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Frauen, wollt ihr des Feminismus wegen Chefinnen werden?

Die Frau, der Boss? Derzeit gibt es in Deutschland noch immer viel mehr Chefs als Chefinnen.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Frauen,

die Arbeitswelt wird von uns Männern dominiert. Zumindest, wenn man nach ganz „oben“, auf die gutbezahlten Posten guckt: Nur jeder elfte Vorstandsposten bei den 160 wichtigsten börsennotierten Firmen in Deutschland wird von einer Frau besetzt. Laut einer Studie von Anfang des Jahres sitzen 64 Managerinnen 633 Managern gegenüber. Und das trotz der seit 2016 gesetzlich festgelegten Frauenquote. Und dann auch noch das: Die erste Chefin eines DAX-Konzerns, Jennifer Morgan bei SAP, behielt diesen Posten gerade mal sechs Monate lang. Und ich frage mich: Machen diese Zahlen etwas mit euch?

Entmutigen sie euch? Oder steigern solche Statistiken vielmehr eure beruflichen Ambitionen? Fühlt ihr euch von der offensichtlichen Geschlechterungerechtigkeit in der Berufswelt motiviert? Wenn sich zum Beispiel bei euch im Büro nur Männer auf eine Führungsposition bewerben – bewerbt ihr euch dann auch, selbst, wenn ihr daran vorher gar nicht gedacht hattet, nur, um ein Zeichen zu setzen? Entwickelt ihr da eine „Jetzt-Erst-Recht-Haltung?“

Wie sehr wollt ihr selbst in Führungsetagen, um für die Gleichberechtigung zu kämpfen?

Natürlich ist es nicht allein eure Aufgabe, dieses Ungleichgewicht zu beenden. Geschlechtergerechtigkeit geht alle etwas an, vor allem in den Strukturen muss sich was ändern. Und das haben ja immer noch oft Männer in der Hand, denn sie sitzen eben meistens in den Positionen, die am Ende bestimmen, wer eine Beförderung bekommt – und wer nicht. Aber wie aktiv werdet ihr bei all dem selbst? Wie feministisch seid ihr im Büro?

Wenn ein Kollege in der Konferenz einen Chauvi-Spruch klopft, wenn ihr bei einer Gehaltsverhandlung abgespeist werdet oder wenn immer nur die Männer die wichtigen Projekte kriegen – hat das vielleicht zur Folge, dass ihr selbst in die Position der Entscheidenden kommen wollt? Wie sehr wollt ihr selbst in Führungsetagen, um für die Gleichberechtigung zu kämpfen?

Wir sind gespannt.

Eure Männer

Die Antwort:

Liebe Männer,

diesen Text schreibt eine Frau, die keine Chefin ist. Ich habe lange nicht überlegt, ob ich mal eine werden möchte, zumindest nicht bewusst. Doch nach vielen meiner Praktika in verschiedenen Redaktionen dachte ich Sätze wie: „Wenn ich irgendwann mal was zu sagen habe, gehe ich mit den Praktikant*innen anders um.“ Freundlicher, sensibler, mehr auf Augenhöhe. Hatte ich mit tollen Frauen zu tun, habe ich zu ihnen aufgeschaut – das tue ich heute als Redakteurin noch genauso. Chefinnen sind für wahnsinnig viele Frauen große Vorbilder. Die kurze Antwort könnte also sein: Ja! Wir wollen Chefinnen werden! Dann wird alles besser! So leicht ist es aber leider nicht. 

Die Zahlen habt ihr ja genannt. Es ist deprimierend. Auch Angela Merkel wirkte bei einer Fragestunde im Bundestag ziemlich unzufrieden, als sie nach einer Frauenquote für die Spitzen von börsennotierten Unternehmen gefragt wurde: „Das ist ein Zustand, den kann man nicht vernünftig finden“, sagte sie dazu, dass diese Konzerne auch 2020 von Männern dominiert werden. Übrigens: Wenn man nach Women of Color in Führungspositionen sucht, wird es erst richtig bitter. Denn es sind ja nicht nur (weiße) Frauen, die in den Führungsetagen unterrepräsentiert sind. Menschen mit Migrationshintergrund und queere Menschen sind es auch.

