Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Horror-Party: Schnaps für 400 Euro in der Touristenfalle

So gut die Feier eigentlich war - das Nachspiel hat der Autorin die Erinnerung auf jeden Fall verdorben.
Illustration: Jaqueline Kuhn

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Man vergisst leicht, dass Feiern nicht immer nur spaßig ist. In dieser Serie erzählen wir deshalb von den schlimmsten Partys, auf denen wir in unserem Leben waren. Viel zu viel Alkohol, grässlich langweilige Verwandte, emotionale Tiefpunkte – es gibt ja viel, das eine Feier vermiesen kann. Falls du selbst von einer schlimmen Party erzählen willst: Schreib uns eine Mail an info@jetzt.de!

Horrorstufe: 9 von 10

Center of Attention: Zwei naive Touristen

Trinkverhalten: Von Angst gelähmt

Ein Freund und ich hatten uns – ohne Angst vor Klischees – nach dem Abi einen alten VW-Bus gekauft und waren damit bis nach Istanbul gefahren. In der ersten Nacht bummelten wir dort durch eine große, belebte Straße, in der Hoffnung, vielleicht mit jungen Einheimischen ins Gespräch zu kommen, die uns mitnehmen würden in Szene-Kneipen und uns zu wilder Live-Musik Tanzschritte und Trinkrituale beibringen würden, bevor wir uns beim Sonnenaufgang über dem Bosporus ewige Freundschaft schwören würden. Und ins Gespräch kamen wir dann auch. Mit Anıl.

Anıl war auf einmal da. Er war begeistert von uns: Deutsch? Nein, was für ein Zufall! Deutschland ist mein Lieblingsland! Stuttgart, Düsseldorf! FC Bayern! Autos! Merkel! Ich habe Verwandte in Deutschland! Ich bin selbst oft in Deutschland gewesen! 

Als hinter der nächsten Ecke zufällig ein befreundeter Taxifahrer wartete, wurde ich misstrauisch

Dass jemand unsere Bekanntschaft machen wollte, wunderte uns nicht – wir waren ja eindeutig interessante Persönlichkeiten. Es gab also keinen Grund für uns behütete Wohlstandsbürschchen, an den aufrichtigen Absichten von Anıl zu zweifeln. Erst, als er uns ziemlich eindringlich einlud, uns das eigentliche Partyviertel der Stadt zu zeigen und als hinter der nächsten Ecke zufällig ein befreundeter Taxifahrer wartete, wurde ich misstrauisch. Ich sagte meinem Freund, dass das hier ziemlich offensichtlich nicht ganz sauber sei. Er meinte nur: „Jetzt sei halt nicht so negativ!“ und stieg ein.

Wir fuhren lange durch dunkle Gassen, bis wir an einer Tür mit Neonschild ankamen. Dahinter führte ein Treppe hinunter in eine Art unterirdisches Café, in dem laute Trash-Hits liefen. Dort gab es genau vier Kategorien von Menschen: 

A: Riesige, gefährlich dreinschauende Männer, die die Rollen von Türstehern, Barkeepern und Bedienungen übernahmen. 

B: Massiv geschminkte Frauen in knappen Glitzerkleidern, die scheinbar zufällig alle in dieser abgelegenen Spelunke gelandet waren.

C: Kleine Zweier- oder Dreier-Grüppchen männlicher, westeuropäischer Touristen, die jeweils an einem der Tische platziert worden waren.

D: Jede der Grüppchen hatte einen Anıl, der für sie bei den gefährlichen Bedienungen bestellte und die Touristen unterhielt mit: Ah! France! Zinédine Zidane! Eiffel Tower! I love Sweden! IKEA! My uncle lives in London, Eiffel Tower! Cars!

Auch wir wurden an einen Tisch gesetzt und sofort quetschten sich drei der Frauen zwischen uns, da ihnen schrecklich langweilig sei und ihnen nur dann weniger langweilig wäre, wenn wir ihnen Sekt spendieren würden. Wir wollten das nicht, aber Anıl bestellte einfach eine Flasche Raki und ein winziges Tellerchen Obst und meinte, es ginge auf ihn und dass wir nicht so schüchtern sein sollen. Eine Art aufgepumpter Elitesoldat-Kellner in weißem Hemd und Schürze brachte den Schnaps mit finsterem Blick und alle um uns wurden immer aufdringlicher. 

Ein gieriger Schatten verfinsterte sein Gesicht

Mein Freund schien das alles mittlerweile auch eher negativ zu bewerten. Zum Zeichen, dass wir beide gehen wollten, nickten wir uns zu, bevor wir überhaupt nur einen Schluck Raki getrunken hatten. Ich sagte es Anıl und ein gieriger Schatten verfinsterte sein Gesicht. „Nagut. Schade, aber nagut. Ihr müsst natürlich noch zahlen.“ „Du hast uns doch eingeladen?“ „Das habt ihr falsch verstanden.“ „Ah, okay.“ 

Der Kellner brachte einen handgeschriebenen Zettel, auf dem umgerechnet die Summe von 400 Euro für eine kleine Flasche Raki und ein Tellerchen mit Apfel- und Orangenschnitzen stand. Ich musste lachen. „WHY DO YOU LAUGH?!“, donnerte der Kellner. Naja, das könne ja nicht stimmen. Doch, meinte er, hier stehe es ja. Er habe es aufgeschrieben. „Das zahlen wir nicht.“ Seine Halsadern pulsierten voller Wut und er rief nach einem weiteren Kellner. „Wollt ihr uns in unserem eigenen Laden bestehlen??!!!“ Anıl schüttelte enttäuscht den Kopf. Der Kellner hatte jetzt meine Schulter gepackt und mein Gesicht ganz nah an seines gezogen. „YOU PAY NOW!“ „Wir haben nicht so viel Geld ...“, winselte ich mit der Stimme einer kastrierten Reptilienfutter-Maus. 

„Ihr hättet wenigstens die Flasche Raki austrinken sollen“

Seine Lösung: Der andere Kellner würde meinen Freund als Geisel dabehalten und er selbst würde mit mir zum nächsten Geldautomaten gehen. Ich willigte aus Mangel anderer Alternativen ein. Als wir die Treppe hoch wollten, kam uns eine weitere Gruppe deutscher Touristen entgegen und ich flüsterte ihnen zu, dass das hier eine miese Falle sei. Mein Bewacher hörte es und stieß mich gegen die Wand: „WHAT DID YOU SAY TO THEM??“ Ich, ganz piepsig: „Nothing … I only said hi … Germans, you know? Bayern München, Merkel …“ Er knurrte. Und bei aller Komik, mit der ich im Nachhinein versucht habe, dieses Erlebnis vor mir selbst zu verharmlosen: Spätestens, als ich an die Wand gedrückt wurde, hatte ich richtig Angst. Ich war mir in diesem Moment sicher, dass wir nicht körperlich unversehrt aus der Geschichte herauskommen würden.

Aber schlimmer kam es nicht. Ich hob die 400 Euro ab, wir zahlten und wurden freigelassen. Als wir gingen, meinte Anıl noch: „Ihr hättet wenigstens die Flasche Raki austrinken sollen. Der ist echt. Ein bisschen Spaß haben, nachdem ihr die 400 Euro eh schon gezahlt habt.“ Er hatte recht, der Gute. Aber wir huschten nur unter ängstlichem Quieken in die Nacht hinaus und ließen in dieser dunklen Touristenfalle für immer unser Vertrauen in das freundliche Lächeln Fremder zurück.

  • teilen
  • schließen