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5324 Euro brutto für die Gewerkschaftssekretärin

Foto: Privat / Illustration: jetzt

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Wie bist du auf die Idee gekommen, Gewerkschaftssekretärin zu werden?

Nach meinem Bachelorstudium im Bereich Soziale Arbeit habe ich bei einem Stadtjugendring gearbeitet. Das ist im Endeffekt ähnlich wie bei einer Gewerkschaft. Denn auch der Stadtjugendring vertritt die Interessen seiner Mitglieder, in diesem Fall die der Jugendlichen. Dabei ging es zum Beispiel darum, neue Jugendtreffs zu organisieren oder die Infrastruktur der Stadt auszubauen. Die Arbeit dort hat mir sehr viel Spaß gemacht, da ich mich gerne für andere Menschen einsetze. Das Problem war aber, dass wir von dem Verhandlungspartner – der Stadt – finanziell abhängig waren. Dadurch konnten wir nicht völlig autonom agieren.

Irgendwann habe ich mich schließlich bei der IG BCE, der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie beworben, die sich durch die Beiträge ihrer mehr als 600 000 Mitglieder – Beschäftigte aus gut einem Dutzend Industriebranchen, wie zum Beispiel der Sportartikel-, Pharma- und Kosmetikindustrie – finanziert. Das Attraktive an der Arbeit in einer Gewerkschaft ist aus meiner Sicht auch, dass du Arbeits- und Lebensbedingungen positiv beeinflussen kannst und dadurch einen sinnvollen Beitrag für gute und menschenwürdige Arbeit leistest. Außerdem entwickelst du dabei den Mut, für dich selbst und andere einzustehen.

Welche Ausbildung hast du bei der IG BCE absolviert?

Ich habe vor rund zehn Jahren ein 18-monatiges Traineeprogramm zur Gewerkschaftssekretärin absolviert. Dafür kann man sich bewerben, wenn man entweder eine abgeschlossene Berufsausbildung und Erfahrung in einer betrieblichen Interessensvertretung vorweisen kann oder wenn man ein Studium absolviert hat. Auch dabei ist es wichtig, dass man sich bereits ehrenamtlich in Parteien, Verbänden, sozialen Initiativen oder Bewegungen engagiert hat. Im Rahmen des Traineeprogramms werden theoretische Inhalte wie Seminare zum Thema Arbeitsrecht und Betriebsverfassungsgesetz mit der Praxis verknüpft.  

Im praktischen Teil fährt man selbst in die Unternehmen und arbeitet dort eng mit den Betriebsräten zusammen. Zum Beispiel gibt man dort Workshops, berät Betriebsräte zum Beispiel zu neuen Betriebsvereinbarungen, oder man bereitet Verhandlungen mit den Arbeitgebern vor und führt diese dann letztendlich auch. Partizipation und Engagement von den Beschäftigten im Betrieb ist dabei ganz wichtig, denn für mich geht es darum, Menschen zu inspirieren, ihr Wissen im Bereich Mitbestimmung innerhalb eines Betriebs zu erweitern.

Warum sollte ich als Arbeitnehmer*in Mitglied bei einer Gewerkschaft werden?

Je mehr Arbeitnehmer*innen sich ihr anschließen, desto stärker ist eine Gewerkschaft und desto mehr kann sie für die Beschäftigten bewirken. Während Einzelpersonen in der Regel wenig ausrichten können, kann eine ganze Gruppe von Arbeitnehmer*innen dafür sorgen, dass die Arbeitgeber ihnen zuhören! Zum Beispiel verhandeln Gewerkschaften mit den Arbeitgebern Tarifverträge, meist für ganze Branchen und manchmal auch für einzelne Unternehmen. Dort werden Lohnerhöhungen, Arbeitszeiten oder Zusatzleistungen ausgehandelt. Und es werden klare Regeln und Rahmen festgelegt, etwa bei den Entgeltgruppen, bei denen es um Lohn und Gehalt geht. Das hat den Vorteil, dass sich die Bezahlung ausschließlich nach Tätigkeit, Berufserfahrung und Qualifikation des Beschäftigten richtet. Männer und Frauen werden dadurch gleich bezahlt.

Oft gibt es aber auch Unternehmen, deren Arbeitnehmer*innen noch überhaupt keine Gewerkschaft hinter sich haben. In diesem Fall kann eine Mitgliedschaft auch sinnvoll sein, um erste Rahmenbedingungen zu vereinbaren. So hatten wir in unserer Region zum Beispiel einmal den Fall, dass ein Start-up im Bereich erneuerbare Energien sehr schnell gewachsen ist und der Gründer plötzlich feste Arbeitsbedingungen nach seinen Vorstellungen eingeführt hat. Er hat beispielsweise festgelegt, wie viele Stunden die Mitarbeiter pro Tag arbeiten sollen. Das wollten die Arbeitnehmer*innen nicht mit sich machen lassen und sind zu uns gekommen. Wir konnten ihnen dabei helfen, ihre Forderungen durchzusetzen und die Anzahl der Stunden pro Tag flexibel zu lassen. Gewerkschaften sorgen aber nicht nur im Rahmen des eigenen Unternehmens für Veränderung.

Sie sind auch politisch aktiv, sowohl regional als auch auf Bundesebene. Das heißt: Sie vertreten die Interessen ihrer Mitglieder auch im politischen Umfeld. So haben sie indirekten Einfluss auf die Gesetzgebung.

