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3749 Euro brutto für die Pfadfinderin in Teilzeit

Miriam arbeitet beim Verband Christlicher Pfadfinder:innen.
Foto: Franziska Lauer

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Vorstellung vs. Realität 

Pfadfinder sind an sich draußen, basteln, wandern und zelten, spielen im Wald und singen – ich allerdings nicht. Ich bin eine von ganz wenigen, die Geld für ihre Arbeit bekommen, ansonsten setzt Pfadfinderei vor allem auf Ehrenamtliche. Halstuch und Kluft, die typische Pfadfinderkleidung, trage ich während meiner Arbeit deshalb nicht, ich sitze im Büro statt vor dem Lagerfeuer. Ich arbeite konzeptionell, entwickle Ideen und bereite Programme vor. Dabei schreibe, denke, recherchiere und telefoniere ich viel. Eigentlich mache ich zwei Jobs: Sozialarbeiterin und Managerin. Ich organisiere Fortbildungen für 47 000 Pfadfinder:innen in meinem Verband.

Wie mein Arbeitsalltag aussieht

Einen Standardtag gibt es nicht. Gegen neun Uhr komme ich im Büro an und sichte erst mal meine Mails. Ich bekomme jeden Tag viele Nachrichten von Ehrenamtlichen, bis mittags bin ich damit beschäftigt. Außerdem entwickle ich derzeit ein Weiterbildungsprogramm für Mentor:innen. Am Ende geht es dabei viel um die Arbeit mit Kindern. Wie können wir Kinder unterstützen? Wie können wir ihnen einen Rahmen geben, um sich selbst zu entdecken? Ihnen dabei helfen, herauszufinden, wo sie Stärken haben? Wo Schwächen? Es geht darum, Inhalte kindgerecht zu vermitteln und Kinder in ihrer persönlichen Entwicklung zu stärken.

Unser Leitsatz lautet „Learning-by-doing“ und das versuche ich in meinen Konzepten einzufangen. Die meisten ehrenamtlichen Pfadfinder:innen haben keine pädagogische Ausbildung, weil sie aus allen möglichen beruflichen Richtungen kommen, deshalb ist es wichtig, sie so gut wie möglich zu unterstützen: An meinen Ideen und Konzepten können sich die Ehrenamtlichen dann orientieren, wenn sie beispielsweise Gruppenstunden planen. 

Außerdem sind meine acht Stunden täglich gesplittet in morgens und abends.  Das ist schon etwas nervig und hat etwas Umstellung gebraucht, aber ich will für meine Ehrenamtlichen erreichbar sein. Die haben meistens tagsüber einen Hauptjob und können dann erst spät bei mir anrufen. Mittags gegen 13 Uhr mache ich Pause und habe Freizeit. Ab 18 Uhr arbeite ich wieder für ein paar Stunden.

Was der Job mit dem Privatleben macht

Meine Freunde sagen mir oft, dass ich ständig arbeiten würde. Das wirkt schnell so, weil ich arbeite, wenn andere Feierabend haben. Gleichzeitig ist das auch das größte Problem: Einige Ehrenamtliche erwarten, dass ich immer erreichbar bin, weil ich Geld bekomme und sie nicht. Dabei bin ich auch nur ein Mensch und kann nicht 24 Stunden arbeiten. 

Am Anfang hatte ich zudem Probleme dabei, mein Teilzeitstudium, meine Hobbies und den Beruf zu vereinen. Ich gehe gern wandern, bouldern und spiele Gitarre, Geige und Ukulele. Typische Pfadfinderhobbies! Da sieht man übrigens, wie sehr einen die Kindheit doch prägen kann. Mit ungefähr acht Jahren bin ich zu den Pfadfindern gegangen, inzwischen bin ich 26. In meiner Freizeit bin ich heute nicht mehr als Mitglied aktiv – man merkt schon, dass die Zielgruppe eher Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 21 Jahren sind. Dem bin ich einfach entwachsen. Jetzt arbeite ich daran, dass die Pfadfinderei auch für junge Erwachsene wie mich attraktiv bleibt. Zum Beispiel durch das Mentor:innenkonzept, bei dem ältere Pfadfinder:innen jüngere betreuen.

