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Horror-Urlaub: Der unerreichbare Vulkan

Illustration: Federico Delfrati

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Urlaubszeit: Sommer 2001

Urlaubsziel: Sizilien

Mitreisende: Cousine und Eltern

Horror-Stufe: 3 von 10

Meine Eltern hatten schon immer eine tiefe Abneigung gegenüber der Vorstellung, ihren Urlaub im lauwarmen Pool einer All-Inclusive-Hotelanlage zu verbringen oder sich in einem Pulk von Touristen wie Schafe von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten treiben zu lassen. Urlaub bedeutete bei uns daher schon immer, neue Orte auf eigene Faust zu erkunden – und dafür bin ich heute sehr dankbar. Das war aber nicht immer so. Denn so unerträglich durchgetaktete Busreisen oder ähnliche geführte Touren auch sein mögen, die Guides kennen sich vor Ort zumindest aus. Das konnte man von uns eher nicht behaupten, als wir vor vielen Jahren Urlaub auf Sizilien machten.

Ich war damals sieben, meine Cousine fünf. Wir waren mit meinen Eltern mit der Fähre nach Sizilien gefahren und erkundeten die Insel mit dem Auto. Wir entdeckten unzählige Seegurken und ein gespenstisches Schiffswrack am Strand – ein richtiger Abenteuerurlaub eben. Da durfte auch der Ätna, der höchste aktive Vulkan Europas, nicht fehlen. Im Reiseführer, dem wichtigsten Accessoire meiner Eltern, stand, dass man auf den auch ganz leicht wandern könne. Meine Eltern fanden: Wenn man schon die Möglichkeit hat, auf einen echten, aktiven Vulkan zu spazieren, dann sollte man das auch tun. Wir hätten auch Plätze in einem Bus buchen können, der alle paar Stunden Touristen zum Kraterrand bringt, aber das kann ja jeder.

Wir waren schon eine gefühlte Ewigkeit unterwegs – und sahen immer noch nichts anderes als Bäume

Am Fuß des Vulkans angekommen, sahen wir vor allem eins: Bäume. Kein Vulkangestein, keine glühende Lava, nur Bäume. Wenn man direkt vor einem Berg stehe, sehe man den eben nicht so gut wie von weiter weg, so die Erklärung meiner Eltern. Außerdem fange das Vulkanartige erst weiter oben an. Also gingen wir los. Eine ganze Weile lang ging das auch gut. Wir folgten einem schmalen Pfad bergauf durch den Wald. Der Schatten der Bäume machte die schwüle Hitze erträglich und die Aussicht, bald auf einem Vulkan zu stehen, ließ uns etwas schneller gehen. Dass wir unterwegs keine anderen Menschen trafen, hätte uns stutzig machen können. Aber wir waren zu abgelenkt von den wilden Orchideen und den ersten Brocken Vulkangestein. Bald würde der Wald zu Ende sein und den Blick auf eine schwarze Vulkanlandschaft freigeben, so dachten wir. Das tat er aber nicht.

Langsam kippte die Stimmung. Wir waren schon eine gefühlte Ewigkeit unterwegs – und sahen immer noch nichts anderes als Bäume. Dann versperrte uns auch noch ein Zaun den Weg. Wir kletterten darüber – uns hätte klar sein können, dass dieser Zaun einen Sinn hatte: Dahinter lebte eine Herde riesiger Wildschweine. Vielleicht waren es auch eher mittelgroße behaarte Hausschweine, aber in meiner Erinnerung sind sie noch immer sehr imposant. Dementsprechend schnell kletterten wir wieder zurück über den Zaun. Wir versuchten, das Schweinegehege zu umgehen und gerieten in noch unwegsameres Gelände, stapften durch Gebüsch und über Wurzeln.

„Ich hab schon überall blutige Kratzer!“, klagte meine Cousine über die Schrammen an ihren Beinen. Mein Vater bereute so langsam, das schwere Kamerastativ mitgeschleppt zu haben. Inzwischen waren wir gut zwei Stunden lang gewandert. Heute klingt das für mich nach einem Spaziergang, jetzt habe ich aber auch längere Beine. Als auch ich anfing rumzujammern und meine Eltern an unserem Plan zu zweifeln begannen, gaben wir auf und drehten um. So viele Schritte, so viele Kratzer – alles umsonst.

Wie zum Teufel kann man einen Vulkan nicht finden, der direkt vor einem steht?

Um uns Kinder aufzuheitern, brachte meine Mutter uns auf dem Weg zurück ein Lied bei, von dem ich heute noch alle vier Strophen auswendig kann. So langsam stieg die Stimmung wieder und wir gaben das Schmollen auf. Doch die große Frage blieb: Wie zum Teufel kann man einen Vulkan nicht finden, der direkt vor einem steht? Die Antwort bekamen wir wenig später, als wir uns mit dem Auto vom Startpunkt unserer Wanderung entfernten und einen besseren Blick auf die Landschaft hatten. Wir waren nicht auf den Ätna gewandert, sondern auf einen Hügel vor dem Ätna. In sanftem Grün lag der Hügel da – und dahinter der schwarze Vulkan, unser unerreichtes Ziel. Wir hatten schlicht nicht den richtigen Startpunkt gefunden. Wie wir das nicht schon bei der Hinfahrt erkennen konnten, verstehe ich bis heute nicht.

Am Tag darauf erreichten wir unser Ziel dann doch noch – in einem der geländegängigen Touri-Busse. Tatsächlich war es auch ohne Wanderung ziemlich beeindruckend, auf dem Ätna zu stehen. Doch im Gegensatz zu den anderen Touristen konnten wir von uns behaupten, dass wir es zumindest versucht hatten, diesen Vulkan zu Fuß zu bezwingen. Heute würde ich es ganz genauso machen wie meine Eltern damals. Nur hätte ich eine Karten-App dabei.

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