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Horror-Urlaub: der Elektroschocker im Rucksack

Illustration: Julia Schubert

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Horror-Stufe: 7 aus 10

Mitreisende: eine Kommilitonin und ein Kommilitone

Urlaubsort: die philippinische Insel Palawan

Die verstörendste Begegnung meines Lebens machte ich auf einer philippinischen Insel. Gerade mal eine Woche zuvor war ich für mein Auslandssemester in das Land eingereist, hatte mich in einem Zimmer in Manila eingerichtet und war dann losgefahren, um vor Semesterbeginn noch das Land zu bereisen. Dabei begleiteten mich ein Kommilitone und eine Kommilitonin, beide ebenfalls Deutsche, die schnell zu Freund*innen wurden. Mit ihnen saß ich also an unserem zweiten Abend auf Reisen in einem kleinen Restaurant und freute mich über die Farben am Himmel. Bis uns ein Amerikaner ansprach. Ob er sich setzen dürfe? Er durfte. Der Mann war schätzungweise Anfang 60, ein bulliger, lauter Typ. Sobald er Platz genommen hatte, begann er, uns ohne Nachfrage seine Geschichte zu erzählen.

Er sei Mitglied der US-Army, von hohem Rang, bilde hier seit zwanzig Jahren philippinische Soldaten aus. Inzwischen spreche er fließend Tagalog, beherrsche sogar ein Dutzend Dialekte. Daher wisse er auch, wie gefährlich es in Manila sei. Der Mann, nennen wir ihn Carl, war weiß, grauhaarig und trug viel goldenen Schmuck: eine Uhr, mehrere Ringe, ein Armband, Ketten um den Hals. Dinge, die man in einem so armen Land eigentlich besser nicht zur Schau stellt. Aber Carl fühlte sich ohnehin überlegen. Er sagte, letztens habe er in einem Fastfood-Restaurant mitgehört, wie drei Männer untereinander die Methode besprachen, mit der sie ihn später ausrauben und danach töten wollten. Am Ende seien sie ihm wirklich gefolgt, allerdings habe er sie besiegt. Immerhin habe er seine Waffen dabei gehabt. „Diese Idioten.“ Wie genau er sie besiegt hatte, wollte er nicht sagen.

„Kommt mit in mein Hotelzimmer, da zeige ich euch etwas, mit dem ihr euch verteidigen könnt“

Ab diesem Zeitpunkt ging es nur noch um dieses Thema: Waffen, ihre Wirkung und Notwendigkeit. In den USA habe er in seinem Auto sechs Stück verteilt. So habe er von jedem Platz aus eine griffbereit. Die Gefahr lauere schließlich überall. Auch hier auf den Philippinen habe er ein großes Set dabei, das dürfe er als Army-Offizier zum Glück.

Ich bin Pazifistin und war entsetzt. Darüber, wie paranoid sich der Mann teilweise äußerte und wie wenig er vor Waffengewalt zurückschreckte. Aber natürlich machten auch mir die Geschichten aus Manila Angst. Immerhin würde ich dort noch sieben weitere Monate verbringen und Carl hörte nicht auf, zu sagen: „Hier komplett ohne Schutz herzukommen, besonders für so junge, weiße Mädels wie euch – das ist doch Wahnsinn.“ Irgendwann machte er uns ein Angebot: „Kommt mit in mein Hotelzimmer, da zeige ich euch etwas, mit dem ihr euch verteidigen könnt. Das könnt ihr mitnehmen.“

Ich wollte nicht und hatte richtig Angst. Immerhin hatte ich gelernt, dass man A) nicht einfach so mit fremden Männern auf deren Hotelzimmer geht und dass man das B) vor allem dann nicht tun sollte, wenn der Mann eine bis auf die Zähne bewaffnete Kampfmaschine ist. Aber meine Freundin fand die Vorstellung, ein Mittel zur Verteidigung zu haben, gut. Sie willigte ein. Mein Freund und ich gingen mit, um sie im Notfall zu schützen.

