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3000 Euro brutto für den Binnenschiffer

Torsten, 31, lebt für seinen Beruf als Binnenschiffer. Deswegen findet er es nicht schlimm, dass er dadurch abends nicht mehr rausgehen und Party machen kann.
Foto: Privat / Illustration: jetzt

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Was ein Binnenschiffer macht

„Mein Bruder und ich sind das ganze Jahr an Bord. Unser Fahrgebiet erstreckt sich mehr oder weniger durch ganz Deutschland, nach Frankreich, in die Schweiz und manchmal auch in die Niederlande. Die längste Strecke, die wir fahren, ist von Haldensleben in Sachsen-Anhalt nach Mulhouse hinter der französischen Grenze und dauert neun Tage. Unser Schiff ein sogenannte „Partikulier“, also selbstständige Schiffseigentümer. Das heißt, wir rufen bei den Reedereien an und fragen, welche Frachten es gibt und zwischen welchen Orten diese zu transportieren sind. Wir transportieren dann hauptsächlich Mais, Getreide und Futtermittel wie Raps- und Sojaschrot. Manchmal fahren wir auch Düngemittel oder Schwergüter, die nur schwer oder gar nicht über die Straße transportiert werden können. 

Wie der Arbeitsalltag eines Binnenschiffers aussieht

Wir fahren täglich 14 Stunden durch, von 6 bis 20 Uhr. Wir wechseln uns aber am Steuer auch mal ab. Man muss sich natürlich auskennen, also im Kopf haben, wie die Fahrtstrecke ober- und unterhalb der Wasserlinie aussieht und auch bei schlechter Sicht und Nebel die Radarfahrt beherrschen. Jeder Fluss und jeder Kanal hat seine eigenen Ansprüche. Wenn wir auf der Suche nach neuen Frachtaufträgen sind, hängt meistens einer von uns beiden einige Stunden am Telefon. Und natürlich gibt es Arbeiten an Deck, die täglich anfallen. Das geht vom Abwaschen des Schiffes bis hin zum Schleifen, Entrosten und Lackieren. Man macht regelmäßig einen Rundgang über das Schiff, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist oder ob man etwas reparieren muss. Auf den tagelangen Fahrten kann man sich die Arbeiten am Schiff so einteilen, dass man es auch mal langsamer angehen lassen kann. Ab 20 Uhr haben wir Nachtruhe.

Vorstellung vs. Realität

Viele stellen sich das Leben an Bord wahnsinnig aufregend und anders vor. Dabei ist hier an Bord einiges wie an Land: Wir haben fließend Wasser, eine Spülmaschine, eine Waschmaschine, einen Trockner und einen Fernseher. Das Schiff ist 85 Meter lang, mehr als acht Meter breit und besteht aus einer Ladefläche, einem Fahrerhaus und zwei Wohnungen. Meine Wohnung vorne, mit Schlafzimmer und Bad, ist ungefähr 20 Quadratmeter groß. Die Wohnung hinten ist um die 60 Quadratmeter groß. Da ist das Schlafzimmer meines Bruders, ein Wohnzimmer, ein Essbereich, eine große Küche und ein großes Bad. Wir haben sogar eine kleine Sauna und einen Whirlpool. Nur der Blick morgens aus dem Fenster ist jeden Tag ein anderer.

Wie ich dort hingekommen bin

Meine acht Geschwister und ich waren von klein auf auf dem Binnenschiff meiner Eltern. Nach meinem Realschulabschluss wollte ich daher auch die Ausbildung zum Binnenschiffer machen. Ich habe in der Hauptschule zwar auch Praktika gemacht und in andere Berufe reingeschaut – aber das war alles nichts für mich, weil Wasser für mich einfach dazugehört. 

An Bord unseres Schiffs wäre die Ausbildung aus Platzgründen und aus finanziellen Gründen ein bisschen schwierig geworden. Deshalb war ich drei Jahre lang beim Wasser- und Schifffahrtsamt in Mannheim. Danach habe ich auf einem Schiff gearbeitet, das für die Bundesregierung Ausstellungen durch ganz Deutschland und Österreich gefahren ist. In dem Job bin ich nie ganz angekommen, weil ich gemerkt habe: Als Angestellter arbeiten ist nicht meine Welt. Deshalb bin ich zurück auf das Schiff meiner Eltern gegangen. Meine Brüder und ich haben Anfang 2016 den Betrieb von meinen Eltern übernommen. Zuerst haben wir das Schiff von meinen Eltern weitergeführt und später zwei neue Schiffe dazugekauft. Meine anderen beiden Brüder leben auch gemeinsam auf einem Schiff und eine unserer Schwestern fährt mit ihrem Mann unabhängig von uns auf ihrem eigenen Schiff. Die ältesten Schwestern wohnen alle an Land und haben dort ihre Familie.

