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Bis zu 2000 Euro brutto für den freiberuflichen Dirigenten

Foto: Alexandra Münch; Bearbeitung: SZ Jetzt

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Nikolaas Schmeer, 27, ist als Kind aus Venezuela nach Thüringen gekommen und durfte im Knabenchor das erste Mal dirigieren. Heute arbeitet er als Dirigent deutschlandweit mit verschiedenen Chören und Orchestern zusammen. Er erklärt, wie viel ungesehene Arbeit und Verantwortung in seinem Beruf stecken.  

Was ich als Dirigent mache

„Für das Publikum am offensichtlichsten ist das Taktschlagen, also dem Chor oder Orchester Impulse zu geben, wie schnell sie das Stück spielen sollen. Je nach Taktart malt man die Schlagbilder wie Muster in die Luft, um den Musikern Orientierung zu geben. Aber was ein Dirigent am Konzertabend macht, sind nur etwa fünf Prozent der eigentlichen Arbeit. 

Das tägliche Brot ist die Probenarbeit, bei der man sich mit dem Stück auseinandersetzt, alles mit dem Ensemble bespricht und immer wieder an Stellschrauben dreht. Als Dirigent bin ich für die Gestaltung des Stückes verantwortlich. Gerade bei Musik aus früheren Jahrhunderten hat man oft viel Freiraum für eigene Interpretationen, vor allem in Bezug auf die Geschwindigkeit, Lautstärke oder der Artikulation. 

Lange vor den Konzerten muss ich das Stück einstudieren. Ich muss die Partitur, also die Notenblätter mit allen Stimmen, richtig lesen, um dann dem Ensemble erklären zu können, in welchem Kontext die Musik steht und wie sie gespielt werden soll. Diese Vorbereitung kann drei Wochen dauern, aber bei großen Opern auch mal mehrere Monate. Dazu kommen dann noch 30 Prozent Selbststudium, in denen man neue Partituren liest und interpretiert. Der restliche Teil des Berufs besteht aus Bürokratie. Ohne ein Management muss ich oft Mails beantworten, Konzertanfragen bearbeiten oder Programme planen. Auch bei festangestellten Dirigenten nimmt das noch viel Zeit in Anspruch.“

Wie mein Arbeitsalltag aussieht

„Weil ich freiberuflich arbeite, ist meine tägliche Arbeit sehr unterschiedlich. Zurzeit assistiere ich als Honorarkraft in der Jenaer Philharmonie bei drei Chören. In der Spielzeit probe ich mit den Chören von Montag bis Donnerstag, immer abends. Bei den Konzerten bin ich für Tastendienste verantwortlich, also die musikalische Begleitung des Chors auf dem Klavier oder der Orgel. Wenn die Chordirektorin der Philharmonie nicht da ist, übernehme ich auch mal Konzertdirigate. Insgesamt nimmt der Job ungefähr zwölf Stunden pro Woche in Anspruch. Darüber hinaus kümmere ich mich dann um andere Projekte. Zum Beispiel die künstlerische Leitung des Landesjugendchors Thüringen, der sich mehrmals im Jahr trifft. Die Proben gehen jedes Mal über ein ganzes Wochenende, da kommen sicher insgesamt 20 Stunden zusammen.“ 

Wie ich zu dem Job gekommen bin

„Mit sieben Jahren bin ich aus meinem Heimatland Venezuela nach Jena in Thüringen gezogen, weil mein Vater dort eine Forschungsstelle angeboten bekommen hat. Und die politische Lage in Venezuela unter dem neuen Präsidenten Chavez für meine Eltern zu unsicher wurde. In Deutschland bin ich dann in die zweite Klasse gekommen. Da kam die Chorleiterin eines Knabenchors in meine Schule und hat mit den Jungs gesungen. Weil mir das so gefallen hat, habe ich mich beim Chor angemeldet. Mit zehn oder elf durfte ich mich dort zum ersten Mal nach vorne stellen und dirigieren. Es hat mich gecatched, vor einer Gruppe zu stehen und das Gefühl zu haben, dass man die Musik wirklich selbst steuern kann. Als Jugendlicher habe ich dann angefangen, Klavier- und Dirigierunterricht zu nehmen. Ich habe immer mehr diesen Drang gespürt, Musik zu machen. In der Branche spricht man auch vom ‚heiligen Feuer‘.

