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„Eine Bewerbung reicht schon in normalen Zeiten nicht aus“

Die 29-jährige Saskia Köhler berät junge Menschen bei ihrer Berufswahl.
Foto: privat

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Die Corona-Pandemie hat die Berufspläne vieler junger Menschen durcheinander gebracht. Vorstellungsgespräche wurden abgesagt, Ausbildungsplätze gestrichen, Frühere Traumjobs ergaben auf einmal keinen Sinn mehr. Saskia Köhler, 29, berät in der Arbeitsagentur Oldenburg-Wilhelmshaven junge Menschen bei ihrer Berufswahl. Ein Gespräch über unverhofft vermittelte Jobs, Berufe mit Zukunft und Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

jetzt: Wie erleben Jugendliche, die vor dir sitzen und sich für einen Job entscheiden müssen, die Corona-Krise?

Saskia Köhler: Es gibt den einen oder anderen, der enttäuscht ist, dass es nicht mit dem Wunschausbildungsplatz geklappt hat. Aber die meisten sind zuversichtlich. Viele arbeiten daran, dass es dieses Jahr klappt, gerade wenn es im vergangen Jahr nicht erfolgreich war. Die meisten sind offen für die Berufsberatung, die nun auch am Telefon oder per Videoberatung stattfindet.

Welchen Rat gibst du jemandem, dessen Ausbildungsplatz plötzlich weggebrochen ist?

Wichtig ist das Ziel des jungen Menschen zu kennen. Wenn es darum geht den Ausbildungsabschluss zu erhalten, unterstütze ich dabei, einen Betrieb zu finden. Außerdem mache ich Mut und unterstütze bei der Planung neuer Wege. Manchmal kann es auch ein Umweg sein, der vielleicht etwas länger dauert. So kann ein Langzeitpraktikum oder ein freiwilliges Jahr neue Perspektiven eröffnen.  Für die Auswirkungen der Pandemie kann niemand etwas. Es gibt aber Chancen und Wege, die man nur erkennen und nutzen muss.

Was ist mit Aushilfsjobs, die gerade benötigt werden, zum Beispiel im Supermarkt oder im Gesundheitsamt?

Bevor man nichts macht, ist das definitiv eine gute Wahl. Es kann helfen, auch durch die praktischen Erfahrungen, die man sammelt. Das ermöglicht eine andere Sichtweise auf die Arbeitswelt. Das Gleiche gilt für ehrenamtliche Tätigkeiten.  

„Wir haben hier auch Erfolgsgeschichten“

Etwa 40 000 weniger Ausbildungsplätze als im Jahr 2019 wurden 2020 angeboten – ein Minus von etwa sieben Prozent. Ein Rückgang, wie es ihn seit einigen Jahren nicht gab.

Das mag stimmen. Aber wir haben hier auch Erfolgsgeschichten. Ein junger Mann hat sich zum Beispiel im Sommer bei uns gemeldet, weil er das Gymnasium in der 11. Klasse verlassen musste. Seine Noten waren nicht ausreichend. Nun wusste er nicht, wie es weitergeht. Er war ratlos, hatte keinen Plan. Meine Kollegin, die sich um ihn gekümmert hat, hatte Sorge, dass er ihr entgleitet, gerade jetzt, in der Pandemie.

Wie habt ihr ihm geholfen?

Nachdem einige Gespräche stattgefunden hatten, hatte er endlich seine erste Bewerbung abgeschickt. 15 Minuten später kam die Antwort. Die Firma hatte Interesse, wollte ihn kennenlernen. Er wurde direkt eingestellt als Chemikant. Solche Erfolgsgeschichten freuen uns natürlich sehr. Das ist aber nicht die Regel. Meistens predigen wir: Eine Bewerbung reicht schon in normalen Zeiten nicht aus. Je nach Beruf sind es häufig zehn oder mehr Bewerbungen bis zum Erfolg.

Gab es auch tragische Geschichten?

Es gibt Fälle, bei denen junge Leute ihren Ausbildungsplatz verloren haben, zum Beispiel, weil ihnen vor Ablauf der Probezeit gekündigt wurde. Das ist aber nicht erst seit Corona so. Das passiert leider immer mal wieder. Insgesamt waren wir hier in Wilhelmshaven überrascht, wie viele Ausbildungsverträge seit Pandemie-Beginn abgeschlossen wurden. Das ist natürlich großartig. Wir versuchen alles, um Ausbildungssuchende und Betriebe zusammenzubringen.

Was sagst du einem Jugendlichen, der sagt: „Ich weiß nicht, was ich beruflich machen soll.“

Ich frage zum Beispiel, was der- oder diejenige in der Freizeit macht. Manchen fällt es nicht so leicht, darüber zu sprechen, weil sie gar nicht wissen, was sie interessiert und was sie gut können. Es gibt verschiedene Testmöglichkeiten, die zur Vorbereitung helfen. Außerdem empfehle ich immer unser Online-Tool „Check U“ zu nutzen. Hier kann man wissenschaftlich fundiert herausfinden, was das richtige für einen sein könnte. Check U ist ganz einfach über unsere Internetseite „Ausbildung klarmachen“ zu finden, wo wir alle Informationen gebündelt haben.