Wie es ist, beruflich zu zelten

Eigentlich arbeite ich wie gesagt im Büro. Im vergangenen Sommer war ich ausnahmsweise beruflich auf einem Bundeslager mit 4600 Pfadfinder:innen. Da habe ich die meiste Zeit bei Freunden im Zelt geschlafen, wie früher. Arbeit war es allerdings trotzdem. Auf dem Lager wurde viel Programm angeboten: Politische Workshops, Basteln, Kanufahren, das Üben von Knoten, Zeichnen, Armbänder knüpfen, Geschicklichkeitsspiele…  An meinem Stand erklärte ich das Mentor:innen-Projekt. Es kamen viele Menschen zu mir, mal waren es 100, an anderen Tagen nur zehn. Manche waren zwei Minuten da, andere den ganzen Tag. Es war wichtig, dass ich auf dem Lager präsent war – auch, um Feedback von Teilnehmenden einzuholen. Denn in einem so großen Verband wie unserem kann es teilweise dauern, bis Infos oder Kritik an den richtigen Stellen ankommen. 

Wie ich zu dem Job gekommen bin

Ich bin als Pfadfinderin aufgewachsen, aber während des Studiums war ich nicht mehr sehr aktiv. Für meinen Bachelor in Sozialer Arbeit musste ich dann ein Praktikum machen. Warum also nicht bei den Pfadfinder:innen, dachte ich mir? 

Zufällig ist nach dem Praktikum eine Stelle frei geworden und meine ehemaligen Kolleg:innen haben mich zur Bewerbung ermutigt. Seit anderthalb Jahren habe ich den Job.

Welche Fragen ich auf Partys gestellt bekomme

Natürlich werde ich regelmäßig gefragt, ob wir Spuren lesen (meistens nicht) und Feuer machen können (ja). Kekse verkaufen wir aber nicht wie in amerikanischen Filmen. Was mich immer wieder überrascht: wie wenige Menschen wissen, was konzeptionelle Arbeit ist. Dass ich also vor allem fürs Nachdenken und Organisieren bezahlt werde, und mein Beruf nicht so leicht zu erklären ist – weil er eben nicht wirklich zu sehen ist. Wenn ein Handwerker mauert, sieht man das Ergebnis. Wenn ich mir Strukturen für den Verein überlege, und die umsetze, dann gibt es nichts zu sehen, weil meine Arbeit in den Köpfen der Menschen stattfindet. Das ist dann mit einem Bier in der Hand auf einer Party nicht so leicht zu erklären. Wenn es doch klappt, sind die meisten beeindruckt von dem Tiefgang und sagen: „Du schulst, du begleitest, bist immer so dabei.“ Es wundert viele, dass man überhaupt Vollzeit-Pfadfinder sein kann und der Job so pädagogisch ist.

Welche Eigenschaften man für den Job braucht

Es ist auf jeden Fall von Vorteil, dass ich selbst Pfadfinderin bin und alle Erfahrungen mal mitgemacht habe: vom Gruppenkind zur Stammesleitung. Denn in meinem Job sollte man empathisch sein, mit Menschen in Kontakt treten können, gut zuhören und offen für Kritik sein. Auch Kreativität ist wichtig, um Konzepte zu entwickeln. Und auch eine gesunde Portion Selbstbewusstsein, wenn ich zum Beispiel auf einer Bühne vor Leuten spreche. Das kann man aber lernen. Ich habe mich durch den Job sehr entwickelt. Unser Leitsatz „Learning-by-doing“ gilt auch absolut für mich. 

Wie viel ich verdiene

Mit 80 Prozent Arbeitszeit, also vier Tagen wöchentlich, verdiene ich 3749 Euro brutto im Monat. Ich bin damit total zufrieden, vor allem im Vergleich mit meinen Freunden aus dem Studium. Die bekommen teilweise genauso viel in der „klassischen Sozialarbeit“, arbeiten dafür allerdings Vollzeit. Das Geld kommt aus Mitgliedsbeiträgen und von der evangelischen Kirche, weil wir ein christlicher Pfadfinderverband sind.

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