Noch heute bilde ich mir manchmal ein, den Duft in der Nase zu haben. 

Aber: Ich habe ein paar richtig gute Menschen dort kennengelernt. Nachdem ich schließlich gekündigt hatte, hat es dann aber schon ein paar Monate gedauert, bis ich das Dünn-Sein und Fresh-Aussehen wieder aus meinem Kopf bekommen habe. Heute arbeite ich in einem Job, indem es auf meine Arbeit ankommt und nicht auf mein Aussehen – und auch nicht darauf, wie „skinny“ meine Jeans ist.

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