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5500 Euro Brutto für den Leasing-Krankenpfleger

Foto: Privat/Bearbeitung: SZ Jetzt

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In Deutschland herrscht Pflegenotstand. Bis 2030 werden laut einer Hochrechnung des Deutschen Krankenhausinstituts über 180.000 Stellen fehlen. Leasingfirmen vermitteln temporär Pflegekräfte an medizinische Einrichtungen und können so helfen, Personalmangel zu überbrücken. Tim ist eine von ihnen.

Was ich als Leasingkrankenpfleger mache 

Ich bin ein ganz normal ausgebildeter Krankenpfleger. Gerade arbeite ich aber nicht für ein Krankenhaus, sondern für eine Leasingfirma, die mich an Pflegeeinrichtungen vermittelt. Ich habe einen überregionalen Vertrag. Das heißt, ich kann in Kliniken innerhalb eines Radius von 200 Kilometern eingesetzt werden. Es gab aber auch schon Ausnahmen, bei denen ich fast 400 Kilometer von meinem Wohnort entfernt gearbeitet habe. Ich habe immer das Recht, Einsätze abzulehnen. Gleichzeitig werde ich dafür bezahlt, flexibel zu sein. Alles abzulehnen, was einem nicht sofort zusagt, geht daher nicht.

Wenn der Einsatzort mehr als 70 Kilometer von meinem Wohnort entfernt ist, stellt mir die Leasingfirma eine Unterkunft zur Verfügung, die vom Krankenhaus bezahlt wird. Momentan arbeite ich in einem Krankenhaus in Ludwigshafen. Vorher war ich drei Monate in einer Klinik im Saarland, dann einen Monat in einem Altenheim und davor in einer Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung am Bodensee. Ich verbringe mindestens einen Monat und maximal anderthalb Jahre an einem Einsatzort.

Wie mein Arbeitsalltag aussieht 

Das ist immer vom Einsatzort abhängig und wechselt daher ständig. An einem neuen Arbeitsplatz übernehme ich oft direkt alle anfallenden Aufgaben, von der Pflege bis zum Waschen. Ich arbeite im Schichtdienst, häufig Spät- und Nachtdienste. Damit komme ich gut klar, ich habe meinen Rhythmus gefunden. 

Wie beeinflusst der Job mein Privatleben? 

Mein Job nimmt viel Zeit in Anspruch, aber weil ich Single bin, stört mich das nicht. Schon während meiner Ausbildung war ich vom Arbeitsalltag stark eingenommen. Nach einer Schicht fällt es mir oft schwer, noch etwas zu unternehmen. Deshalb finde ich es gut, dass mein Arbeitsort und mein Wohnort getrennt sind. Auch das ständige Umziehen stresst mich nicht. Meine Firma hat ein eigenes Travel-Management, das sich um die Buchung von Unterkünften kümmert. Meistens sind das Airbnbs, die wirklich schön sind.

Außerdem habe ich ja einen festen Wohnsitz: Ich habe in diesem Jahr ein kleines Haus von meinem Ersparten gekauft. Das ist sozusagen mein emotionales Ferienhaus. Hier muss ich mich nicht um meine Arbeit kümmern, ich sehe keine Kolleg:innen und bin für niemanden verantwortlich. Ich habe oft mehrere Tage am Stück frei und verbringe meine Freizeit dann meistens dort. Außerdem bin ich ziemlich flexibel, was meine Urlaubstage betrifft. Ich habe 30 Tage bezahlten Urlaub, zudem die Möglichkeit, unbezahlt Urlaub zu machen oder durch Überstundenabbau Tage freizunehmen.  Um meine Freundschaften aufrechtzuerhalten, telefoniere ich viel und plane um den Job herum. Mittlerweile habe ich viele Freund:innen, die selbst als Leasingkrankenpflegende arbeiten und Verständnis dafür haben, dass ich nicht immer da bin.

Die größte Herausforderung in meinem Job  

Man muss sich immer wieder an neue Teams und Abläufe anpassen. Teilweise wird man auch in medizinischen Bereichen eingesetzt, in denen man vorher noch nicht gearbeitet hat. In meinem ersten Jahr als Leasingkraft wurde ich in der Unfallchirurgie eingesetzt, einem für mich fremden Fachbereich. Die ersten zwei Wochen waren extrem stressig, ich hatte Bauchschmerzen vor jeder Schicht und hätte fast wieder gekündigt. Mittlerweile habe ich Strategien entwickelt, um mich schneller einzuarbeiten. Wenn ich auf eine neue Station komme, mache ich mir am Anfang zum Beispiel immer sehr viele Notizen zu Patient:innen, Zimmernummern und Abläufen.

