Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

3000 Euro brutto für die freiberufliche Alibi-Agentin

Um für die Alibi-Agentur arbeiten zu dürfen, musste Lisi einen Einstellungstest machen und ihre Schauspielkünste unter Beweis stellen.
Foto: Manuel Paul Fotografie; Bearbeitung: SZ Jetzt

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Was man als Alibi-Agentin macht

Als Alibi-Agentin schaffe ich meinen Klientinnen und Klienten Freiräume, durch die sie ein befreites Leben führen können. Ohne Angst davor haben zu müssen, von ihrem Umfeld gemaßregelt zu werden. Ich helfe ihnen, etwas Persönliches aus ihrem Leben zu verstecken. Dafür arbeite ich an einem Tag als angebliche Freundin und begleite jemanden auf eine Familienfeier, wenn Klienten Angst haben, für ihre Homosexualität verurteilt zu werden. Am anderen Tag bin ich Grabflüsterin und vermittle Botschaften, die sich Verstorbene zu Lebzeiten nicht mehr getraut haben, zu sagen. Manchmal sitze ich am Telefon und verschaffe jemandem ein Alibi, indem ich erkläre, warum die Person angeblich dringend auf eine Geschäftsreise müsse. Oder ich bin Statistin auf einer Veranstaltung, bei der es so aussehen soll, als seien viele Gäste da. Einige Klient:innen begleite ich für Jahre, wenn sie ein Doppelleben führen und dies vertuschen möchten. Ich helfe ihnen dabei, sich zu rächen, Beziehungen zu beenden. Dabei sende ich auch mal falsche Terminbestätigungen oder Buchungen raus. Durch mich können sie sich so darstellen, wie sie sich wohlfühlen, ob durch bearbeitete Bilder, gute Bewertungen oder eine exklusive Clubmitgliedschaft - ein maßgeschneidertes Alibi ist immer möglich.

Wie der Arbeitsalltag aussieht

Der Beruf ist der spannendste, den ich jemals hatte, da jeder Tag ein neues Abenteuer ist. Außerdem bereitet es mir Freude, wenn ich jemandem durch meine Schauspielkünste das Leben erleichtern kann. Natürlich muss man als Statist:in oder Schauspieler:in oftmals vor Ort sein, aber Telefonate kannst du von überall führen, deswegen ist der Job auch je nach Aufgabe nicht allzu ortsabhängig. Du kannst deine Termine natürlich selbst mit deinen Kund:innen absprechen, weswegen ich meinen Alltag sehr selbstbestimmt gestalten kann. Aber ich muss die ganze Zeit geistig und körperlich fit sein, denn von meinem Job hängen Schicksale ab.  

Was der Job mit dem Privatleben macht 

Ich merke, dass ich in meinem Privatleben eine neutralere Haltung gegenüber meinen Mitmenschen eingenommen habe. Durch meinen Beruf weiß ich, wie wichtig es ist, die Hintergründe einer Person zu kennen, damit man diese nicht zu Unrecht verurteilt. Wir nehmen uns alle viel zu wenig Zeit, um uns die Rahmenbedingungen unserer Mitmenschen anzuschauen, sonst gäbe es nicht diese immense Anzahl an Menschen, die meine Hilfe in Anspruch nehmen. Außerdem gehe ich besser mit Stresssituationen um, da ich durch meinen Beruf oftmals in eine knifflige Lage gerate, wenn etwas nicht nach Plan läuft. In meinem Privatleben kann ich mich dadurch oft schneller fassen und in der jeweiligen Situation gut improvisieren oder mich anpassen.  

Wie ich zu dem Job gekommen bin  

Eines Tages kam mir eine Idee in den Kopf: Es müsste einen Dienstleister geben, der Menschen unter die Arme greift, wenn sie Probleme mit dem eigenen Umfeld nicht so einfach selbst lösen können. Als ich nach Recherchen auf die Alibi-Agentur gestoßen bin, war mir klar, dass ich dort arbeiten möchte. Um Teil der Alibi-Agentur zu werden, muss man einen Einstellungstest absolvieren und in einem Vorsprechen seine Schauspielkünste unter Beweis stellen. Außerdem wird durch einen Schauspieltest und einen Spontanitätstest ausgewertet, wie gut man mit Stresssituationen umgehen kann und ob man sich leicht aus der Fassung bringen lässt. Zum Glück habe ich alles bestanden. 

