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3000 Euro brutto für den Tatortfotografen

Hendrik liebt seinen Job und hat gelernt, mit den herausfordernden Aspekten umzugehen: reflektieren und meditieren.
Foto: Theresa Figge / Bearbeitung: SZ Jetzt

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Wie der Arbeitsalltag aussieht

„Am ersten Tag, an dem ich mit einer Leiche gearbeitet habe, schaute das Geschoss aus dem Schädel einer Toten. Das sah aus wie ein Horn. So etwas zu fotografieren ist krass. Aber solche Tatorte gibt es nicht jede Woche. Ich arbeite auch viel im Erkennungsdienst, nehme Fingerabdrücke auf, mache “Mugshots”, also Fotos von verhafteten und angeklagten Personen. Außerdem sortiere ich im Alltag die Bilder, die an Tatorten gemacht wurden, und bearbeite Fotos und Videos, damit man die Spuren noch klarer erkennt: Spiegelungen reduzieren, Kontraste erhöhen, Fingerabdrücke herausarbeiten. Und ich stelle Fotomappen zusammen, damit sie vor Gericht als Beweise verwendet werden können.“

Was ich an einem Tatort mache

„Ich fahre gemeinsam mit Kollegen, Ermittlern und Spurensicherern hin. Dort sichten wir die Spuren und ich fange an, Fotos zu machen. Dabei trage ich viel Verantwortung. Wenn ich keine guten Fotos liefere, lassen sich Beweise schlimmstenfalls nicht verwenden. Zum Beispiel, wenn der Spurensicher einen Fingerabdruck auf einer Fensterscheibe nicht einwandfrei mit einer Klebefolie abziehen kann. Dann sichert mein Foto die Spur. Neben klassischen Fotos mache ich auch aufwändigere Aufnahmen. Nach Verkehrsunfällen oder wenn ein Geldautomat gesprengt wurde, fliege ich oft eine Drohne, um das Ausmaß aufzuzeichnen. Und auch 3D-Scans fertige ich an, damit Tatorte im Nachhinein am Computer begangen werden können.“

Welche Eigenschaften man für den Job braucht

„Geistige und körperliche Fitness sind wichtig, denn ich muss mich jedes Mal an unterschiedliche Bedingungen anpassen. An manchen Tatorten arbeite ich bei strömendem Regen, an anderen bei 30 Grad in der prallen Sonne. Ich war auch schon in zerstörten Häusern, wo ich acht Stunden lang gebückt arbeiten musste. Und was man an Tatorten zu sehen bekommt, kann belastend sein. Deshalb sollte man eine stabile Psyche haben.

Ich muss natürlich mein Fach gut kennen, mit verschiedenen Kameras umgehen und auf jede Lichtsituation reagieren können. Zum Beispiel ist es wichtig, bei einem Fußabdruck mit Streiflicht zu arbeiten, damit das Profil gut erkennbar ist. Und auch Flüssigkeiten wie Blut oder Sperma sind manchmal nicht so leicht einzufangen. Deshalb sollte man in diesem Job auch kreativ sein. Anders als bei einem Fashion-Shooting, wo ich das Model am Set ausleuchte, kann ich die Situation am Tatort weniger beeinflussen. Sie ist, wie sie ist, und ich muss mich darauf einstellen. Letztens war ich auf einer Cannabis-Plantage, wo alles mit silbernen Rettungsdecken ausgehängt war. Die hätten alles reflektiert, wenn ich dort mit Blitz fotografiert hätte. Also musste ich mir etwas anderes überlegen: Langzeitbelichtung. Weil jede einzelne Spur zum Täter führen kann, ist es wichtig, immer präzise und gewissenhaft zu arbeiten.“

Wie ich mit den Eindrücken umgehe

“Ich reflektiere viel. Das war schon immer so , aber für diesen Job ist es vielleicht noch wichtiger. Eine Kinderleiche oder ein offener Schädel sind nicht leicht anzugucken, geschwiege denn zu fotografieren. Manchmal bin ich mit meinem Objektiv nur wenige Zentimeter von zerfleischten Eingeweiden entfernt.    

Inzwischen sehe ich das, was ich fotografiere, anders. Für mich ist es eine Fläche, auf die Licht fällt. Ich konzentriere mich einfach darauf, den Lichteinfall so zu gestalten, dass später andere damit weiterarbeiten können. Das klingt sehr technisch. Aber ich versuche genau das, mich abzugrenzen und zu reflektieren, dass es „nur“ meine Arbeit ist. Dabei hilft mir die Erkenntnis, dass die Leiche nichts mehr mit dem Menschen zu tun hat, die sie mal war. Nur noch seine leblose Hülle ist. Trotzdem beschäftigt mich, was ich während der Arbeit sehe. Um den Kopf frei zu bekommen, meditiere ich, schreibe Journal und spreche mit meinen Kollegen. Zum Beispiel wenn wir einen Kaffee trinken oder auf dem Heimweg vom Tatort. Freunden und Familie darf ich keine Details erzählen, das unterliegt der polizeilichen Schweigepflicht.“

Was der Job mit dem Privatleben macht

„Meistens arbeite ich von morgens bis nachmittags, wie viele andere Menschen auch. Außer ich habe Bereitschaftsdienst, dann muss ich auch mal spontan los. Oder wenn kurz vor Feierabend noch ein Tatort reinkommt und ich mehrere Stunden dranhängen muss. Das können auch schon mal weitere acht Stunden sein. 

