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7300 Euro brutto für den Bürgermeister

Hat lange darüber nachgedacht, ob er wirklich kandidieren soll: Bürgermeister Henning Evers.
Foto: Hagen Lindenschmidt; Bearbeitung: SZ Jetzt

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Wie der Arbeitsalltag eines Bürgermeisters aussieht 

In erster Linie bin ich nicht Politiker, sondern Leiter der Verwaltung, der Chef von etwa 80 Mitarbeitern. Normalerweise beginnt mein Tag im Rathaus oder bei einem Ortstermin. Wenn ich im Rathaus bin, unterhalte ich mich viel mit meinen Mitarbeitern und den Amtsleitern, etwa den Leitern des Ordnungs- oder Bauamtes. Letztens haben wir zum Beispiel Zeitpläne für den Neubau eines Feuerwehrgerätehauses besprochen. Außerdem sitze ich viel am Schreibtisch, telefoniere und beantworte Mails und Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern. Vor ein paar Tagen hat mich beispielsweise eine Mutter angerufen, weil es Probleme mit der Busverbindung ihrer Tochter zur Grundschule gibt. Das sind Themen, mit denen ich täglich zu tun habe. Außerdem bin ich überall in der „Samtgemeinde“ unterwegs. So nennt man in Niedersachsen einen Verband eigenständiger Gemeinden, der öffentliche Aufgaben für die Kommunen übernimmt. Ich fahre zu Terminen im ganzen Landkreis, nehme an Ehejubiläen teil, tausche mich mit den Bürgermeistern der benachbarten Samtgemeinden aus, nehme Ehrungen bei der freiwilligen Feuerwehr vor oder besuche die Schützenfeste in der Umgebung und repräsentiere dort Hankensbüttel. Vieles davon findet am Wochenende statt. Zu Spitzenzeiten arbeite ich gut 70 Stunden die Woche. Der Job ist sehr abwechslungsreich, einen echten Alltag gibt es nicht. 

Was der Job mit dem Privatleben macht 

Ich habe fast kein Privatleben mehr, wenn ich im Ort unterwegs bin. Das finde ich allerdings nicht problematisch, weil ich es auch sehr genieße, wenn mir Menschen ihre Anliegen anvertrauen und ich ihnen helfen kann. Ich verbringe wesentlich mehr Zeit beim Bäcker oder beim Einkaufen, weil ich immer jemanden treffe und sich ein Gespräch ergibt. Das heißt aber auch, dass ich abends in der Kneipe oder an der Bar aufpassen muss, was ich sage, weil ich durch meine Arbeit viele Informationen erlange, die sensibel sind und Diskretion erfordern. Darüber spreche ich nicht und will es schon gar nicht mit meinem Privatleben vermischen. Gerade weil mich mein Job sehr fordert, nehme ich mir aber auch bewusst Auszeiten. Ich verbringe gerne Zeit mit meiner Partnerin, meiner Familie und meinen Freunden und nutze die restliche Zeit für meine Hobbys.  

Welche Frage ich auf Partys immer höre 

Wenn ich auf Partys sage, was ich mache, ist der Wow-Effekt meist groß. Oft kommt die Frage: Bist du dafür nicht zu jung? Kannst du das überhaupt? Da antworte ich immer, dass theoretisch auch jemand mit Mitte 50 jeden Tag drei Fehlentscheidungen treffen kann. Außerdem fragen viele, warum ich mir das antue. Bei uns in Hankensbüttel ist wirklich plattes Land. Viel Fläche, wenig Einwohner, viele Kühe und Bauernhöfe. Solche Regionen haben es einfach schwer. Ärztemangel, bröckelnde Infrastruktur, Probleme mit dem öffentlichen Nahverkehr. Es gibt riesige Herausforderungen. Aber ich glaube, dass ich als Bürgermeister einen großen Teil dazu beitragen kann, dass Menschen bei uns auf dem Land gut leben können. „Meine“ Samtgemeinde ist Trägerin des Schwimmbads, in dem ich selbst schwimmen gelernt habe, Trägerin der Schule, auf die ich selbst gegangen bin. Das ist eine Herzensangelegenheit für mich und nicht nur ein Verwaltungsjob. 

