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1200 Euro brutto für den Jazzpianisten

Niklas spielt aktuell im Schnitt vier Konzerte pro Monat.
Foto: Tom Schneider/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Niklas Roever ist Jazzpianist. Mit dem „Niklas Roever Trio“ und dem „Jakob Bänsch Quartett“ spielt er eigens komponierte Stücke auf Bühnen in ganz Deutschland, gewann u.a. den eastplugged Jazzaward. Er erzählt, wieso er die Schattenseiten des Berufs gerne in Kauf nimmt, wie Kunst und Geld zusammenpassen und wieso ein Klischee vom faulen Larifari-Musiker nichts mit Berufsmusik zu tun haben kann.

Wie ich Jazzpianist geworden bin 

„Klavierunterricht nehme ich seit meinem achten Lebensjahr. Meine Eltern sind interessierte Laien, was Jazzmusik angeht. Aus dem CD-Regal meines Vaters fischte ich mit elf Jahren die Platte „Portrait in Jazz“ von Bill Evans heraus. Den Namen hatte ich von meinem Klavierlehrer gehört. Der Rhythmus und die künstlerische Interaktion des Trios von Bill Evans verkörpern für mich musikalische Freiheit. Das nuancierter wahrzunehmen hat mich umgehauen – tut es heute noch. Von da an habe ich immer mehr Nischen für mich entdeckt, CDs gekauft, Konzerte besucht. Mit 14 habe ich mir zum ersten Mal gewünscht, einmal selbst auf der Bühne zu stehen und Jazzpiano zu studieren. 

Einer meiner Lehrer hat mir ein Jungstudium ans Herz gelegt. Diese Art von Jugendförderung bieten viele Musikhochschulen für begabte Musizierende an, die noch zur Schule gehen. Nach einer Aufnahmeprüfung wurde ich mit 16 Jungstudent an der Hochschule für Musik und Tanz in München. Für den Semesterbeitrag habe ich zweimal pro Woche Unterricht von hochklassigen Professor:innen bekommen. Im Landesjugendjazzorchester konnte ich zum ersten Mal mit Gleichaltrigen den ganzen Tag Musik machen, anstatt auf dem Land allein zu üben und mir die toten Jazzikonen anzuhören. 

Während des Abiturs habe ich für Aufnahmeprüfungen an verschiedenen Musikhochschulen vorgespielt. Ich habe dann in Köln angefangen zu studieren. Dort kann man jeden Abend tolle Pianist:innen live hören kann. An der Hochschule hatte ich viel Input von engagierten Dozierenden, Freiraum für persönliche Entfaltung und jederzeit einen Proberaum zur Verfügung.“

So sieht mein Arbeitsalltag aus

„Der Wecker klingelt etwas später als in anderen Berufen – auch, weil man am Vorabend oft entweder ein Konzert gegeben oder eines besucht hat. Sich von Livemusik inspirieren lassen und zu überlegen, mit wem man zusammenarbeiten könnte, gehört zum Alltag. Ein bis drei Stunden pro Tag betreibe ich zudem Auftragsakquise und Organisation. Das heißt: Mails beantworten und bei Veranstaltenden Gigs anfragen und den Ablauf anstehender Konzerte besprechen. Ich bereite mich auf Auftritte vor, übe Stücke, die bei der nächsten Bandprobe anstehen, oder arbeite an meinen technischen Skills. Zudem komponiere ich eigene Stücke.

Seit drei Jahren studiere ich zusätzlich Medizin. Das nimmt viel Zeit ein. Ich übe seitdem deutlich weniger, nämlich etwa zwei Stunden pro Tag, verstehe mich aber nach wie vor als Jazzpianist und spiele im Schnitt vier Konzerte pro Monat.“

So habe ich mich selbständig gemacht 

„Mit 14 habe ich mein erstes Konzert für eine Gage von 50 Euro gespielt. Der erste kleine Schritt in die Freiberuflichkeit, wenn man so will. Man muss nicht zwangsweise Jazzklavier studieren, um meinen Beruf auszuüben. Aber gerade, um sich ein Netzwerk aufzubauen, ist ein Studium fast unersetzlich. Zum Studienbeginn wollte ich möglichst schnell in der Szene Anschluss finden und ging auf viele Konzerte.

Das „Niklas Roever Trio“ in heutiger Konstellation mit meinen Kommilitonen Roger Kintopf und Simon Bräumer gibt es seit 2018. Gerade anfangs fragt man Veranstalter:innen eigeninitiativ an. 2020 habe ich mein erstes Album veröffentlicht. Dass sich die Arbeit auszahlt, im wörtlichen Sinne, habe ich vor allem gemerkt, als ich mit dem Trio regelmäßig Konzerte spielen konnte und die ersten Preise gewonnen habe.“

Diese Eigenschaften braucht man als Jazzpianist

„Die Liebe zur Musik steht an erster Stelle. Das Klavier bietet in vieler Hinsicht ein breites Spektrum, das hat mich schon als Kind fasziniert. Du spürst die feine Vibration des gesamten Instruments in den Fingern. Einerseits braucht man für den Transport mehrere Möbelpacker:innen, andererseits besteht es aus den filigransten Teilchen. Aus dieser Liebe entsteht Motivation und die wiederum führt zu Fleiß.

