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2824 Brutto für die Kunsttherapeutin

Foto: Privat/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Ada merkt in ihrem Berufsalltag oft, wie stigmatisiert psychische Krankheiten noch immer sind. Psychisch kranke Menschen werden als gefährlich oder unzurechnungsfähig abgestempelt. In ihrem persönlichen Umfeld ist das glücklicherweise nicht so. Da kennen alle jemanden, der oder die schon mal in Therapie war.

Was ich als Kunsttherapeutin mache

„Im psychiatrischen Bereich bedeutet Kunsttherapie, was in einem vorgeht, auf eine andere Ebene zu heben. Alle Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse oder Empfindungen werden künstlerisch übersetzt, indem man sie zum Beispiel aufs Papier bringt. Damit kann ein Gegenüber geschaffen werden, mit dem man arbeiten kann, ohne dass alles ausgesprochen werden muss. Ich biete bei diesem Prozess Unterstützung, begleite ihn und bin manchmal ein Spiegel für die Dinge, die im Inneren von Patient:innen vorgehen.“

Wie mein typischer Arbeitstag aussieht

„Ich leite meistens eine Gruppentherapie mit acht Personen, die für acht bis zwölf Wochen in die Tagesklinik kommen. Am Anfang mache ich eine kurze Befindlichkeitsrunde. Wir sprechen also darüber, wie es den Patient:innen geht und ob sie schon eine Idee haben, wie sie in die Gestaltung starten möchten. Wir besprechen, ob ein Thema oder ein Gefühl sie gerade besonders beschäftigt und ob es etwas Symbolisches dafür gibt, das sie aufgreifen können. Zum Beispiel, ob es einen Geruch oder eine Textur gibt, die sie mit dem Thema verbinden, um herauszufinden, welche Materialien sich zum Gestalten eignen.

Es geht nie um Realismus, sondern darum, eine bestimmte Atmosphäre aufzugreifen. Das kann auch abstrakt sein. Die meisten haben eigene Ideen, wie sie etwas umsetzen möchten. Ich unterstütze die Patient:innen bei Bedarf. Mir ist aber wichtig, dass die Patient:innen sich handlungsfähig fühlen und Selbstwirksamkeit empfinden. Wenn eine Person neu zur Gruppe stößt, ist es erstmal wichtig, zu experimentieren, um aus diesem gewohnten Rahmen, ‚Wie funktioniert Kunst eigentlich?‘ rauszukommen. Sonst können viele Prozesse blockiert werden.“

Ob ich als Kunsttherapeutin gut malen können muss

„Das Wichtigste ist, einen Zugang zur Kunst zu haben. Und Zugang heißt nicht, dass man schön malen kann. Schön ist sowieso relativ, Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters. Ich erlebe in der Gruppentherapie oft, dass Patient:innen von ihrem eigenen Bild sagen, dass es ihnen gar nicht taugt. Sie es am liebsten zerreißen würden. Der Rest der Gruppe sagt aber: ‚Boah, was hat sie wieder gemalt? Das ist so schön. Ich würde das in mein Wohnzimmer hängen.‘“

Was der Job mit meinem Privatleben macht

„In meinem Studium hatte ich große Sorge, dass mein Job starken Einfluss auf mein Privatleben nehmen wird. Deswegen versuche ich jetzt ganz bewusst, das gar nicht zuzulassen. Ich habe mir angewöhnt, dass ich bei der Arbeit nur meinen Arbeitsschlüssel mit mir herumtrage. Wenn ich Feierabend habe, hänge ich ihn wieder an meinen Schlüsselbund. Das hilft mir bei der Trennung zwischen Arbeit und Privatleben. Ich stecke die Arbeit mit dem Schlüssel in die Tasche, hake sie ab und kümmere mich erst am nächsten Tag wieder darum. Trotzdem begleiten mich manchmal Eindrücke und Erlebnisse nach der Arbeit weiter. Meistens sind das die Lebensgeschichten von Patient:innen, über die ich viel nachdenke und Hypothesen aufstelle, was helfen könnte oder warum etwas so ist, wie es ist. Dann erlaube ich mir, wie ich es nenne, wildes Denken. Ich suche mir einen Punkt auf dem Heimweg. Bis zu diesem Punkt darf ich alles einmal ganz wild und quer durchdenken und danach ist wirklich Schluss. Ich hole die Gedanken am nächsten Morgen wieder an dem Punkt auf meinem Weg ab und nehme sie mit zur Arbeit.“