Mit 20 habe ich an der Hochschule für Musik in Weimar angefangen, das Chordirigieren zu studieren. Davor habe ich extra Unterricht genommen, der mich auf die schwierige Aufnahmeprüfung vorbereitet hat. Für den Master bin ich dann zum Orchesterdirigieren gewechselt, um beide Teile des Berufs mitzuerleben. So eine Ausbildung braucht man aber nicht unbedingt, um erfolgreich zu sein. Es gibt viele Quereinsteiger, die zum Beispiel vorher Musiker waren. Trotzdem ist das klassische Studium der Weg mit den besseren Berufsaussichten.“

Jobkolumne Dirigent imtext

Foto: Seonggeun Kim

Was der Job mit meinem Privatleben macht

„Meine Partnerin hat einen geregelten Job, also arbeiten wir oft zu verschiedenen Zeiten. Es ist nicht so schwierig für die Beziehung. Aber natürlich kommt das Privatleben auch mal zu kurz, wenn ich hin und wieder für eine Woche verreise. Ich kenne viele Dirigenten, deren Beziehungen in die Brüche gegangen sind, weil sie viel international unterwegs waren. Es ist auf jeden Fall kein familienfreundlicher Beruf.“    

Welche Fragen ich auf Partys gestellt bekomme

„Viele fragen: Ach, das kann man studieren?  Mein Beruf ist ein ziemlich guter Starter für Small Talk, weil die meisten wenig mit dem Begriff Dirigent anfangen können. Viele Leute wissen gar nicht, dass das ein grundständiges Studium ist.“ 

Welche Eigenschaften ich für den Job brauche 

„Man muss hart im Nehmen sein. Mit so vielen Menschen und Künstlern zusammenzuarbeiten, erfordert den Willen, sich durchzusetzen. Gerade wenn man jung ist, gibt es immer auch Gegenwind aus dem Ensemble. Da ist Teamfähigkeit wichtig. Außerdem muss man das eigene Leben nach dem Beruf gestalten wollen. Man darf sich nicht zu sehr auf eine Stadt festlegen, denn vor allem am Anfang sollte man alle Angebote annehmen.“

Vorstellung vs. Realität

„Nach meinem Master habe ich blauäugig gedacht: Ich bewerbe mich jetzt auf drei Stellen und eine davon wird schon funktionieren. Aber der Markt ist gerade so übersättigt von Bewerbern, dass es schwer ist, überhaupt den Fuß in die Tür zu kriegen. Mittlerweile bin ich an dem Punkt, an dem ich nicht mehr die internationale Karriere brauche, die ich mir mal gewünscht habe. Mein Lebensziel ist es nun, mal an einer Hochschule zu unterrichten. Ich finde es spannend, mit jungen Leuten meine Erfahrungen zu teilen und pädagogisch zu arbeiten. “

Wie ich mit Lampenfieber klarkomme

„Das kann man schwer abstellen. Auch langjährige Musiker erzählen mir noch, dass sie Lampenfieber haben. Das Konzert ist immer am aufregendsten, weil man das Ergebnis seiner Arbeit präsentiert und weil ich da immer am meisten meine Verantwortung spüre. Obwohl man als einziger mit dem Rücken zum Publikum steht, wird man immer beobachtet. Mir hilft es, wenn ich vorher nicht lange warten muss. Direkt vor dem Konzert versuche ich, nicht unter Menschen zu gehen. Ich mache oft einen Mittagsschlaf oder gehe schwierige Stellen nochmal im Kopf durch. Aber spätestens mit dem ersten Taktschlag ist die Aufregung dann weg, da bekomme ich einen Energie-Push.  

Einer der schönsten Momente beim Dirigieren ist es, wenn das Ensemble mit dir im Flow ist und du deine Ideen ohne Worte kommunizieren kannst. Das Gefühl, wenn man ein richtig gutes Stück musiziert hat und am Ende des Konzerts vor dem Applaus die Arme in der Luft hält. Dann kann ich in diesem kurzen Moment genießen, dass alles gelungen ist und man das Publikum auf eine Reise mitgenommen hat. Es ist schließlich ein Privileg, wie viele Leute zu Konzerten kommen, um meine, um unsere Musik zu hören.“ 

Wie viel ich verdiene 

„Als freiberuflicher Dirigent variiert mein Gehalt, je nachdem wie viele Proben und andere Projekte gerade anstehen und ob gerade Ferienzeit ist. In meinem alltäglichen Job als Dirigierassistenz bekomme ich bis zu 1500 Euro pro Monat. Davon kann ich im Jahr jedoch noch 2000 bis 3000 Euro für Fahrtkosten und Partiturkäufe abziehen. Oft lag ich bisher unter der Steuerfreibetragsgrenze und musste kaum Abgaben zahlen. Dazu kommen dann noch einzelne Dirigieraufträge mit einem Tagessatz von bis zu 300 Euro, die ich aber versteuern muss. Insgesamt liegt mein Monatsgehalt damit zwischen 1500 und 2000 Euro.

Ich habe das Glück, dass mich meine Eltern noch finanziell unterstützen, was eine extreme Hilfe ist. So komme ich mit dem Geld über die Runden.  Wenn man festangestellt ist, bekommt man aber mehr. Als Kapellmeister zum Beispiel bis zu 3500 Euro brutto und als Chefdirigent sicher bis zu 5000 Euro. Viele Leute haben immer noch das Gefühl, dass der Beruf eine einzige Goldgrube ist. Dabei ist es harte und grundständige Arbeit.“ 

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