Wenn da jemand vor dir sitzt, der sich nach beruflicher Sicherheit sehnt, was rätst du da?

Jeder entwickelt sich in seinem Berufsleben ständig weiter. Die absolute Sicherheit gibt es daher wohl nicht. Die erste Berufswahl ist vielmehr oft nur der erste Schritt ins Berufsleben. Danach folgen sehr viele weitere Schritte. Die Sicherheit, von der Jugend bis zur Rente in einem Beruf zu arbeiten, gibt es nicht mehr. Früher war es üblicher, von 15 bis 65 im selben Betrieb gearbeitet zu haben. Das kommt heute kaum noch vor. Der Arbeitsmarkt und damit die Berufe haben sich bereits und werden sich auch weiter verändern.

Welche Berufe haben eine Zukunft?

Wie gerade gesagt, gibt es immer Veränderungen. In meiner Beratung ist es daher wichtig neutral zu bleiben. Es gibt natürlich Branchen, die länger großen Bedarf melden, zum Beispiel die Pflege. Aber die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Digitalisierung eine immer wichtigere Rolle spielt. Es gab einen Anschub, durch den sich vieles in die digitale Welt bewegt hat. Homeschooling, Homeoffice und auch bei uns in der Berufsberatung. IT-Berufe werden in Zukunft stärker gefordert sein. Aber auch in den meisten anderen Jobs werden Informatik-Kompetenzen nötig sein. Die Pandemie zeigt, dass da ein großer Bedarf ist.

Wie passt man sich an die neuen Bedingungen in der Pandemie an?

Trotz der aktuellen Situation sollte geprüft werden, wo Praktika möglich sind. Sie bieten die Möglichkeit herauszufinden, ob einem der Beruf, oder auch der Betrieb, gefällt – oder auch nicht. Und wenn möglich mehrere ausprobieren. Berufsmessen finden aktuell nicht in der Messehalle sondern online statt, da kommt man mit Betrieben und Arbeitgebern ins Gespräch. Auch virtuell eine gute Chance sich kennenzulernen und Informationen einzuholen.

„Ich versuche dazu zu ermutigen, dass auch ein Junge Friseur oder Pflegen werden kann“

Du arbeitest seit sechs Jahren als Berufsberaterin. Sind die Geschlechter-Klischees über Berufe mittlerweile verschwunden?

Eher nicht. Das sieht man an der jährlichen Liste der Top-Ten-Berufe der Geschlechter. Ich versuche dazu zu ermutigen, dass auch ein Junge Friseur oder Pfleger werden kann und sich auch mal ein Mädchen zur Mechantronikerin ausbilden lässt.

Es gibt schon lange den „Girls Day” und andere Initiativen, die sich dafür stark machen. Wirkt das nicht?

Berufswahl wird größtenteils durch Eltern und auch den Freundeskreis beeinflusst. Daher werden Entscheidungen häufig danach getroffen, was man kennt oder einem vorgelebt wird. In „nicht so typische“ Bereiche zu gehen, setzt viel Selbstbewusstsein und Motivation voraus.

Deshalb ist neutrale Beratung wichtig. Kampagnen und Projekte bieten die Chancen sich außerhalb dessen, was man kennt, auszuprobieren. Es ist wichtig, Geschlechterklischees aufzubrechen. Bei der Berufswahl sollten Kenntnisse und Fähigkeiten entscheiden und nicht das Geschlecht.

Überschätzen Jungs sich eher?

Das würde ich nicht sagen. Aber mir fallen einige Beispiele dazu ein: Einige Jungen sagen, dass sie sich gut mit Computern auskennen. Darunter verstehen sie dann, dass sie ihr Smartphone bedienen können oder Computerspiele spielen. Für einen Beruf in diesem Bereich sollte man aber auch mal einen Computer zusammengeschraubt haben oder sich eine Programmiersprache beigebracht haben. Da unterscheidet sich die eigene Wahrnehmung von der Fremdwahrnehmung. Es gibt aber bei Jungs und Mädchen viele, die ihre Fähigkeiten gut einschätzen können.

Es gibt 20 000 Studiengänge und mehr als 300 Ausbildungsberufe. Man könnte meinen, dass es Jüngeren bei diesem Angebot so leicht wie nie fallen dürfte, den passenden Job zu finden.

Im Gegenteil. Die Jugendlichen wirken oftmals unsicher, weil die Auswahl so groß ist. Die Unsicherheit kommt häufig daher, dass sie Angst haben, sich für den falschen Beruf zu entscheiden. Das führt dazu, dass sie lieber keine Entscheidung treffen, als eine möglicherweise „falsche“ Entscheidung. Es geht dabei aber nicht um richtig oder falsch. Die Entscheidung für eine Ausbildung ist nur der erste Schritt ins Berufsleben, auf den noch einige folgen werden.

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