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3300 brutto für die Kristallzüchterin

Foto: Privat/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Neben natürlichen Kristallen gibt es auch Kristalle aus dem Labor. Sie werden später oft als Halbleiter, zu Forschungszwecken oder als chirurgische Hilfsmittel in der Medizin eingesetzt. In so einem Labor arbeitet Celine. Ihr Job ist es, Kristalle zu züchten. Dafür braucht es eine spezielle Anlage, Mischungen aus verschiedenen Chemikalien und viel Feingefühl. Eine klassische Ausbildung zur Kristallzüchterin gibt es aber nicht.

Was man als Kristallzüchterin macht

„Als Kristallzüchterin bestelle ich zunächst die nötigen Materialien und züchte anschließend im Labor Kristalle. Das dauert pro Kristall in etwa eine Woche. Ist ein Kristall fertig, kommt er zu meinen Kollegen, sie bauen darauf ihre Forschung auf.“

Wie sich gezüchtete Kristalle von natürlich gewachsenen unterscheiden

„Ich züchte sogenannte Volumenkristalle. Man kann nicht alle Kristalle so einfach nachmachen. Turmalin zum Beispiel kann aus acht verschiedenen Elementen bestehen. Natürlich gewachsene Kristalle haben mehr ‚Fehler‘, die sie allerdings einzigartig und dadurch teurer machen. Durch das Züchten kann man andererseits völlig neue Kristalle erschaffen, die so vielleicht in der Natur nicht vorkommen würden.  Viele denken, künstliche Kristalle sind ‚fake‘ und dadurch schlechter als natürliche. In der chemischen Zusammensetzung unterscheiden sie sich aber nicht. In der Natur sehen Kristalle nur oft schöner aus.  

Die Kristalle, die ich züchte, sind am Ende um die zehn Zentimeter groß. Im Idealfall sind sie durchsichtig. Mindestens transparent sollten sie auf jeden Fall sein, denn ein trübes Aussehen kommt durch Verunreinigung zustande oder weil ein Kristall nicht gleichmäßig gewachsen ist. Das kann anschließend für Forschungszwecke hinderlich sein. Bei der Züchtung spielen aber so viele verschiedene Faktoren eine Rolle, dass das Aussehen fast immer leicht variiert. Einer der schönsten Kristalle, die ich gezüchtet habe, war zum Beispiel leicht rosa.“

Wie mein Arbeitsalltag aussieht

„Wenn ich am Montag ins Institut komme, hole ich zunächst den fertigen Kristall der vergangenen Woche raus, säubere die Maschine und bereite sie für den neuen Kristall vor. Die dafür benötigten Chemikalien sind sehr teuer. Für einen Kristall wiegen sie zusammen etwa 120 bis 140 Gramm, da kommen zwei bis fünf verschiedene Stoffe zusammen. Je reiner der Stoff, desto teurer. Das kann pro Stoff bis in den vierstelligen Bereich gehen. Der jeweilige Kristall kostet am Ende zwischen 3000 und 10 000 Euro.

Die pulvrige Mischung lasse ich schmelzen, um sie zu komprimieren. Dabei arbeite ich mit zwei verschiedenen Öfen. Einer wird zum Einschmelzen verwendet. Mit ihm kann man besser Verunreinigungen mit Sauerstoff und Wasser ausschließen. Für das Züchten selbst kommt eine etwa zwei bis drei Meter hohe Anlage zum Einsatz. Zuerst entzieht eine Vakuumpumpe der Maschine so viel Luft und Wasser wie möglich, das ist für den Prozess sehr wichtig. Damit die Kristalle schmelzen, stelle ich Temperaturen von 800 bis 1200 Grad Celsius ein.

Am nächsten Tag geht das Züchten dann richtig los. Ich sitze vor einem Bildschirm und steuere den sogenannten Keimkristall genau so, dass er irgendwann die Schmelze berührt. Die Konsistenz der Schmelze kann man sich wie flüssigen Honig vorstellen. Mit dem Keimkristall zieht man die Schmelze hoch. Ein bisschen wie bei einer Kerze, wenn man beim Eintauchen des Dochts das flüssige Wachs hochzieht, bis es langsam erstarrt.

Bestenfalls schaffe ich es, einen Kristall pro Woche züchten. Eine Abteilung in unserem Institut schneidet den Kristall anschließend zurecht und poliert ihn. Meine Routine ist jede Woche gleich, allerdings kann man nicht jeden Kristall gleich behandeln. Das hängt von der jeweiligen Zusammensetzung ab.“

Welchen Kristall ich noch züchten möchte

„Gerne möchte ich noch einen Alexandrit züchten. Durch die verschiedenen Lichtwellen kann der Kristall seine Farbe von rot und lila bis hin zu grün und blau ändern. Das wird aber nicht umsetzbar sein, weil man dafür den Stoff Berylliumoxid braucht. Und das ist in Pulverform krebserregend und kann mitunter eine Lungenerkrankung auslösen – deswegen ist das für uns vor Ort leider nicht machbar.“ 