Mein schlimmster Einsatz

Als ich im Altenheim war, wurde ich nur einen Tag eingearbeitet und am nächsten Tag war ich plötzlich als verantwortliche Fachkraft mit nur zwei Helfern zuständig für 28 Bewohner:innen. Was Ähnliches ist bei meinem Einsatz in einer Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung passiert: Dort war ich die einzige Fachkraft und hatte zwei, mit etwas Glück drei Praktikant:innen, die teilweise auch nur Englisch gesprochen haben. Das war alles sehr chaotisch.

Was mir am Leasing besonders gefällt

Man lernt viel, ist ständig mit neuen Krankheitsbildern konfrontiert und trifft ständig neue Leute. Durch die wechselnden Einsätze habe ich mich fachlich und persönlich weiterentwickelt und bin selbstbewusster geworden. Herausfordernde Situationen, die mich früher gestresst hätten, nehme ich heute gelassener.

Wie ich zu dem Job kam

Nach meiner Ausbildung habe ich ein Jahr auf einer Gynäkologie-Station gearbeitet. Eigentlich hat mir die Arbeit dort gut gefallen. Das Problem war das Arbeitsklima: Fast alle in meinem Team waren unzufrieden, das hat auf mich abgefärbt. Ich kam nicht mit meiner Stationsleiterin zurecht und hatte dadurch viel psychischen Stress. Irgendwann habe ich mich gefragt, warum ich das alles überhaupt mache. Meine Mitbewohnerin war zu dem Zeitpunkt schon drei Monate in der Leiharbeit und hat mich inspiriert. Ich habe gekündigt und kurz danach mit meiner jetzigen Leiharbeitsfirma telefoniert, die mir dann einen Job angeboten hat.

Welche Fragen werden dir auf Partys zu deinem Job gestellt?  

Ich merke, dass die Leute oft geschockt und ungläubig sind, wenn ich von meinem Job erzähle. Es ist schließlich selten, dass Arbeitgeber so gut bezahlen und die Wohnungskosten übernehmen. Das erwartet niemand von Pflegeberufen, die ja eigentlich dafür bekannt sind, schlecht bezahlt zu sein.

Vorstellung vs. Realität

Es gibt die Vorstellung, dass man als Leasingkraft nicht richtig Teil eines Teams ist und es schwer ist, sich zu integrieren. Das stimmt einerseits: Innerhalb von Krankenhäusern gibt es teilweise Unmut gegenüber Leasing-Pflegekräften, weil wir viel mehr verdienen und meistens nur für kurze Zeit da sind. Ich musste mir auf manchen Stationen auch schon einiges anhören. An meinem ersten Tag an einem Einsatzort im Saarland habe ich mich an den Gemeinschaftstisch gesetzt und eine meiner Kolleginnen hat daraufhin genuschelt: „Jetzt klaut die Leasing-Kraft auch noch den Platz.“ Und das, obwohl ich ja dort bin, um zu helfen. Am Ende wurden wir dann aber gute Freunde. Meistens gelingt es mir tatsächlich, mich gut ins Team zu integrieren. Ich lerne gerne neue Leute kennen und mag es, eine Beziehung zu meinen Kolleg:innen aufzubauen.

Welche Eigenschaften braucht man für den Job?

​​​​Man muss flexibel, offen und aufgeschlossen sein.  Als junger Mensch erfülle ich gerade alle diese Voraussetzungen und nutze das, um durch das Leasing mehr Geld zu verdienen und mich weiterzuentwickeln. Zurzeit kann ich mir nicht vorstellen, in eine Festanstellung zurückzukehren. Das würde sich wie Stagnation anfühlen. Ich weiß, dass ich noch ein paar Jahre als Leasingkrankenpfleger arbeiten werde. Sollte es mir irgendwann zu viel werden, könnte ich mir vorstellen, einfach meine Stundenzahl zu reduzieren. Aber darüber mache ich mir jetzt noch keine Gedanken.

Wie viel ich verdiene

Mein Stundenlohn liegt bei 28 Euro, damit komme ich auf ein Gehalt von mindestens 4228 Euro brutto bei regulären 35 Wochenstunden. Wie viel ich genau verdiene, hängt aber von meinen Zuschlägen ab, die gibt es für Nacht- und Wochenenddienste. Normalerweise liegt mein monatliches Gehalt zwischen 5000 und 6000 Euro brutto. Ich weiß, dass ich sehr gut verdiene und bin mit meinem Gehalt zufrieden. In manchen Monaten kann ich bis zu 2000 Euro sparen. Das hat mir jetzt ermöglicht, ein Haus zu kaufen. Es hört sich nach viel Geld an, aber Bekannte, die für andere Leasingfirmen arbeiten, bekommen teilweise sogar 36 oder 38 Euro die Stunde.  

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