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4553 Euro Brutto für den Archivar

Als Archivar bewertet Falk alte Akten und macht sie für die Öffentlichkeit zugänglich. Dabei erhält er Einblicke in unterschiedlichste Lebensbereiche.
Foto: Privat/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Am spannendsten findet Falk alte Mordhandakten. Für ihn ist das wie eine True Crime Serie auf Netflix zu schauen. Manchmal taucht die eigene Adresse in den Quellen auf, er erfährt, wie die Polizei ermittelt hat, wie die Täter:innen ticken und kann sich Fotos vom Tatort anschauen. Aber, betont er, Sensibilität ist hier natürlich besonders gefragt. 

Was ich als Archivar mache 

„Archive sind das schriftliche Gedächtnis unserer Gesellschaft. Als Archivar:innen in einem Staatsarchiv bewerten wir überwiegend Unterlagen, die die Verwaltung für die tägliche Arbeit nicht mehr benötigt. Was wir als archivwürdig einstufen, kommt ins Staatsarchiv. Der Rest wird datenschutzkonform vernichtet." 

Wir gehen all die Akten durch und versuchen, am Ende einen repräsentativen Schnitt abzubilden. Zum Beispiel nehmen wir besonders interessante Verfahren, die es in die Presse geschafft haben, aber auch ganz normale Standard-Fälle.  Was wir nicht archivieren, wird für die Nachwelt nicht überliefert. Um unsere Entscheidung nachvollziehbar und transparent zu machen, schreiben wir auf, welche Akten wir aus welchen Gründen übernehmen. Ich überlege immer genau, warum ich gerade diese Akte nehme und die anderen nicht. Wir sind dafür verantwortlich, das Bild nicht zu verzerren. Wenn sich Leute in 50 oder 100 Jahren die Akten anschauen, könnte sonst der Eindruck entstehen, dass beispielsweise nur Schwerverbrecher vor Gericht gelandet sind. Außerdem erschließen wir die Quellen inhaltlich und machen sie nutzbar für die Öffentlichkeit. Die Auswertung der Quellen überlassen wir in den meisten Fällen der Wissenschaft.“ 

Wie man sich ein Archiv vorstellen kann

„Jedes Bundesland in Deutschland hat ein eigenes Landes- beziehungsweise Staatsarchiv, in so einem arbeite auch ich. Außerdem gibt es ein Bundesarchiv, Kommunalarchive, Kirchenarchive, Herrschafts-, Haus und Familienarchive, Wirtschaftsarchive, Parlaments- und Parteiarchive, Medienarchive und Hochschularchive.

Wenn die Unterlagen zu uns kommen, bereiten wir sie konservatorisch auf. Wir entmetallisieren die Akten, verpacken sie in säurefreie Mappen und Kartons und lagern sie in Rollregalen in unserem Magazingebäude. Dort herrscht eine konstante Temperatur von ungefähr 18 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit. Unser Magazin hat auch keine Fenster, damit kein Licht oder Schädlinge in die Nähe des Papiers kommen. Im Schnitt übernehmen wir nur ein bis fünf Prozent der Unterlagen, denn es gibt eine Obergrenze an Stauraum. Würden wir alle Archivalien nebeneinanderlegen, würden wir auf eine Gesamtlänge von 40 Kilometern kommen. Aber irgendwann ist auch der Platz in unserem Magazin belegt und wir werden ein Neues brauchen. Allerdings kommen zukünftig auch immer mehr digitale Unterlagen zu uns ins Archiv.“

Welche Frage mir auf Partys immer gestellt wird 

„Die meisten Leute können sich entweder gar nichts unter meinem Beruf vorstellen oder denken, ich würde in dunklen, staubigen Kellern sitzen und den ganzen Tag in Papierakten wühlen. Wir alle haben ein ganz normales Büro und arbeiten nicht im Magazingebäude. Da gibt es nämlich tatsächlich kein Tageslicht und es ist ziemlich kalt. 