Seit vergangenem Jahr kann man als Binnenschiffer, wie in jedem anderen Handwerksberuf, seinen Meister machen. Damit kann man seinen eigenen Betrieb starten und hat etwas Vorzeigbares in der Tasche, mit dem man auch an Land etwas anfangen kann. Damit wird der Ausbildungsberuf Binnenschiffer interessanter.

Aufwachsen auf dem Schiff

Wir sind in Mannheim zur Schule gegangen, während meine Eltern mit dem Schiff unterwegs waren. Dort waren wir deshalb von Sonntagabend bis Freitagmittag in einem Schifferkinderheim untergebracht. Im Heim waren wir eine Gruppe von 14 Schiffer-Kindern. Manche meiner Freunde würden das anders beurteilen, aber ich sehe die Zeit im Heim definitiv positiv. Ich habe gelernt, selbstständig zu sein, weil ich schon früh auf mich selbst gestellt war. An den Wochenenden und in den Ferien waren wir immer bei unseren Eltern an Bord.

Meine Geschwister und ich liegen mit dem Alter weit auseinander. Unsere älteste Schwester ist 42, die jüngste 24 Jahre alt. Deshalb waren wir nie alle gleichzeitig an Bord. Wir haben uns meist draußen an Deck oder im Steuerhaus aufgehalten. Zusammen in der Wohnung waren wir nur, wenn wir nach Feierabend gemeinsam am Tisch gesessen haben, einen Film geguckt oder Spiele gespielt haben. Ein paar Streitigkeiten gab es schon hin und wieder, aber das gehört doch dazu. Ich fand es immer wieder schade, wenn ich von Bord gehen musste. Für mich war das mein Zuhause.

Was das mit dem Privatleben macht

Meine Freunde und Klassenkameraden wussten immer, dass ich an Bord gehöre. Ich habe mir immer gesagt: Entweder meine Freunde kommen damit klar oder es passt eben nicht. Die meisten meiner Freunde sind Binnenschiffer. Wir sind miteinander vernetzt und wissen, wo die anderen langfahren, damit sich Treffen unterwegs organisieren lassen. Mit der Familienplanung kann es natürlich schwierig werden. Man muss erst einmal eine Partnerin finden, die das mitmacht. Meiner letzten Freundin waren einfach der Kontakt und ihre Freunde an Land wichtiger. Das kann ich auch verstehen.

Freie Wochenenden oder Urlaub haben wir kaum, wir versuchen uns im Alltag Freizeit zu nehmen. Für die Frachtreise, die wir aktuell fahren, haben wir uns beispielsweise Anfang der Woche ein bisschen beeilt, damit wir in Mannheim eine Pause einlegen können. Ich war aber auch schon über eine längere Zeit weg – auf einer Kreuzfahrt. Viele haben mich dafür belächelt, aber Landurlaub ist einfach nichts für mich. 

Welche Eigenschaften man als Binnenschiffer braucht

Man muss definitiv flexibel sein, weil man ziemlich schnell von einer auf die nächste Arbeit switchen muss. Bei den Arbeiten an Deck darf man sich nicht davor scheuen, sich dreckig zu machen. Und man muss sich darauf einstellen, bei Wind und Wetter draußen zu sein.

Was ich auf Partys dazu gefragt werde 

Das sind eigentlich immer die gleichen Fragen: Wie machst du das mit dem Kontakt zu Freunden? Ist dir denn nicht langweilig? Ist es nicht eintönig, immer auf dem Schiff zu sein? Wir leben für unseren Beruf. Wir sehen das nicht als Nachteil, dass wir abends nicht mehr rausgehen und Party machen können. Wir machen trotzdem jeden Abend irgendwo fest, gehen mal was essen oder trinken mit Freunden ein Bierchen. Ich finde es trotzdem ganz gut, dass die Leute das fragen, weil man dadurch merkt, dass das Interesse da ist. Viele Menschen wissen gar nicht, dass es das Binnenschiff als Transportmittel und uns Binnenschiffer überhaupt gibt.

Wie viel man als Binnenschiffer verdient

Als einfacher Matrose fängt man bei einem Grundgehalt von 2500 Euro an. Dann kann man weiter aufsteigen zum Steuermann und zum Steuermann mit Patent, dem Führerschein für das Binnenschiff. Das ist das Höchste, was es an Bord an Qualifikationen gibt. Zusätzlich gibt es Weiterbildungen für Tankschiffe und drei unterschiedliche Gefahrgutklassen. Da geht das Gehalt hoch bis 6500 Euro brutto. Wir haben uns im Rahmen unseres Betriebs auf ein festes Gehalt von 3000 Euro brutto pro Monat geeinigt.“

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