Eine soziale Ader ist allerdings auch wichtig. Man muss auf Menschen zugehen, ihre Bedürfnisse wahrnehmen, sich in ein Team, ein Ensemble oder eine Band integrieren können. Außerdem sollte man strukturiert arbeiten können, weil man sich, wie andere Freiberufler:innen auch, die Aufgaben des eigenen Arbeitsalltags selbst stellt.“

Wie der Job meine Einstellung zu Geld prägt 

„Wirtschaftliches Denken ist in der Szene schwierig. Einerseits will man genau seine Musik machen, ohne sie für ein bestimmtes Publikum zu verfälschen. Andererseits ist man auf gutbezahlte Gigs angewiesen. Und davon gibt es nicht viele. Man lässt sich auf ein eher prekäres Berufsfeld ein, das sollte einem klar sein. Obwohl es bei mir bisher immer gut lief, schwingt eine gewisse Zukunftsangst mit, weil ich von einem Konzert zum nächsten plane.

Manche Jazzmusiker:innen bauen sich gegen diese Unsicherheit eine sogenannte Gala-Band auf, die zum Beispiel mit Hochzeitsauftritten sicheres Geld einbringt. Diese Art von Absicherung kann ich nachvollziehen, habe es aber selbst nicht vor. Medizin zu studieren war keine finanzielle, sondern eine Herzensentscheidung. Wissenschaftliches Arbeiten erfüllt mich auf eine ähnliche Art wie die Musik. Ich möchte beide Standbeine in Zukunft in meinen Alltag integrieren. Wie genau ich das in Einklang bringen werde, weiß ich noch nicht.“

Vorstellung vs. Realität 

„Es gibt das Klischee des faulen Jazzpianisten, der ausschläft, in den Tag hineinlebt und sich irgendwann ans Klavier setzt. Die Realität sieht anders aus. Permanent am eigenen Stil zu feilen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, das verlangt einem viel ab. Zudem haben die wenigsten Musiker:innen eine Booking-Agentur. Selbst Auftritte zu organisieren, kostet Energie und ist oft frustrierend. Man muss für nur eine positive Antwort gerne mal 30 Mails schreiben. Außerdem geht die Freiberuflichkeit mit einer gewissen Rastlosigkeit einher. Man kann immer noch ein weiteres Stück üben oder noch eine Booking-Mail mehr schreiben.“

Diese Frage bekomme ich auf Partys oft gestellt 

„Viele Menschen, die selbst keine Musik machen, können sich unter Improvisation wenig vorstellen. Ich werde oft gefragt, wie das funktioniert und wie ich das übe. Melodie, Harmonie, Rhythmus, Form und Klang: All das begreife ich als Werkzeug. Improvisation bedeutet für mich, eine tiefe Kenntnis von diesen Werkzeugen zu erlangen, so dass ich sie intuitiv einsetzen kann.  

Eine klassische Frage ist auch, wie der Arbeitsalltag eines Berufsmusikers aussieht. Und: Was ist der Unterschied zwischen Klavier und Jazzklavier? Ersteres ist schlicht das Instrument. Jazzklavier ist eine vom Jazz als kulturelles Phänomen geprägte Tradition, dieses Instrument zu spielen. An Universitäten ist meist die Einteilung der Studiengänge in „klassisches Klavier“ und „Jazzklavier“ gemeint. Bei einem klassischen Klavierstudium lernt man eben klassische Musik zu spielen, im Jazzklavier-Studium stehen eher Improvisation und die Klangästhetik des Jazz im Vordergrund.“

Was der Job mit dem Privatleben macht 

„Musik ist immer persönlich und deswegen schwer trennbar vom Privatleben. Das ist schön, weil ich in der Musik das Ziel habe, so sehr ich selbst zu sein, wie ich kann. Aber auch anstrengend, weil sich Misserfolge, wie Absagen von Veranstaltern, schnell wie persönliches Scheitern anfühlen. Der Alltag ist wegen der abends stattfindenden Konzerte nach hinten verschoben und kennt weder Wochenenden noch Feiertage.  Das ist auch ein Grund, weshalb Musiker:innen oft unter sich bleiben. Da bin ich bin froh, durch mein Medizinstudium noch andere gesellschaftliche Perspektiven kennenzulernen.“

So viel bekomme ich pro Auftritt 

„Die Gage pro Auftritt variiert stark. Für einen sehr schlecht bezahlten Auftritt bekomme ich 100 bis 150 Euro. So einen Gig nehme ich in der Regel nur den Mitspielenden zuliebe an und weil dieses Communitygefühl zur Jazzszene gehört. Für einen gutbezahlten Auftritt bekomme ich zwischen 800 und 1000 Euro. Die Durchschnittsgage liegt zwischen 200 und 400 Euro. Fahrt- und Unterkunftskosten werden bei mir meistens on top auf die Gage vom Veranstalter übernommen.

Zudem spiele ich noch in einem Quartett eines Freunds. Da habe ich bei der Gage wenig mitzureden, muss mich dafür aber „nur“ um die Musik kümmern und nicht um Akquise und Veranstalterkommunikation. Weil ich hauptsächlich eigene Stücke spiele, bekomme ich zusätzlich jährlich Geld von der GEMA, im besten Jahr waren das 2000 Euro.

Bei all den Schwankungen komme ich im Durchschnitt auf 1200 Euro brutto im Monat. Einige Kolleg:innen, die nicht studieren, treten deutlich öfter auf und haben parallel dazu noch einen Unterrichtsjob, mit dem sie Geld verdienen. Man kann ein deutlich lebenswerteres Einkommen erwirtschaften und die meisten tun das auch. Prekär bleibt der Job bei der Freiberuflichkeit trotzdem.“

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