Wie läuft eine Tarifverhandlung ab?

Eine Tarifverhandlung kommt zustande, wenn sich die Beschäftigten eines Unternehmens bei einer Gewerkschaft wie der IG BCE, melden, weil sie zum Beispiel fairer bezahlt werden wollen und nach Transparenz streben oder wenn der bestehend Tarifvertrag ausläuft. Die Gewerkschaftsmitglieder in einem Unternehmen oder aus einer kompletten Branche wählen dann eine Tarifkommission, eine Art Arbeitsgruppe, die stellvertretend für sie mit den Arbeitgebern verhandelt. Vor der Verhandlung besprechen sie innerhalb der Kommission und mit ihren Kollegen, welche Punkte ihnen bei der Verhandlung besonders wichtig sind und wo Spielraum ist, wo vielleicht auch Kompromisse möglich sind. Bei der Verhandlung selbst sitzen sich die zwei Parteien – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – an zwei Tischen gegenüber.

So wie die Arbeitnehmer*innen einen Gewerkschaftssekretär auf ihrer Seite haben, haben die Arbeitgeber*innen, also die Geschäftsführer*innen der Unternehmen, auch einen Verhandlungsführer, in der Regel vom Arbeitgeberverband, auf ihrer Seite. Gewerkschaften geht es oft um mehr Geld, flexiblere Lebensarbeitszeiten, die auch mal ein Sabbatical ermöglichen, eine bessere Altersvorsorge oder weniger Arbeitsstunden pro Monat.

Obwohl manchmal auch ein etwas rauer Ton bei Verhandlungen herrscht, führen wir sie immer auf Augenhöhe. Ein gegenseitiger, respektvoller Umgang ist uns besonders wichtig. Das ist aber sicher nicht in allen Branchen so.

Und was passiert, wenn man sich einfach nicht einig wird?

Bei Verhandlungen muss man geduldig sein und einen langen Atem haben. Sie dauern oft bis tief in die Nacht und werden meistens mehrmals vertagt. Voran geht es nur in kleinen Schritten. Wenn die Lage sehr vertrackt ist, müssen wir manchmal aber auch zu härteren Mitteln greifen. Ein Streik ist dabei aber für uns nur das allerletzte Mittel. Um Druck aufzubauen, machen wir vorher auf die Forderung und die Situation der Arbeitnehmer*innen aufmerksam. Zum Beispiel organisieren wir Demonstrationen vor den Werken, kontaktieren Politik und Medien oder wir sammeln Unterschriften, die wir der Gegenseite präsentieren. Wir stärken so unsere Verhandlungsposition und zeigen, dass wir viele sind und dass wir zusammenhalten.

In unserer Branche erreicht man mehr, wenn man nicht sofort auf die Barrikaden steigt, um seine Forderungen mit allen Mitteln zu erreichen. Stattdessen setzen wir in der IG BCE auf die Sozialpartnerschaft, also die eher konsensorientierte Beziehung zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgebern. Uns helfen dabei die starken Mitbestimmungsgesetze, die es in Deutschland gibt und für deren Erhalt und Weiterentwicklung wir uns tagtäglich einsetzen.

Was ist dein monatliches Bruttogehalt?

Monatlich verdiene ich 5324 Euro brutto. Das klingt erst mal gut, allerdings bin ich auch schon zehn Jahre bei der IG BCE beschäftigt, habe in den letzten Jahren berufsbegleitend meinen Master in Wirtschaftspsychologie absolviert und bin inzwischen für die Anliegen von knapp 10 000 Beschäftigten in unserer Region zuständig. Das heißt auch, dass man bei der IG BCE schon früh Verantwortung übernehmen darf, was die Aufgabe besonders reizvoll macht. Am Ende wird davon natürlich einiges abgezogen, netto komme ich auf 2 816 Euro.

Mit welchen aktuellen Herausforderungen hat die IG BCE zu kämpfen?

Ein großes Thema ist derzeit die klimagerechte Transformation der Industrie. Dabei geht es um Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit. Im Juli wurde von Bundestag und Bundesrat das Kohleausstiegsgesetz beschlossen. Damit gibt es einen Fahrplan für den Umbau der Energieversorgung, die sozialverträgliche Gestaltung des Strukturwandels und ein Sicherheitsnetz für die Beschäftigten. Im Bereich Stein- und Braunkohle arbeiten zehntausende Menschen. Viele von ihnen sind Mitglied bei der IG BCE. Unsere Gewerkschaft vereinbart aktuell Tarifverträge zum Kohleausstieg mit den einzelnen Unternehmen und regelt darin, wie die Zukunft der betroffenen Beschäftigten konkret aussehen kann. Zum Beispiel sollen ältere Beschäftigte in vorzeitigen Ruhestand gehen, während jüngere Generationen in andere Jobs und Branchen vermittelt werden oder eine betriebliche Weiterbildung erhalten.

Natürlich beschäftigen uns auch die Corona-Pandemie und die Frage, wie die neue Normalität nach Corona aussehen kann. Vor allem setzen wir uns im Moment auch dafür ein, dass Betriebe trotz der aktuellen wirtschaftlichen Situation weiter Auszubildende beschäftigen und in die Zukunft investieren.

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