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2700 Euro brutto für die Fotojournalistin

Chiara hat an der Berliner Ostkreuzschule Fotografie studiert und viel genetzwerkt, um in ihrem heutigen Beruf zu arbeiten.
Foto: Asia Haidar/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Als Fotojournalistin arbeitet Chiara Wettmann nicht nur viel im Nahen Osten, sie lebt zum Teil auch in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Sonst wäre es für sie noch schwieriger, Freund:innen zu sehen und einen sozialen Ausgleich zu ihrem Beruf zu finden, der privat viel von ihr abverlangt. 

Was ich als Fotojournalistin mache 

„Als Fotojournalistin arbeite ich vor allem über Aufträge mit Medienunternehmen, Zeitungen und Magazinen zusammen. Redaktionen buchen mich und dann fotografiere ich in Zusammenarbeit mit den Journalist:innen, die den Text dazu schreiben. Alternativ pitche ich selbst Geschichten an Redaktionen im deutschsprachigen Raum, die mich interessieren oder die ich mit Journalist:innen zusammen erarbeite beziehungsweise recherchiere. 

Meistens bin ich für meine Aufträge im Ausland in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs und werde dort tageweise oder auch für mehrere Wochen gebucht. Wir sind allerdings nicht nur an der Front, sondern recherchieren viel dazu, wie die Zivilgesellschaft die Situation erlebt. Ich bin am Ende diejenige, die eine Auswahl an Bildern macht, mit denen die Zeitungen ihre Texte visualisieren können.“ 

Wie mein Arbeitsalltag aussieht 

„Wenn ich einen Auftrag habe, fahre ich jeden Tag morgens mit den Journalist:innen raus, um die Geschichte zu bearbeiten zu der wir recherchieren. Dabei müssen wir spontan darauf reagieren, was sich aktuell entwickelt, und manchmal von dem eigentlichen Plan abweichen. 

Meistens ist es so, dass die Journalist:innen zuerst die Interviews führen und wir als Fotograf:innen danach Fotos von der interviewten Person machen. Außerdem mache ich drumherum wirklich von allem Fotos, auch, wenn es im ersten Moment nicht so relevant erscheint. Wichtig ist dabei, immer jeweils eine Variante im Hoch- und Querformat und eine große Auswahl an Motiven wie Porträtfotos, Detailaufnahmen und Motive im Freien zu haben. Oft ist es nämlich so, dass die Journalist:innen selbst nur einen groben Plan für ihren Text haben. Und ich habe beim Fotografieren viele Freiheiten, weil die Redakteur:innen in Deutschland nicht wissen, wie die Situation vor Ort ist. Sie können aber einschätzen, welche Arbeit ich ihnen liefere, weil sie meine Bildsprache kennen.

Am Abend bearbeite ich die Bilder, die ich tagsüber gemacht habe, und schreibe Bildunterschriften, die den Kontext der Fotos erklären. Also wer auf dem Bild abgebildet ist und was man darauf sieht. Wenn ich damit fertig bin, schicke ich die Fotos an die Bildredaktionen.“  

Was mein Beruf mit meinem Privatleben macht 

„Eine Grenze zwischen meinem Berufs- und Privatleben gibt es nicht wirklich. Vor allem, wenn man im Ausland lebt, ist man dort immer mit den sozialen und politischen Gegebenheiten konfrontiert. Ich habe das Glück, dass ich neben Berlin auch hier in Beirut wohne, wo ich viele Freunde habe. Hier habe ich ein zweites Leben und Routinen aufgebaut. Trotzdem bin ich viel von zu Hause weg und sehe meine Familie und Freund:innen nicht oft. Viele alltägliche Sachen oder wichtige Ereignisse wie Geburtstage, Geburten von den Kindern meiner Freund:innen und Hochzeiten bekomme ich dadurch nicht mit. 

In Sachen Beziehung ist es auch schwierig, weil ich so viel unterwegs bin. Bisher habe ich da niemanden gefunden, der mir wichtiger als meine Arbeit wäre. Das, was ich mache, wäre auch schwer mit einer Familie vereinbar. Für mich ist das kein Problem, weil ich nicht wirklich einen Kinderwunsch verspüre.“  

Wie ich zu meinem Beruf gekommen bin 

„Um allgemein Fotografin zu werden, kann man eine klassische Ausbildung machen oder studieren. Das geht zum Beispiel in Berlin an der Ostkreuzschule, in Hannover oder in Dortmund. Viele gehen dann Richtung Mode- und Werbefotografie oder Webdesign. Einige Leute aus meinem Studiengang machen Auftragsfotografie für Unternehmen oder Bildredaktionen. 

Ich habe in Berlin an der Ostkreuzschule studiert, nachdem ich vorher jahrelang privat für mich fotografiert hatte. Das Studium an der Ostkreuzschule ist aber eher eine Ausbildung. Eine, für die man nicht wenig zahlen muss. Aber die Gemeinschaft dort ist toll. Sich da innerhalb zu vernetzen, ist das Wichtigste an dem Studium. Um als Fotojournalistin arbeiten zu können, musst du einen Einstieg in den journalistischen Bereich finden und vor allem ganz viel netzwerken.“  

Welche Frage mir auf Partys immer gestellt wird 

„Die meisten fragen mich, wie es mir geht. Sie denken, dass der Job total stressig und herausfordernd ist. Das ist auch so, aber ich habe mich ja bewusst für diesen Beruf entschieden. Deshalb finde ich die Frage manchmal etwas anstrengend. 

