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Etwa 1500 Euro brutto für den Dichter

Fabian ist 28 Jahre alt und arbeitet als Dichter.
Foto: Privat / Bearbeitung: jetzt

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Was ein Dichter verdient

Da ich selbständig bin, ist mein monatliches Gehalt nicht immer gleich. Im Durchschnitt verdiene ich aber 1 500 Euro bis 2 000 Euro brutto. Ich bin noch relativ am Anfang, meinen Verlag habe ich erst 2020 gegründet. Trotzdem steht fest: mit dem Schreiben wird man nicht reich! Es gibt sowieso nur sehr wenige Menschen, die in Deutschland alleine vom Schreiben leben können.

Was macht ein Dichter?

Eine der Haupttätigkeiten eines Dichters ist das Beobachten. Um dafür genug Zeit zu haben, darf ich auch nicht zu viel im Alltag verstrickt sein. Ich muss mir Zeit nehmen zum Spazieren gehen, zum Reisen. Als Dichter darf man also nicht zu sehr von Termin zu Termin hetzen. Das „normale“ Leben braucht einen großen Platz im Alltag. Man muss auch Sachen erleben, denn nur so kann man dann auch über diese Sachen schreiben. Aus den gewonnenen Eindrücken entstehen dann oft die Gedichte. Manchmal auch direkt vor Ort. Wenn ich in einer Situation bin und merke, dass ich den Moment einfangen will, dann nehme ich mir die Zeit.

Meistens ist es ein Gedanke, den ich mir in meinen Notizblock notiere. Ich hole den Gedanken dann immer wieder hervor und ergänze etwas. Das ist ein stetiger Prozess, der sich oft über mehrere Tage erstreckt. So entsteht dann mit der Zeit ein Gedicht. Dass ich ein Gedicht in einem Stück herunterschreibe, passiert eher selten. Wenn es aber doch mal passiert, ist es ein wahnsinnig befriedigendes Gefühl.

Gleichzeitig bin ich ja auch Verleger. Im November 2020 habe ich den Trabanten Verlag in Berlin gegründet und neben meinen eigenen Büchern auch die anderer Autor*innen veröffentlicht. Das nimmt natürlich auch einen großen Teil meines beruflichen Lebens ein. Am Anfang habe ich alles, von der Covergestaltung bis zur Pressearbeit, selbst gemacht. Mittlerweile sind wir ein Team von sechs Leuten und ich fokussiere mich auf das Verlagsprogramm, treffe mich mit neuen Autor*innen und überlege, welche Titel wir rausbringen könnten. Das Buch schreiben, zu dichten, ist also die eine Arbeit. Die Lyrik dann zu verkaufen ist aber mindestens nochmal genauso viel Arbeit und genauso wichtig. Das Buch soll ja schließlich zum/zur Leser*in kommen. Dass ich mein eigener Verleger bin, ist aber ein großes Privileg. So habe ich beide Welten, das Schreiben und das Wirtschaftliche. Das eine ist jeweils ein super Ausgleich für das andere. Außerdem habe ich so als Dichter maximale Freiheit. Kein Verleger sagt mir, ich soll dies oder jenes schreiben, nur weil es sich gut verkauft.

Wie der Arbeitsalltag aussieht

Ich versuche eigentlich jeden Morgen bis elf Uhr zu schreiben. Ich stehe meistens um acht Uhr auf, mache mir einen Kaffee, gehe mit meinem Laptop zurück ins Bett und dann wird geschrieben. Erst danach stehe ich richtig auf und setze mich an den Schreibtisch. Updates, Telefonate, E-Mails beantworten. Dann steht erst mal ein bisschen Verlagsbusiness an. Zwischendurch schreibe ich natürlich auch oft noch mal. Aber diese Routine, morgens zu schreiben, ist mir sehr wichtig. Ich brauche diesen morgendlichen Dämmerzustand. Vielleicht habe ich davor etwas Interessantes geträumt. Es geht ja auch darum, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit zu erkunden. Spannend ist ja oft das, was da unter der Oberfläche schlummert.

Oft habe ich das Gefühl, der Text ist schon da, ich muss ihn nur noch zu fassen kriegen. Und genau das ist die Schwierigkeit: Den Text an die Oberfläche zu ziehen, ohne dass dabei etwas verloren geht. Manchmal gelingt mir das und manchmal auch nicht oder nur teilweise. Für diesen Prozess sind die Morgenstunden perfekt. So kann ich die Realität, die am Schreibtisch wartet, noch ein wenig hinauszögern.

