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Gehalt: Was verdient eine Abschiebungsbeobachterin?
Judith hat Psychologie studiert und arbeitet heute als Abschiebungsbeobachterin an den Flughäfen Köln-Bonn und Düsseldorf. Sie dokumentiert die Abschiebungspraxis, vermittelt zwischen Bundespolizei und Betroffenen und setzt sich für die Rechte der Menschen ein, die abgeschoben werden. Ihre Motivation ist vor allem, gemeinsam mit ihrem Team strukturelle Veränderungen anzustoßen.
Was ich als Abschiebungsbeobachterin mache
„Als Abschiebungsbeobachterin für das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe sind mein Kollege und ich als einzige unabhängige Beobachter vor Ort, wenn an den Flughäfen Düsseldorf und Köln-Bonn Menschen abgeschoben werden. Am Flughafen bin ich Ansprechperson für alle Menschen und achte darauf, dass ihre Rechte und ihre Würde respektiert werden. Das, was ich wahrnehme, halte ich in Berichten fest.
In Nordrhein-Westfalen gibt es zwei halbe Stellen zur Abschiebungsbeobachtung – meinen Kollegen Mert und mich. Wir erfahren von der Bundespolizei, Beratungsstellen oder Betroffenen, wenn Abschiebungen anstehen. Weil wir nicht immer dabei sein können, wählen wir stichprobenartig nach bestimmten Indizien aus – zum Beispiel, wenn vulnerable Personen wie Familien mit Kindern oder Personen mit Erkrankungen abgeschoben werden. Auch bei Abschiebungen in besonders weit entfernte Heimatländer und in bestimmte EU-Staaten versuchen wir, da zu sein.
Je mehr Menschen zu verlieren haben, wenn sie Deutschland verlassen, desto höher ist auch ihre seelische Belastung durch die Abschiebung. Es ist vielleicht schwer vorzustellen, aber der Widerstand ist beispielsweise auch bei Abschiebungen in EU-Länder wie Bulgarien oder Polen groß. Viele Menschen sind durch diese Länder geflohen und wissen, dass sie dort Gewalt, lange Inhaftierungen oder eine Abschiebung ins Herkunftsland erwarten. Wenn sie sich gegen die Abschiebung wehren, kann die Bundespolizei sie fesseln. Auch in solchen Situationen ist es meine Aufgabe, auf die Verhältnismäßigkeit zu achten.“
Wie mein typischer Arbeitstag aussieht
„Einen typischen Arbeitstag gibt es nicht. Abschiebungen können immer durchgeführt werden, also muss ich flexibel sein. Am Düsseldorfer Flughafen sind zwischen 23 und 6 Uhr keine planmäßigen Starts und Landungen erlaubt. Abschiebungen finden meist früh morgens statt, gegen 6 oder 7 Uhr.
Ich warte am Flughafen, bis die Personen ankommen und schaue: In welcher Verfassung sind sie? Fehlt ihnen etwas? Wollen sie mit mir reden oder nicht? Bei Gruppenabschiebungen ist immer ein Dolmetscher vor Ort, bei Einzelpersonen habe ich nur eine Übersetzungsapp. Vom Eintreffen am Flughafen bis zur Flugzeugtür bin ich dabei, das dauert mehrere Stunden. Hebt das Flugzeug ab, ist die Abschiebung vorbei. Dann schreibe ich meinen Bericht und sende ihn zur Kommentierung an die Bundespolizei und das Fluchtministerium in Nordrhein-Westfalen.“
Warum Abschiebungen überhaupt beobachtet werden
„Die Abschiebungsbeobachtung wurde 2001 gegründet, um das Verhalten der Bundespolizei gegenüber ausreisepflichtigen Personen unabhängig zu beobachten. Damals gab es Vorwürfe gegen Beamt:innen der Bundespolizei wegen körperlicher Misshandlung. Seitdem gibt es weniger Anwendung von körperlichem Zwang, die Bundespolizei hinterfragt ihr Handeln mehr und es gibt Gesetzte zur Anwendung von Zwang bei Abschiebungen. Außerdem können Leute vor ihrer Abschiebung mittlerweile Verwandte oder Anwält:innen anrufen. Es gibt Verpflegung am Flughafen und ein Handgeld, damit Menschen, die mittellos in ihre Herkunftsländer zurückkehren, wenigstens für die ersten Nächte ein Hotel buchen können.