Viele können sich auch nicht wirklich vorstellen, wie meine Berufsrealität aussieht. Bei Fotojournalismus in Kriegsgebieten denken die meisten, ich wäre den ganzen Tag von Blut und Schüssen umgeben und fragen mich, wie viele Bomben an einem Tag fallen oder ähnliches. Natürlich passiert das auch, aber oft führen wir auch nur Interviews oder recherchieren außerhalb der gefährlichen Zonen. 

Und es herrscht viel Unverständnis zu den Regionen, in denen ich arbeite. Was mich da aufregt, ist diese Voreingenommenheit zu Genderfragen, rassistische Haltungen und dieser westliche Hoheitsgedanke. Das erlebe ich nicht nur auf Partys, sondern überall. Sie fragen mich dann zum Beispiel, wie es ist, als Frau in diesen Gebieten zu arbeiten und ob ich schon oft übergriffiges Verhalten von Männern dort erlebt habe. Als ob es das in Berlin oder anderswo in Deutschland nicht geben würde.“ 

Welche Eigenschaften ich als Fotojournalistin brauche 

„Ich denke, man sollte vor allem flexibel und resilient sein, weil man viele Absagen bekommt, aber mit dieser Ablehnung umgehen muss. Man sollte es aushalten können, lange an einem Projekt zu arbeiten, ohne das Interesse und den Respekt vor den Geschichten zu verlieren. Und man sollte in allen möglichen Situationen belastbar sein können. Das reicht von der Angst vor ausbleibenden Aufträgen und der damit schwer planbaren finanziellen Situation bis zu Gesprächen mit Menschen, die sehr belastende Erlebnisse hatten. Technische Kompetenzen sind natürlich auch gut. Man sollte sich mit Bildbearbeitung auskennen und Programme wie Lightroom, Photoshop, Bridge und Indesign gut beherrschen. Und es ist natürlich wichtig, politisch interessiert zu sein. Das hat auch einfach mit Respekt zu tun. Ich kann zum Beispiel nicht nach Gaza fahren und nicht wissen, was dort in den vergangenen 15 Monaten passiert ist.“ 

Vorstellung vs. Realität 

„Ich wusste im Vorhinein ziemlich genau, was auf mich zu kommt. Mir war bewusst, dass ich viel unterwegs bin, kein regelmäßiges Einkommen habe und dass es nicht so glamourös ist, wie viele sich das vorstellen. 

Was mich überrascht hat, war der kollegiale Umgang miteinander. Ich hatte eine Ellenbogenbranche erwartet. Gleichzeitig muss man sich aber auch durchsetzen können.“ 

Welchen Auftrag ich am interessantesten fand 

„Ich finde längere Aufträge am interessantesten, für die ich mehrere Wochen oder Monate lang recherchiere. Ich habe das Gefühl, so entsteht ein umfassenderes Bild zu einem Thema. Vor kurzem war ich beispielsweise für den Spiegel unterwegs. Wir haben nach der Befreiung Syriens aus Aleppo berichtet. Da sind Fotos von Menschen beim Feiern auf den Plätzen entstanden und von trauernden Personen, die ihre Verwandten nicht mehr in den Gefängnissen finden. Das war so emotional, dass mich das selbst total berührt hat. Ich hatte dort das Gefühl, Teil von etwas Historischem zu sein.“ 

Wie viel ich als Fotojournalistin verdiene 

„Durch rein journalistische Arbeit habe ich im letzten Jahr monatlich 2700 Euro brutto verdient. Ich arbeite jedes Jahr auf dem Oktoberfest und kann damit schon meine Fixkosten für das gesamte Jahr abdecken. Gleichzeitig kann ich glücklich sein, Grants und Förderungen für meine eigenen Projekte zu bekommen. So muss ich das nicht privat finanzieren. 

Was die Gender Pay Gap in unserem Beruf angeht: Die Kluft entsteht nicht bei der Bezahlung, sondern bei der Vergabe der Aufträge. Manchmal habe ich das Gefühl, dass einige Redaktionen Frauen weiterhin nicht zutrauen, die harten Jobs wie Kriegsfotografie zu machen.  Ich muss kein Mann sein, um bei der Hisbollah oder der HTS in Syrien zu sein. Und dort zum Beispiel ist es sogar ein Vorteil, weil ich einen leichteren Zugang zu Frauen habe.“ 

Wie ich mit der Gefahr in Kriegsgebieten umgehe 

„Es gibt im Vorhinein viele Trainings wie ,HEAT‘. Das steht für ,Hostile Environment Awareness Training‘, nachdem du ein Zertifikat bekommst.  

Als Fotojournalistin muss ich außerdem akkreditiert sein, mich also offiziell als Journalist:in ausweisen können. Wir stehen so unter dem Schutz des humanitären Völkerrechts und dürfen nicht angegriffen werden. Für die wirklich gefährlichen Regionen, wie den Südlibanon, brauchst du zusätzlich eine Akkreditierung durch das Militär, damit du in gewisse Gebiete reisen darfst. 

Wenn ich vor Ort bin, habe ich einen Helm und eine Weste an und trage ein Erste-Hilfe-Paket mit mir. Zusätzlich bin ich speziell versichert. Das übernehmen die Redaktionen. 

Wenn es sehr gefährlich wird, wird man getrackt. Ich, die Redaktionen und die Firma, die das Tracking übernimmt, haben dann eine App mit Notfallknopf. Außerdem ist es wichtig, zu wissen, in welchen politischen Gegebenheiten man steckt. Bin ich in einem Gebiet, das umkämpft ist? Sind die Straßen und Häuser gesichert oder können noch explosive Überreste wie Minen verborgen sein?“ 

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