Wie man Dichter wird

In Deutschland herrscht noch die breite Meinung: Dichten ist Talent, das kann man  – oder man kann es eben nicht. Es gibt nur sehr wenige Studiengänge in Deutschland, die sich mit kreativem Schreiben oder Dichten befassen. In den USA sieht die Sache beispielsweise ganz anders aus. Dort gibt es viele Schreibschulen. Man kann das Dichten sicher lernen, ich habe aber einfach angefangen. Bei mir war es das klassische Learning-by-Doing. Viel Lesen, dann Schreiben, immer weiter machen und sich so entwickeln. Auch gerne mal nach links und rechts schauen: Was schreiben die anderen? Letzten Endes geht es darum, seinen eigenen Stil zu finden.

Welche Eigenschaften man braucht

Egal ob als Dichter oder als Verleger, die wichtigste Eigenschaft ist, keine Angst zu haben. Man sollte lieber zu viel Selbstbewusstsein haben, als zu wenig. Ich habe selbst auch oft Zweifel, aber dann sage ich mir: „Mach’s einfach, das läuft schon!“ Niemand sagt dir, ob das Geschriebene jetzt gut oder schlecht ist. Das musst du selbst einschätzen. Und man macht sich auch immer auf eine Art nackt und angreifbar. Auch wenn alle sagen würden, dass deine Gedichte schlecht sind, musst du standhaft bleiben und sagen: „Nein, das ist gut!“ Und einen Monat später musst du immer noch sagen, dass es gut ist. Ich habe viele Freundinnen und Freunde, die schreiben, ohne es zu veröffentlichen. Da sind die Selbstzweifel zu groß. Und so kann das nicht funktionieren. Du musst lieber zu überzeugt sein von dir selbst, als zu wenig.

Welche Frage auf Partys immer gestellt wird

Auf Partys werde ich manchmal gefragt, wie das mit dem Schreiben und dem Geld verdienen aussieht. „Bei so vielen Büchern muss sich das ja ganz schön läppern. Du kannst sicher richtig gut davon leben, oder?“ Da muss ich aber leider immer enttäuschen. Der Verlag wurde gerade erst gegründet, und auch von einem verkauften Buch bleibt deutlich weniger vom Ladenpreis übrig, als man denkt. Bis da überhaupt was hängen bleibt, dauert es.

Vorstellung vs. Realität

Es gibt ja Dichter-Stereotype. Beispielsweise abends am Schreibtisch mit einer Flasche Rotwein sitzen. Außerdem glauben viele, man müsse immer reimen. Dabei wird in der modernen Lyrik ziemlich wenig gereimt. Momentan wird wieder mehr gereimt, was ich auch echt gut finde, aber dichten ist nicht zwangsläufig gleich reimen.

Natürlich entspreche ich auch ein paar der typischen Klischees. Ich lese beispielsweise sehr viel. Von Gedichten über Essays bis hin zu Roman. Außerdem bin ich sehr gerne in der Natur und gehe gerne wandern. Das Wandermotiv der Romantik ist ja ein Klassiker aus dem Deutschunterricht. Ich gehe dann mehrere Tage wandern, auch ohne Handy, und muss selbst manchmal schmunzeln, wie sehr ich da das Klischee eines Dichters bediene.

Ich habe lange versucht herauszufinden, in welchem Zustand ich am besten dichten kann. Mal beflügelt mich positiver Stress, mal brauche ich absolute Gelassenheit. Es ist wirklich eine Mischung aus allem und wahrscheinlich auch bei jedem anders. Sich einfach mal hinzusetzten und zu sagen: „Ich schreibe jetzt!“ funktioniert tatsächlich besser als man denkt. Es ist ein ständiges Versuchen und Probieren. Wir sind ja Menschen und keine Maschinen. Deshalb ist es auch voll okay, mal weniger und mal mehr zu schreiben.

Job oder Berufung?

Das Schreiben ist für mich mehr als nur ein normaler Job. Muss es denke ich auch sein, da man aus einer ganz anderen Intention heraus in den Beruf startet. Man fängt nicht an lyrisch zu schreiben, um damit in erster Linie Geld zu verdienen, sondern aus einer tiefen Lust heraus. Ich denke, bei den meisten fängt es als Hobby oder Leidenschaft an und wird dann erst, wenn man Glück und Durchhaltevermögen hat, zum Job. Oder es bleibt eben ein schönes Hobby, was auch voll in Ordnung ist. Ich glaube, der Start in den Beruf ist der größte Unterschied im Vergleich zu einem Ausbildungsberuf.

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