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9584 Euro brutto für die Anwältin in der Großkanzlei

Foto: privat; Bearbeitung: jetzt

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Wieso bist du Anwältin geworden?

Kennst du den Film „Natürlich blond“? Den habe ich damals im Kino gesehen, ich bin sogar nach der ersten Vorstellung direkt noch einmal in die nächste gegangen. Danach wollte ich nach Harvard gehen und Anwältin werden. Harvard hat dann doch nicht so gut in mein Leben gepasst, aber Anwältin bin ich geworden. Tatsächlich ist aber auch mein Vater Anwalt, das heißt, ich kannte das Berufsbild auch schon von zuhause.

Wie sieht dein Alltag als Anwältin aus?

Ich arbeite für Noerr, eine Großkanzlei, die Rechtsberatung für alle Anliegen bietet, die wirtschaftliche Akteure haben. Wir vertreten vor allem größere Unternehmen und weniger Privatpersonen. Ich bin da im Bereich der Prozessführung als Anwältin im Zivilrecht, im Speziellen verteidige ich derzeit vor allem Unternehmen in Massenverfahren. Beispielsweise in Darlehenswiderrufsfällen oder auch in Kartellverfahren. Grundsätzlich ist mein Job genauso, wie man es sich vorstellt, wenn man an einen Anwalt oder eine Anwältin denkt. Ich gehe normalerweise jeden Tag ins Büro und bearbeite meine Fälle und gehe auch öfter zu Gericht. Ich bin da zeitlich ziemlich flexibel, deswegen muss ich, zum Glück, nicht so früh in die Arbeit. Zu meiner täglichen Arbeit gehört es, Schriftsätze zu den Verfahren, die ich führe, ans Gericht zu schreiben und mit den Mandant*innen zu kommunizieren. Wenn ich, wie jetzt, 250 Fälle gleichzeitig bearbeite, verwende ich Mustervorträge, die ich zum Teil übernehme und gegebenenfalls an den Individualfall anpasse. Die Kläger*innen tragen ja in Massenverfahren fast alle das Gleiche vor. Ich arbeite meistens 50 bis 55 Stunden in der Woche, das kommt ganz darauf an, wie viel fertig werden muss. Wenn sehr viel zu tun ist, können es auch mal 70 Stunden sein, das ist aber die absolute Ausnahme. Aber wenn die Mandant*innen das brauchen, sind wir eben da.  

Wie wird man Anwältin in einer Großkanzlei?

Anwältin wird man durch ein Jurastudium und ein Referendariat. Das Jurastudium dauert ungefähr vier bis fünf Jahre, manchmal auch sechs, das hängt davon ab, wie schnell man studiert. Abgeschlossen wird das mit einem Staatsexamen. Darauf folgt die praktische Ausbildung, das Referendariat. Man ist für zwei Jahre quasi im Staatsdienst und absolviert verschiedene Stationen. In der Zeit habe ich ungefähr 1000 Euro brutto Lebensunterhaltungskosten bekommen. Bei uns in Hamburg ist man meist erst drei Monate bei der Staatsanwaltschaft, dann bei einem Zivilgericht, dann bei einer Verwaltungsbehörde und dann neun Monate bei einem Anwalt oder einer Anwältin. Zwei Stationen kann man sich aussuchen,  man kann zum Beispiel auch ins Ministerium gehen oder in ein Unternehmen oder ins Ausland. Am Ende des Referendariats folgt ein zweites Staatsexamen, wonach man sich dann Volljurist*in nennen darf. Nach dem Abschluss spezialisieren sich die meisten. Viele gehen ins Zivilrecht, einige werden Strafverteidiger*innen, du kannst aber auch Richter*in oder Staatsanwält*in werden. Das hängt vom Examen ab, denn Jurist*innen sind noch sehr notenfixiert. Man kann dann noch einen „Fachanwalt“ machen, das ist aber nicht wie bei Ärzt*innen ein Muss, sondern eher seltener, weil wir grundsätzlich Generalisten sind. Für die Großkanzlei braucht man wie für den Staatsdienst vor allem gute Noten, wobei Auslandserfahrung und vielleicht auch ein Doktortitel auch helfen können. 

Gibt es in deinem Beruf einen großen Konkurrenzkampf?

Bei uns im Team ist der Umgang sehr gemeinschaftlich. Es wäre aber auch krass anstrengend, wenn wir alle mit nach außen gerichteten Ellenbogen gegeneinander arbeiten würden. Das ist eher ein Klischee, das man aus Filmen kennt. Ich habe auch als Frau nicht das Gefühl, benachteiligt zu werden oder härter arbeiten zu müssen als meine männlichen Kollegen. Klar, wenn man in die höheren Ebenen schaut, wird es zunehmend männlicher, aber auf meiner Ebene sind wir gleich verteilt. Das Problem ist halt, dass wenn man als Frau schwanger wird, ein Nachteil daraus entsteht, dass man eine Weile aus dem Beruf raus war. Aber das ist etwas, das ich weder nur bei unserer Kanzlei noch ausschließlich im Anwaltsberuf sehe.  

Wie viel verdienst du?

Ich verdiene 9584 Euro brutto im Monat. Mein Gehalt ist bei weitem kein Durchschnittsgehalt, aber ich arbeite in einer international tätigen Großkanzlei mit entsprechenden Gehaltsstrukturen und habe schon eine Gehaltsrunde hinter mir. Wir sind hochspezialisierte Fachkräfte – häufig mit Promotion und Auslandserfahrung – und beraten international tätige Unternehmen. 