Von den Arbeitszeiten abgesehen, gehe ich wachsamer durch den Alltag. Ich nehme schneller Gefahrenquellen wahr, weil ich durch meinen Beruf mitbekomme, wie es zu Straftaten kommt. Durch das Aufnehmen der Fingerabdrücke und den Kontakt mit Tätern habe ich gemerkt: Man kann den Leuten nicht in den Kopf gucken. Es gibt Menschen, die ihre Fingerabdrücke nehmen lassen und so wirken, als hätten sie an dem Morgen einen Kaffee getrunken und in aller Seelenruhe den Rasen gemäht. Und später kommt raus, sie haben jemanden ermordet. Bei anderen würde man intuitiv die Seite wechseln, wenn sie einem auf der Straße begegnen, und sie stellen sich als harmlos heraus.  Auch meine Zivilcourage ist größer geworden. In meinem Beruf arbeite ich für Recht und Ordnung – und für Gerechtigkeit. Wenn ich also etwas sehe, was nicht okay ist, schreite ich inzwischen schneller ein als früher.“

Welche Fragen man auf Partys gestellt bekommt

„Gibt es wirklich so viele Morde, dass es sich lohnt, extra jemanden zum Fotografieren einzustellen? Dann wollen die Leute immer Stories hören: Was war der krasseste Tatort, an dem du gewesen bist? Ich darf keine Details verraten, deshalb erzähle ich dann einfach das, was auch in den Medien steht. Das reicht meistens.“

Vorstellung vs. Realität  

„Der Job ist so, wie ich ihn mir vorgestellt habe: sehr abwechslungsreich und interessant. Ich interessiere mich schon lange für Polizeiarbeit und hatte nie allzu romantische Vorstellungen davon. So wie im Tatort sonntags ist es in der Realität nicht. Da geht kein Kommissar unter einem Flatterband hindurch und fischt einen abgegriffenen Kugelschreiber aus seiner Hosentasche, um eine Tasse aufzuheben, die sich dann zum wichtigsten Beweisstück mausert. In Wirklichkeit gibt es klare Abläufe und Vorschriften. Ich trage einen Anzug mit Haube, Füßlinge und Gummihandschuhe. Manchmal auch einen Helm, wenn der Tatort einsturzgefährdetet ist.“ 

Wie ich zu dem Job gekommen bin

„Nach dem Abitur habe ich überlegt, zur Polizei zu gehen, dann aber eine Ausbildung zum Produktfotograf gemacht und vor allem Möbel fotografiert. Danach habe ich in einer Unterkunft für Geflüchtete als Sicherheitskraft gearbeitet und nebenbei selbstständig fotografiert. Die Unterkunft sah aus wie eine Jugendherberge, aber war ein ehemaliges Frauengefängnis. Deshalb hatte ich indirekt damals schon Berührungspunkte mit der Justiz. 

Später habe ich Fotos für für die Website eines Sportartikelvertriebs geschossen. Wegen der Pandemie wurde mein Vertrag nicht verlängert, wie eigentlich abgesprochen. Also habe ich mich auf die Jobsuche begeben – und die Ausschreibung für eine Stelle als Tatortfotograf gefunden. Ich war selbst überrascht, wie viele Aufgabenbereiche es bei der Polizei gibt, die nicht mehr von ausgebildeten Polizisten ausgeübt werden. Es braucht auch Mechaniker, IT-ler und Ärzte. Trotzdem fühle ich mich mit der Polizei verbunden, als wären wir ein großes Team aus ganz verschiedenen Berufen.“

Wie viel man verdient

“Inzwischen bin ich nach zweieinhalb Jahren bei Gehaltsstufe zwei angekommen und verdiene ungefähr 3000 Euro brutto. Bald geht es für mich schon in Gehaltsstufe drei. Derzeit ist das ein Durchschnittsgehalt in der Branche. Ich kann ordentlich davon leben, aber ehrlich gesagt hätte ich gerne mehr. Nur ist das im öffentlichen Dienst nicht einfach, weil alles tariflich geregelt ist. Erst nach 15 Jahren kann ich die höchste Tarifstufe erreichen: 3634 brutto. Vielleicht bleibe ich so lange, mal sehen.“

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