Aus unserer Sicht bestehen die Probleme heutzutage meist in Situationen vor der Beobachtung am Flughafen und haben nur selten direkt mit dem Umgang der Bundespolizei zu tun. Deswegen fordern wir seit Jahren, die Rolle der Abschiebungsbeobachtung zu erweitern. Wir fordern Dateneinsicht und die Ausweitung unserer Beobachtung auf den gesamten Abschiebungsprozess, also auch auf die Zeit, bevor die Bundespolizei mit den Betroffenen am Flughafen ankommt. Bis es auch in Deutschland eine umfassende Abschiebungsbeobachtung gibt, wie sie in anderen europäischen Ländern schon lange Standard ist, ist es noch ein langer Weg.“
Die erste Abschiebung, die ich beobachtet habe
„Meine erste Abschiebung war eine Sammelabschiebung nach Nigeria vor knapp drei Jahren. Das gecharterte Flugzeug wartete an dem separaten Mini-Terminal, der in Düsseldorf für alle Abschiebungen genutzt wird. Als ich dort ankam, standen 150 Polizeibeamt:innen herum und haben fröhlich Brötchen gegessen, während eine Person nach der anderen an ihnen vorbei in den Wartebereich des Flughafens geführt wurde. Ich erinnere mich noch genau an mein Schamgefühl in dem Moment. Wenn Abschiebungen immer alltäglicher werden, versuche ich mich an dieses Gefühl zu erinnern. Ich will meine Betroffenheit nicht verlieren, egal wie lange ich den Job mache.“
Was der Job mit meinem Privatleben macht
„Migrationspolitik und Abschiebungen sind im Moment überall präsent, egal ob man nun Abschiebungsbeobachterin ist oder nicht. Der Unterschied ist vielleicht, dass ich auch in privaten Gesprächen immer die Seite der Betroffenen einnehme. Wenn jemand mehr Abschiebungen fordert, kläre ich darüber auf, was das für die Betroffenen bedeutet: Jede Verschärfung greift weiter in die Rechte der Menschen ein und bedeutet mehr Härte. Wir sehen Abschiebungen von Menschen mit psychischen Problemen, suizidale Personen, die zum Zwecke der Abschiebung gefesselt werden, oder von Familienvätern, die ihre hochschwangeren Frauen und Kinder zurücklassen müssen. Das sind leider alltägliche Szenen.“
Wie ich zum Job gekommen bin
„Eigentlich bin ich Psychologin. Ich habe einen Teil meines Pflichtpraktikums für mein Studium in einer Kinderrechtsorganisation gemacht, die auch unbegleitete minderjährige Geflüchtete beraten und bei der Integration unterstützt hat. Das fand ich spannend und wollte mehr über Asylrecht erfahren. Nach dem Abschluss meines Studiums 2019 habe ich also in der Flüchtlingsberatung gearbeitet. Dann erzählte mir ein Kollege von der Abschiebungsbeobachtung und ich dachte, das passt besser zu mir. Mich interessieren Fragen wie: Nach welchen Kriterien treffen Behörden ihre Entscheidungen? Wie gehen sie mit Geflüchteten um? Ist es überhaupt möglich, in einer so extremen Situation die Menschenrechte zu wahren?
Die Diakonie ist in Nordrhein-Westfalen die einzige Stelle, die Abschiebungsbeobachtung durchführt. Also habe ich mich beworben. Ich habe eine Einführung bekommen, bin ein paar Mal mitgelaufen und dann habe ich selbst beobachtet. Seit drei Jahren bin ich jetzt dabei und mache immer wieder Fortbildungen. Das Lernen hört nie auf – man muss die Gesetze kennen und sich regelmäßig fortbilden.“
Welche Eigenschaften ich für den Job brauche
„Man sieht Familien, Alleinerziehende und Menschen mit Behinderung, die mit allem, was sie haben, dafür kämpfen, in diesem Land zu bleiben. Dafür muss man empathisch sein und sich gleichzeitig von dem Leid, das man sieht, irgendwie abgrenzen können. Sonst könnte man den Job nicht machen.
Man braucht ein gutes Rechtsverständnis, muss mit einem Haufen Bürokratie leben und im Umgang mit Behörden diplomatisch und sachlich sein. Es ist wichtig, genau zu wissen, was die eigenen Aufgaben sind und wo man die eigenen Grenzen oder die von anderen überschreitet. Und ganz wichtig: Man muss flexibel sein und früh aufstehen können – daran arbeite ich noch.“
Vorstellung vs. Realität
„Es fehlt eine nationale, gesetzliche Grundlage für meine Arbeit. Seit 2008 gibt es die EU-Rückführungsrichtlinie. Demnach müssen alle EU-Mitgliedstaaten ein wirksames System zur Überwachung von Abschiebungen sicherstellen. In Deutschland hat sich die Stelle der Abschiebungsbeobachtung aber bisher nicht strukturell weiterentwickelt. In anderen EU-Ländern wie Griechenland oder Finnland gibt es gute und umfassende Überwachungsmodelle.
Abschiebungen passieren unter Ausschluss der Öffentlichkeit und es gibt nur in fünf deutschen Bundesländern Abschiebungsbeobachter:innen von kirchlichen Trägern. So ist in den meisten Fällen noch immer intransparent, was bei Abschiebungen passiert. In Bayern zum Beispiel gibt es keine unabhängige Beobachtung. Von einem Monitoring würden auch die Behörden profitieren: Intransparenz lässt viel Raum für Anschuldigungen.“
Wie viel ich verdiene
„Als Referentin bei der Diakonie werde ich nach Tarif bezahlt und bekäme für eine Vollzeitstelle ungefähr 4400 Euro im Monat. Als Abschiebungsbeobachterin arbeite ich allerdings nur 19,5 Stunden die Woche – die zweite Hälfte der Stelle bin ich bei der Diakonie Referentin im Bereich Flucht. Mit meinem Gehalt bin ich zufrieden. Mir ist schon klar, dass ich als Psychologin anderswo mehr verdienen könnte, aber mir geht es bei dieser Arbeit nicht ums Geld.“
Welche Fragen ich auf Partys gestellt bekomme
„Ich habe mir angewöhnt, nicht zu erzählen, dass ich Abschiebungsbeobachterin bin – zumindest nicht im ersten Gespräch. Es kommt sonst einfach direkt zu Diskussionen. Also sage ich, dass ich Referentin im Bereich Flucht bin. So oder so, ein tolles Partythema ist es nie.“