Welche Fragen man auf Partys gestellt bekommt 

„Kann ich meine Schwiegermutter auch bei dir verschwinden lassen?“ ist eine oft gestellte Frage. Aber Menschen lassen wir natürlich nicht verschwinden,  allgemein nehmen wir keine illegalen Aufträge an. Ich merke außerdem oft, dass Leute meinen Beruf auf meine Persönlichkeit beziehen und mich fragen, ob ich denn den Service auch selbst nutzen würde. Von anderen Frauen bekomme ich oft gesagt, dass ich den Männern durch meinen Beruf einen Freifahrtschein fürs Fremdgehen bieten würde. Dann stelle ich erstmal klar, mit welchen Aufträgen ich in Wirklichkeit meistens zu tun habe. Oftmals werde ich mit Vorurteilen konfrontiert und gefragt, ob ich den Job nicht als moralisch verwerflich ansehen würde. Menschen, die dem Beruf aber offen gegenüberstehen, sind ganz fasziniert und fragen mich, ob es denn noch Jobangebote bei uns geben würde.  

Welche Eigenschaften man für den Job braucht  

Für den Job sind Disziplin und Zuverlässigkeit das A und O, schließlich muss ich eine Vertrauensperson für die Kund:innen darstellen und mit ihnen sehr persönliche Aufträge besprechen. Außerdem muss ich sehr verständnisvoll, empathisch und einfühlsam sein, denn oftmals wissen unsere Kund:innen selber nicht, wie sie mit ihrer eigenen Situation umgehen sollen. Oder schämen sich für ihre Zwickmühle. Je komplizierter die Umstände, desto standhafter muss ich als Alibi-Agentin sein, hier ist Fingerspitzengefühl und Beharrlichkeit angesagt. Zudem ist es wichtig, flexibel zu sein und gut improvisieren können, denn es kommt oft zu kniffligen Situationen, wenn etwas nicht nach Plan läuft. 

Vorstellung vs Realität 

Die meisten Leute denken an vollkommen unseriöse Aufträge, wenn sie von meinem Job hören. Zum Beispiel an das Verstecken von Affären. Dabei vertuschen wir nur selten Seitensprünge. Viel häufiger kaschieren wir Krankheiten oder die sexuelle Ausrichtung unserer Klient:innen, manchmal tarnen wir auch einen von der Gesellschaft nicht gewürdigten Beruf. Manche sehen mich auch als eine Art Geheimagentin an, was ich natürlich nicht bin, obwohl sich manche Fälle schon ein wenig wie in einem James Bond Film anfühlen. Zum Beispiel wenn ich mit einem Helikopter zu einem Termin fliege.  

Wie viel verdient man 

Ich arbeite zusätzlich noch als Business-Coach, habe also zwei Jobs. Als freiberufliche Alibi-Agentin verdiene ich durchschnittlich 3000 Euro brutto monatlich. Allerdings lässt sich das nicht pauschalisieren, da ich selbst entscheide, wie viele Aufträge ich im Monat annehme und wie viel Aufwand sie mit sich bringen. Ein einfacher Anruf kostet dabei mindestens 80 Euro, ist Vorbereitung nötig eher 100 bis 150 Euro. Ein Einsatz, bei dem ich vor Ort bin und schauspielere kann ein paar hundert Euro kosten. Wenn ich für den Auftrag ins Ausland fahre, wird das natürlich je nach Aufwand, Ausmaß und Einsatz der Statist:innen und Schauspieler:innen vergütet. Personen, die sich mit Hilfe unserer Agentur ein ganzes Doppelleben aufbauen, bezahlen eine monatliche Summe, sozusagen ein Abonnement. Das Angebot wird zum Beispiel von Prominenten genutzt, die nicht mit ihrer wahren Identität an die Öffentlichkeit möchten. 

Welche Aufträge ich nicht annehme

Ich nehme zwar sehr viele Aufträge an, allerdings sind illegale Vorgänge wie offizielle Dokumente zu fälschen oder andere gesetzeswidrige Aufträge für die Agentur und für mich tabu. Wir können jemandem nicht helfen, wenn er oder sie schon zu viele Punkte in Flensburg hat und jetzt ein Alibi braucht, dass jemand anderes angeblich mit dem Auto gefahren sei. Tatsächlich haben wir auch schon Anfragen bekommen, ob wir Hochzeitsschwindler verschwinden oder Straftaten vertuschen lassen würden: Die lehnen wir natürlich ab. Wir freuen uns, wo wir helfen können, aber wir wägen ab, ob jemand verantwortungsbewusst mit der Situation umgeht und sich den Umständen, in denen er oder sie sich befindet, bewusst ist.  

  • teilen
  • schließen