Wie ich zu dem Job gekommen bin

„In der zehnten Klasse bin ich das erste Mal auf den Beruf gestoßen. Kunsttherapeut:innen hielten in unserer Schule einen Vortrag, in dem sie ein Projekt vorgestellt haben. Ich fand das so interessant, dass ich damals beschlossen habe, Kunsttherapeutin zu werden. Ich habe an der Waldorfschule meine Fachhochschulreife gemacht und musste anschließend ein FSJ machen, damit sie anerkannt wird. Das habe ich an einer Schule für Kinder mit Behinderung gemacht. Danach habe ich mich entschieden, für einen Bachelor in Kunsttherapie zu studieren. Für die Bewerbung an der Hochschule musste ich eine Mappe einreichen und einen dreitägigen Eignungsworkshop besuchen. Wegen der Erfahrungen während des FSJs wollte ich nach meinem Studium unbedingt mit Kindern arbeiten. Aber in meinem Umkreis gab es keine Stellen in Kinder- und Jugendpsychiatrien. Deswegen habe ich mich dann bei meinem jetzigen Job in der Tagesklinik für Erwachsene beworben und mich einfach darauf eingelassen.“

Welche Fragen ich auf Partys gestellt bekomme

„Die meisten Menschen außerhalb meines Bekanntenkreises kennen Kunsttherapie nicht. Wenn ich dann erkläre, was ich mache, sind viele überrascht, wie vielfältig sie ist. Den Menschen ist oft nicht bewusst, in welcher Umgebung Kunsttherapie stattfindet und dass man nicht nur im psychiatrischen Bereich arbeiten kann, sondern in allen sozialen Settings, vom Kindergarten bis zum Altenheim, von der Schule bis zum Jugend- und Mehrgenerationenhaus.“

Welche Eigenschaften ich für den Job brauche

„Geduld und insbesondere Neugierde. Es gibt immer Diagnosen für psychische Krankheiten, aber jeder Mensch ist individuell. Nur die Patient:innen selbst können mir erklären, wie es ihnen damit geht oder welche Ängste und Sorgen sie haben. Man braucht Neugierde in der Therapie, um diese Dinge zu erfragen.“

Vorstellung vs. Realität

„Ich hatte vor meinem Studium die naive Vorstellung, dass jemand in der Kunsttherapie vor mir ein Bild malt und ich daraus alle Traumata, alle schwierigen Situationen, alles, was den Menschen ausmacht, ablesen kann. So ist es natürlich nicht. Ich kann so viel in das Bild reininterpretieren, wie ich will, die Patientin oder der Patient kann trotzdem etwas ganz anderes über das Bild sagen. Und genau das ist entscheidend. Sie sind Experten für ihr Leben und das, was ihnen passiert ist. Nicht ich. Ich kann nur helfen, Dinge zu sehen, sie aufzudecken oder darauf hinzuweisen.“

Wie viel ich verdiene

„Wie in den meisten Kliniken wird man nach öffentlichem Tarif bezahlt, was momentan für mich 2824 Euro brutto im Monat sind. Da die Kunsttherapie ein junges Feld ohne geschützte Berufsbezeichnung ist, können Arbeitgeber uns relativ willkürlich eingruppieren. Ich bin ein relativ sparsamer Mensch und komme mit dem Geld ziemlich gut über die Runden. Es ist für mich trotzdem wichtig zu sagen, dass es vor allem in Bezug auf die Verantwortung, die man im psychiatrischen Klinikalltag zu tragen hat, nicht gerechtfertigt ist, in diese Gehaltsstufe eingruppiert zu werden.“

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