Ich versuche meistens zu zeigen, wie vielfältig der Beruf ist: Ich erhalte viele Einblicke in unterschiedlichste Lebensbereiche. Ich erfahre zum Beispiel, wie die Polizei, ein Gericht oder die Sozialbehörde arbeitet oder früher gearbeitet hat, wie Arbeitslosengeld oder Wohngeld zugeteilt wird und Fälle beim Jugendamt bearbeitet werden. Manchmal sage ich aber auch nur, dass ich im öffentlichen Dienst arbeite. Das finden die meisten eher langweilig und stellen keine Nachfragen.“ 

Welche die spannendsten Akten im Archiv sind 

„Wir übernehmen regelmäßig alte Ermittlungsakten der Kriminalpolizei, sogenannte Mordhandakten. Einmal waren das Akten aus den 1930er bis 1970er Jahren. Das fand ich wahnsinnig spannend. Es ist ein wenig so, als würde man eine True Crime Serie auf Netflix schauen. Wie ticken Serienmörder? Wie führen Leute Verbrechen aus? Wie werden die überhaupt ermittelt? Bei der Erschließung konnte ich mir Tatortberichte anschauen mit Fotos, Skizzen, Asservaten, wie Patronenhülsen, Textilproben oder Fingerabdrücken. Die Informationen in solchen Akten sind natürlich sehr sensibel, weshalb sie Schutzfristen unterliegen. Da darf man erst reinschauen, wenn die Schutzfristen abgelaufen und die betroffenen Personen sehr wahrscheinlich nicht mehr am Leben sind.

Ansonsten sind auch die Entnazifizierungsakten sehr spannend. Welche Menschen haben sich während der NS-Zeit mitschuldig gemacht? Waren sie in der Politik tätig und haben wichtige Entscheidungen getroffen? Dazu kommen häufig Anfragen, zum Beispiel im Rahmen von Straßenbenennungen. Auch einige Universitäten fangen mittlerweile an, ihre Namensträger aufgrund solcher Erkenntnisse zu ändern.“

Vorstellung vs. Realität 

„Wenn man sich für den Berufsweg entscheidet, sollte man sich bewusst sein, dass man nicht den ganzen Tag nur damit verbringt, in alten historischen Dokumenten zu recherchieren oder Forschungsarbeiten zu veröffentlichen. In erster Linie bewerten wir historische Unterlagen, verwahren sie und machen sie für die Nutzung zugänglich, zum Beispiel auch für Ausstellungen in Museen oder für Dokumentarfilme. 

Was auch ein Mythos ist: Wir heben alles auf. Wir übernehmen als Staatsarchiv nur einen kleinen Prozentteil. Zu uns kommen häufig Leute, die zum Beispiel nach der Personalakte ihres Großvaters fragen, der in der Verwaltung angestellt war. Es kann sein, dass wir seine Akte nicht haben, weil wir nur eine Auswahl an Personalakten übernehmen und genau diese Akte nach unseren Kriterien nicht archivwürdig war.“

Welche Rolle Digitalisierung in meinem Beruf spielt 

„Die Digitalisierung spielt auch im Archiv eine große Rolle. Die Verwaltung arbeitet immer mehr digital. Das heißt, dass auch wir immer mehr digitale Unterlagen übernehmen. Das stellt uns aber vor ganz neue Herausforderungen: Die wenigsten Dateiformate lassen sich nach 15 oder 20 Jahren noch öffnen, geschweige denn nach 100 Jahren. Wir suchen nach Strategien, wie wir Daten langfristig speichern können, aber die perfekte Lösung gibt es noch nicht.

Häufig werden wir auch gefragt, warum wir nicht einfach alles digitalisieren und die Papierakten wegwerfen. Wir haben einfach viel zu viel. Der Aufwand und die Kosten, das alles zu digitalisieren, wären enorm hoch. Außerdem ist es mit der Digitalisierung nicht einfach getan. Wir wollen ja am Ende nicht nur Bilddateien haben, sondern müssen jeden Scan mit den richtigen Metadaten versehen, damit er später auffindbar ist.“

Wie ich zu dem Job gekommen bin 

„Ich habe mich schon sehr früh für Geschichte interessiert, wollte das aber nicht einfach nur studieren, ohne eine konkrete Jobperspektive zu haben. Mein Onkel war Archivar und hat mich auf diesen Beruf aufmerksam gemacht. Ich habe dann erst zwei Semester den Bachelorstudiengang Archiv an der Fachhochschule in Potsdam studiert. Parallel dazu habe ich mich auf das duale Studium beworben, bis es bei einem größeren Staatsarchiv geklappt hat. Das duale Studium ist ein dreijähriger Vorbereitungsdienst. Für die Zeit wird man bereits verbeamtet. Eineinhalb Jahre ist man im Archiv, eineinhalb Jahre lernt man die Theorie an der Archivschule in Marburg. Nach drei Jahren habe ich die Staatsprüfung zum Diplom-Archivar gemacht und mich dann auf meine erste Stelle beworben.“