Wie ich Bürgermeister geworden bin

Ich war schon immer politisch interessiert und bin 2013 in die SPD eingetreten. Nachdem ich mich in der Partei zurechtgefunden hatte, habe ich begonnen, mich kommunalpolitisch zu engagieren. Ich war in der Schule Schülersprecher und im Studium Asta-Vorsitzender. Es hat mir Spaß gemacht, all diese Ehrenämter auszuüben. Als es 2020 hieß, dass mein Vorgänger nicht mehr kandidiert, habe ich zum ersten Mal ernsthaft überlegt, selbst anzutreten. Ein paar Leute aus meiner Heimat haben mich auch angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, Bürgermeister zu werden. Ich war zu dem Zeitpunkt noch in Flensburg an der Uni und habe Politik, Wirtschaft und Englisch auf Gymnasiallehramt studiert. Ich war aber weiterhin relativ viel in Vereinen in meinem Heimatort engagiert. Nach einem Sommer Bedenkzeit bin ich dann aus der Torte gesprungen und habe gesagt: Ja, ich würde das machen. Durch einen sehr ambitionierten Wahlkampf haben wir im September 2021 die Wahl gewonnen – auch wenn es echt knapp war. Es war ein tolles Gefühl, gewählt zu werden.   

Die Vorurteile gegenüber jungen Amtsträgern

Ich wurde oft damit konfrontiert, dass Leute gesagt haben: Der ist zu jung. Und damit war die Diskussion beendet. Es hat mich sehr aufgeregt, dass viele Menschen mein Alter vorgeschoben haben, um sich nicht mit meinen Themen auseinandersetzen zu müssen. Oder damit, welche Erfahrungen ich mit Mitte 20 mitbringe. Zu Beginn war diese Diskriminierung aufgrund meines Alters belastend für mich. Aber inzwischen habe ich vielen bewiesen, dass man das Amt auch als junger Mensch ausüben kann. 

Welche Eigenschaften ein Bürgermeister braucht  

Entscheidungsstärke ist wichtig. Man muss beharrlich sein und Durchhaltevermögen haben. Man darf sich nicht von den Ideen abbringen lassen, die man persönlich für wichtig hält. Und man sollte Dinge gut koordinieren und kommunizieren können. Es braucht allerdings auch viel Empathie: Wenn Bürgerinnen und Bürger mit Tränen in den Augen von ihren Problemen erzählen und wirklich verzweifelt sind, muss man auf sie eingehen und Mut machen können. Ich hatte in meinem ersten Dreivierteljahr im Amt schon mehrfach Situationen, in denen ich dachte: Ich fahre heute Nachmittag einkaufen und bringe Taschentücher fürs Büro mit. Als Bürgermeister braucht man eine dicke Haut, aber man darf niemals gegenüber den Problemen der Menschen abstumpfen. 

Vorstellung vs. Realität 

Ich habe mir den Job teilweise anders vorgestellt. Ich habe nicht gedacht, dass das „Chefsein“, also die Leitungsfunktion im Haus, so viel Raum einnimmt. Aber für die Leitung meiner Mitarbeiter und der Verwaltung muss und will ich viel Zeit aufwenden. Die vielen repräsentativen Termine „nach Feierabend“ und am Wochenende habe ich mir dagegen genauso vorgestellt. Beides macht mir Spaß. 

Wie viel man als Bürgermeister verdient  

Das Gehalt eines Bürgermeisters hängt immer von der Größe der Gemeinde ab. Ich habe ein Grundgehalt von 6850 Euro brutto, mit Amtszulagen und Aufwandsentschädigung sind es aber ungefähr 7300 Euro brutto. Das ist sind für mich netto ungefähr 4900 Euro. 

Was passiert, wenn ich nicht wiedergewählt werde 

Ich bin da völlig entspannt. Wenn ich aus dem Amt ausscheide, habe ich durch mein Lehramtstudium eine sehr komfortable Rückfalloption: Ich kann immer noch Lehrer werden. Niemand hat ein solches Amt gepachtet. Ich muss immer davon ausgehen, nicht mehr gewählt zu werden. Sich krampfhaft an ein Amt zu krallen, macht keinen Sinn und ist aus meiner Sicht völlig aus der Zeit gefallen. 

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