Wo gezüchtete Kristalle zum Einsatz kommen

„Jeder Kristall geht dann seinen eigenen Weg. Oft dienen sie Forschungszwecken. Einer meiner Kollegen interessiert sich zum Beispiel für die Optik, also dafür, wie der Kristall das Licht bricht. Durch dieses Verändern der Lichtwellenlängen kann man es später zum Beispiel schaffen, einen Laserstrahl abzukühlen. Doktoranten und Wissenschaftler erforschen außerdem, wie man Kristalle noch besser als Halbleiter einsetzen kann. Für Quantencomputer werden hochreine Germanium-Siliziumkristalle gezüchtet und erforscht. Kristalle werden auch in der Medizin verwendet, zum Beispiel als chirurgische Hilfsmittel. Einen kleinen Bruchteil der Kristalle verkaufen wir auch als Schmuck. Das kommt aber eher selten vor.“ 

Wie ich zu dem Job gekommen bin

„Ich habe ein berufsbildendes Jahr für Naturwissenschaften gemacht. An der Chemie hat mir dort besonders gut gefallen, dass man eine Routine hat und genau weiß, was zu tun ist. Man hat immer eine Anleitung – ein bisschen wie beim Backen. Daher habe ich dort eine schulische Ausbildung zur chemisch-technischen Assistentin gemacht.

Die Ausbildung war nicht vergütet, aber ich konnte für drei Monate an die Universität in Galway in Irland gehen. Dort durfte ich auf mikroskopischer Ebene Kristalle züchten. Das hat mich sehr fasziniert. Zurück in Deutschland habe ich mich initiativ beim Leibniz-Institut für Kristallzüchtung beworben. Die Stellen waren aber leider schon besetzt. Um die Zeit zu überbrücken, habe ich drei Jahre bei einem analytischen Labor gearbeitet, das Lebensmittel und Umweltproben auf Pestizide und Kontaminanten untersucht. Danach hat es dann endlich beim Leibniz-Institut geklappt. Das Institut ist ein öffentlicher Träger, daher geht es dort anders als in der Industrie nicht nur um Gewinn. Niemand setzt andere unter Druck, jeder weiß, was er zu tun hat. Man hat einen freieren Kopf. Die meisten, die hier arbeiten, sind Wissenschaftler – das hat auch mich dazu inspiriert, noch ein Jahr an einer Fernuniversität Chemie zu studieren.

Für den Job als Kristallzüchterin gibt es allerdings keine konkrete Ausbildung. Daher gibt es nicht so viele. An unserem Institut sind es um die 30 bis 50 Leute, die sich mit der praktischen Kristallzüchtung beschäftigen. Davon ist aber nicht jeder als Kristallzüchter angestellt.“ 

Was der Job mit dem Privatleben macht

„Wenn ich Kristalle im Privatleben sehe, lasse ich mir keinen Blödsinn in Schmuckläden aufschwatzen. Man belächelt auch Esoteriker, weil manche Kristalle, die sie anpreisen, gar keine sind. Bei Filmen über Wissenschaft, zum Beispiel bei Oppenheimer, habe ich mich über jeden Wissenschaftler gefreut, der vorkam, weil ich ihn und seine Arbeit aus der Ausbildung kenne. Auch Serien wie Big Bang Theory zu schauen macht mehr Spaß, weil man die wissenschaftlichen Witze versteht.  

Seitdem ich schwanger bin, arbeite ich mehr im Büro als früher, damit ich nicht mit Chemikalien in Kontakt komme, die schlecht für das Baby sein könnten. Viele schwangere Frauen, die im Labor arbeiten, haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Als ich von meiner Schwangerschaft erzählt habe, wurde ich von meinem Arbeitgeber von Anfang an unterstützt. Dafür bin ich sehr dankbar – auch wenn das natürlich selbstverständlich sein sollte.“

Welche Fragen man auf Partys gestellt bekomme

„Oft kommt die Reaktion: ‚Ich wusste gar nicht, dass man so was machen kann!‘ Einmal wurde ich sogar gefragt, ob ich Badesalze mache. Ich glaube, viele Menschen wissen nicht, wie wichtig Kristalle für Technologie und Medizin sind. Andere Leute, die mit Kristallen arbeiten, lerne ich übrigens nur sehr selten kennen.“

Welche Eigenschaften man als Kristallzüchterin braucht

„Man sollte zuverlässig sein, sauber und sorgfältig arbeiten, schließlich haben wir mit gefährlichen Chemikalien zu tun. Wir achten zum Beispiel immer darauf, Schutzbrille, Handschuhe und Kittel zu tragen. Es hilft zudem sehr, in einem internationalen Institut gut Englisch sprechen zu können. Mein Chef beispielsweise stammt aus Japan - mit ihm kommuniziere ich fast nur auf Englisch.“

Vorstellung vs. Realität

„Mir war nicht klar, wie vielfältig die Arten der Kristallzüchtung sind. Von den Mikrokristallen, die per Hand in einer Lösung mit einer Mikropipette gezüchtet werden, bis hin zu einem tausend Grad heißen Ofen, in dem die Kristalle handgroß heranwachsen. Da hat mir früher jegliche Vorstellung gefehlt, mich aber umso mehr an den Beruf gefesselt. Es gibt so viel, das man lernen und erfahren kann.“

Wie viel man als Kristallzücher:in verdient

„Ich werde nach Tarif bezahlt und bekomme 3300 Euro brutto im Monat. Zum Vergleich: Chemisch-technische Assistent:innen in der Industrie verdienen selten mehr als 3000 Euro brutto, zumindest in Berlin.“ 

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