Welche Eigenschaften man als Archivar braucht 

„Ich würde sagen, man sollte schon an Geschichte interessiert sein und wissen, wie wichtig historische Dokumente für die Nachwelt sind. Man sollte auch nicht kontaktscheu sein, anders als das Klischee es suggeriert. Man hat laufend Kontakt mit Kolleg:innen, Behörden und vor allem Leuten, die das Archiv nutzen, wie Wissenschaftler:innen, Privatpersonen, Anwält:innen, Erbenermittler:innen oder Familienforscher:innen. Und man sollte aufgeschlossen sein gegenüber digitalen Technologien. Im Laufe der Zeit kommen immer mehr Unterlagen in digitaler Form ins Archiv. Daraus ergeben sich für uns immer wieder neue Herausforderungen.“

Wie mein Arbeitsalltag aussieht 

„An einem typischen Mittwoch bin ich zwischen acht und neun Uhr im Büro und schaue erstmal in mein Postfach. Um zehn Uhr haben wir dann Teambesprechung. Ansonsten bearbeite ich zwischendurch Anträge auf Schutzfristverkürzung, also wenn jemand Einsicht in eine Akte haben möchte, die noch nicht freigegeben ist.  

Letzten Mittwoch hatte ich nachmittags einen Termin mit einer Arbeitsgruppe, mit der wir ein Dokumentationsprofil für die Überlieferung der Corona-Pandemie erstellen. Wir überlegen im Austausch mit anderen Behörden und nichtstaatlichen Einrichtungen, welche Unterlagen das Pandemiegeschehen besonders gut widerspiegeln, zum Beispiel die des Gesundheitsamts. In der Gesellschaft entsteht zunehmend der Wunsch, dass man das Pandemiegeschehen irgendwie aufarbeiten soll. Wir ermöglichen damit langfristig, dass die Nachwelt bei zukünftigen Pandemien auf die Erfahrungen aus der vergangenen zurückgreifen kann. Außerdem habe ich noch andere Aufgaben und Projekte. Ich bin unter anderem Ausbildungsleiter für unsere dualen Student:innen im gehobenen Dienst.“

Was der Beruf mit meinem Privatleben macht 

„Ich glaube, im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten habe ich ein wenig mehr Verständnis, wenn ich zum Beispiel bei privaten Behördenanfragen länger auf eine Rückmeldung warten muss. Als Insider weiß ich, dass selbst die effizienteste Organisationsstruktur Probleme wie Personalknappheit nicht immer ausgleichen kann. Was ansonsten ein bisschen typisch ist: Mir ist digitale Datensicherheit sehr wichtig. Ich weiß, wie unsicher Datenträger wie USB-Sticks sind und sichere meine Daten deshalb mehrfach. Und ich bin auch privat ein ordentlicher Mensch. Ansonsten interessiere ich mich auch in meiner Freizeit für Geschichte, gehe gerne ins Museum oder besichtige häufig Burgen und Schlösser.“  

Wie viel ich als Archivar verdiene

„Als Beamter im öffentlichen Dienst verdiene ich in der Besoldungsgruppe A11 aktuell 4553 Euro brutto. Damit bin ich zufrieden. Ich kenne einige Leute, die finden, Beamte seien überbezahlt. Das würde ich nicht sagen. Der Staat konkurriert als Arbeitgeber mit der freien Wirtschaft. Die zahlt häufig besser. Da muss der Staat als Gegenleistung auch etwas anbieten, damit Leute sich für den öffentlichen Dienst entscheiden.“

Wie KI im Archiv genutzt wird 

„Erste Überlegungen KI zu nutzen gibt es bereits. Ein Archiv in der Schweiz hat zum Beispiel einen großen Fotobestand mit Hilfe von KI erfasst. Das waren mehrere zehntausend Fotos. Normalerweise ist es so, dass wir die Fotos manuell mit Schlagworten versehen müssen, damit wir sie in der Datenbank suchen können. Eine gut trainierte KI kann das lernen und übernehmen. Es gibt mit Sicherheit in vielen weiteren Bereichen die Möglichkeit, KI einzusetzen. Aber da sind wir noch ganz am Anfang.“

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