Wir leuchteten uns mit einer Taschenlampe den Weg, die eigentlich eine Waffe war

Zwanzig Minuten später standen wir zu viert in seinem Zimmer. Die Stimmung war gespenstisch, als Carl einen Koffer aufklappte, in dem sich tatsächlich einige Waffen befanden, hauptsächlich Schusswaffen. Er zog dort aber auch eine Taschenlampe heraus. Beziehungsweise etwas, das aussah wie eine Taschenlampe. „Ihr seht, sie leuchtet“, sagte Carl stolz und blendete uns in die Gesichter. „Aber sie kann noch mehr.“ Er legte einen kleinen Schalter um, richtete die Taschenlampe gen Boden und drückte einen Knopf. Aus der „Taschenlampe“ schossen Blitze, die sich am Boden festhielten. Sie war ein verdammter Elektroschocker.

„Das Teil könnt ihr problemlos im Flugzeug mitnehmen. Handgepäck oder Aufgabe – ganz egal. Das erkennt das System nicht, das hat es noch nie.“ Auf Drängen des Amis nahm meine Freundin das Geschenk an, auch wenn uns anderen dabei überhaupt nicht wohl war. Zehn Minuten später spazierten wir aus seinem Hotel – lebendig, juhu – und leuchteten uns mit einer Taschenlampe den Weg, die eigentlich eine Waffe war.

Am nächsten Tag wollten wir weiterreisen. Nur war für den Elektroschocker im Gepäck meiner Freundin kein Platz. Sie bat mich, ihn zu nehmen. Nach ein wenig Protest willigte ich ein und stopfte ihn ins unterste Abteil meines Rucksacks. In jenes enge Fach also, wo eigentlich ein Regenschutz sein sollte, den ich aber nicht dabei hatte.

„Ma’am, you have a stunning device in your luggage“

Über die nächsten Wochen vergaßen wir den Elektroschocker einfach. Denn da waren Wale, Koboldmakis und traumhafte Strände – aber kein Platz für negative Gedanken. Während des Auslandssemesters fiel mir der Schocker zwar hin und wieder ein, aber nicht, wo er sich befinden könnte. Schließlich begegnete er mir nie beim Ein- und Auspacken des Rucksacks, ich musste ihn meiner Freundin zurückgegeben haben.  

Ich flog die nächsten Monate sorglos in Länder mit sehr strengen Gesetzeslagen. Der Rucksack war immer mit dabei in Hongkong, Singapur, Indonesien mit Bali. Und dann, als ich aus Bali zurück nach Manila gekehrt war, piepte es zum ersten Mal bei der Gepäckdurchsuchung auf dem Weg nach draußen. Der Sicherheitsbeamte sagtemit absolutem Entsetzen in Augen und Stimme zu mir: „Ma’am, you have a stunning device in your luggage.“

Mit einem Schlag fiel mir die Waffe ein. Ich bebte, war plötzlich voller Adrenalin. Müsste ich jetzt ins Gefängnis? Nur eine Strafe zahlen? Eigentlich sollte ich doch in einer Woche zurück nach Deutschland fliegen! Auch der Sicherheitsbeamte mir gegenüber dachte offenbar über all das nach. Er schaute sich dann aber um, wer seine Entdeckung mitbekommen hatte. Leise raunte er zu mir: „Woher hast du denn das, um Himmels willen?“ Ich antwortete völlig aufgelöst, ein Amerikaner habe es mir gegeben. Offenbar war das eine gute Antwort. Der Sicherheitsbeamte erklärte mir schnell, dass er das Teil nun einfach behalten würde, wenn es recht sei. Ich bedankte mich tausendmal und verließ schnell den Fluhafen. Auch rückblickend bin ich immer noch unfassbar erleichtert, dass die Waffe von diesem Sicherheitsmann gefunden wurde, der offensichtlich mit mir sympathisierte. Sonst hätte diese Geschichte wohl mit Horrorstufe 10 von 10 geendet.

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