Was war bisher deine größte Herausforderung?

Am Anfang muss man, glaube ich, erst mal mit der Verantwortung, die man trägt, klarkommen. Ich meine, du arbeitest für jemand anderen, wenn du das verbockst, gibt es ein echtes Problem. Zwar nicht für dich, aber für eine andere Person – das ist schlimmer. Ich habe zwar für den Notfall wie jede Anwältin eine Haftpflichtversicherung, die meine Fehler mit abdeckt, aber jeder meiner Fehler ist meinen Mandant*innen voll zurechenbar. Es kann sogar vorkommen, dass das Gericht Fehler macht und den Sachverhalt nicht richtig erfasst – ich darf da jetzt kein aktuelles Beispiel nennen. Aber um ein Bild zu haben: Das Gericht redet von Blumentöpfen aus Stein und wir von welchen aus Holz. In solchen Momenten ist es meine Verantwortung mich durchzusetzen, weil mein*e Mandant*in ansonsten keine Chance hat. Ich habe dafür im Studium und meiner Praxiserfahrung berufliches Handwerkszeug gelernt, wie verschiedene Argumenttypen und wann ich welches Argument verwende. Am liebsten führe ich ein Argument der Gegenseite ad absurdum, indem ich das Argument aufgreife und in eine Gegenbeweiskette eingliedere. Also: Wenn xy stimmen würde, dann müsste daraus z folgen und das kann nicht sein. 

Was gefällt dir besonders an deinem Job?

Ich liebe es zu gewinnen (lacht). Und ich mag es, Recht zu haben. In meinem Job bekomme ich am Ende jeder Instanz ein Urteil, in dem ein*e Richter*in sagt, dass – im besten Fall – ich recht habe. Ich wollte erst sagen, dass es sich anfühlt wie das erste Mal Fahrrad zu fahren. Aber das stimmt nicht ganz, weil das ja ein einmaliges Gefühl ist. Vielleicht ist es eher wie mit Schulnoten: Es reicht nicht, einmal eine eins zu bekommen, es geht darum, immer und immer wieder Bestätigung zu bekommen, dass man alles richtig gemacht hat. 

Was hat sich durch die Corona-Krise verändert?

Zu allererst sitze ich im Home-Office. Meine Kanzlei hat das sehr früh und konsequent entschieden. Am Anfang der Corona-Zeit sind viele Gerichtstermine ausgefallen, die jetzt peu à peu nachgeholt werden. Wir arbeiten inzwischen noch digitaler. Nicht nur im Team, sondern auch die Richter*innen fragen nach, ob mündliche Verfahren per Video-Call abgehalten werden können.

Wie schaffst du einen Ausgleich?

Mein Job fühlt sich für mich nicht nach Arbeit an. Klar, ich beschäftige mich viel mit dem, womit ich auch Geld verdiene, aber mir macht das, was ich mache, Spaß. Genauso, wie es mir Spaß macht zu lesen, mich mit Freund*innen zu treffen oder ins Kino zu gehen. 

Wie stellst du dir deine berufliche Zukunft vor?

Ich würde gerne weiterhin in dem Unternehmen und in dem Job arbeiten, in dem ich arbeite. Ich liebe meinen Job. Das heißt auch, dass ich irgendwann befördert werde. Ich würde gerne mehr Verantwortung übernehmen und selbstständiger arbeiten. So wie Großkanzleien strukturiert sind, bekommst du umso weiter du dich hocharbeitest, mehr Führungsverantwortung für Mitarbeiter*innen, die dir zuarbeiten.  

Gibt es eine Frage, die dir auf Partys immer gestellt wird?

Ich werde oft gefragt, ob ich auch eine*n Mörder*in vertreten würde. Die Antwort ist klar: ja. Jede*r hat das Recht auf ein gerechtes Urteil. Auch wenn Menschen sich strafbar gemacht haben, haben sie das Recht, bestmöglich verteidigt zu werden. Im Rechtswesen gibt es selten Schwarz oder Weiß. Auch ein*e Mörder*in kann in bestimmten Anklagepunkten Recht bekommen, wenn die Behauptungen der Staatsanwaltschaft falsch sind.

Welche drei Fähigkeiten oder Eigenschaften sollte man als Anwältin mitbringen?

Man muss Menschen einschätzen und überzeugen können. Das lernst du aber nicht im Studium. Du kannst dir abschauen, was bei anderen Anwält*innen funktioniert. Oder man nähert sich dem wissenschaftlich. Aber es kommt darauf an, ein Gespür für die Menschen zu haben, die einem gegenüber sitzen. Ein und dieselbe Tatsache kann auf verschiedene Weise dargelegt werden. Als Beispiel: Ich kann sagen, dass der Patient eine 90-prozentige Wahrscheinlichkeit zum Überleben hat oder eine zehnprozentige Sterbewahrscheinlichkeit. Und je nach Situation, nach Fall, muss ich wissen, wie rum ich’s drehe. Dazu zählt auch, ein Framing zu schaffen, das Sympathien weckt. An der Stelle kann auch die Kleidung, die man trägt, entscheidend sein. Gleichheit schafft Sympathie.

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