Natürlich lässt sich eure Frage nicht pauschal beantworten. Jede Frau hat andere Lebensumstände und Prioritäten. Keine von uns sollte Chefin werden, wenn ihre Stärken vielleicht ganz woanders liegen. Und es wäre naiv, zu denken, dass mehr weibliche Führungskräfte allein das System automatisch verändern würden. Es wurde über viele Jahrzehnte geprägt von weißen Männern. Sie haben die Standards gesetzt, die heute gelten: Chef*in sein mit Kindern ist schwierig, wenn man Teilzeit arbeiten möchte. Führungskräfte beantworten auch um 22 Uhr noch Mails. Ach, und Minirock im Büro: gilt als unfassbar unprofessionell.

Es kostet sehr viel Kraft, die Spielregeln zu ändern

Neulich hat im journalistischen Branchenblatt kress ein Coach einen Gastbeitrag veröffentlicht. Der Titel ist: „Zwischen Chefsein und Familienwunsch: Wie weibliche Medienprofis ihren Weg finden“. Allein der Titel ist vielsagend, denn bei welchem Mann hat der Kinderwunsch automatisch etwas mit seiner Karriere zu tun? Bei eher wenigen, würde ich behaupten. Der Artikel wurde in den sozialen Medien von vielen Frauen scharf kritisiert – zu Recht. Der Autor wirft darin nämlich Fragen auf, die sich ihm nur stellen, weil die Arbeitswelt männlich geprägt ist. Ein Beispiel: Was sollten Frauen im Büro tragen, um nicht „zu weiblich“ zu wirken? „Zu weiblich“ – das bedeutet in diesem Kontext schlicht „nicht kompetent“. Er fragt sich außerdem: Wie wirkt sie freundlich, ohne gleichzeitig zu „flirten“?

Viele Frauen, die keine Chefin werden möchten, haben auch deswegen keine Lust darauf: Sie wollen sich in diese Strukturen nicht einfügen. Sie wissen, dass sie härter arbeiten müssen als Männer, nicht nur, um Chefin zu werden, sondern oft auch, um ihren Posten dann auf Dauer zu legitimieren. Sie wissen, dass es Kraft kosten wird, die Spielregeln zu ändern. Frauen, die diese Kraft investieren, verdienen riesigen Respekt.

Ob wir uns als Feministinnen verpflichtet fühlen, uns auf Führungspositionen zu bewerben? Ich kenne eine Frau, die einen sehr guten Job macht, aber auch weiß, dass sie keine Chefin sein möchte. Und dennoch mal einen Punkt in ihrem Leben hatte, an dem sie überlegte: Sollte ich mich jetzt auf diese Führungsposition bewerben, weil ich eine Frau bin? Bin ich das dem Feminismus schuldig? Stehle ich mich aus einer Verantwortung, wenn ich das nicht mache – und die Stelle womöglich ein Mann bekommt? Sie hat sich am Ende nicht beworben. Denn natürlich kann man andere Frauen auch empowern, wenn man nicht ihre Vorgesetzte ist. Die Frau, von der ich hier spreche, tut das übrigens auch. Sie ist eines meiner weiblichen Vorbilder – ganz ohne Chefin zu sein. 

In der Vorbereitung auf diesen Text habe ich auch mit Freundinnen gesprochen, die die Repräsentation von Frauen in ihrer eigenen Branche in den vergangenen Jahren zum Nachdenken gebracht hat. Die feststellen, dass ihre Chefs alle männlich sind – und auch deswegen jetzt andere Karriereziele haben. Eine von ihnen meinte deutlich: „Ich will in eine Führungsposition, um andere Frauen zu unterstützen.“ Andere sagen, dass sie als Chefinnen vor allem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Karriere fördern würden. Und eine Freundin erzählte: „Chefin werden will ich nicht, aber ich versuche, von unten was zu ändern.“ Als freie Journalistin tauscht sie sich mit Kolleg*innen ganz offensiv über Honorare aus – um dann auch ansprechen zu können, wenn diese nicht fair sind.

Mehr Frauen in Führungspositionen machen die Arbeitswelt alleine noch nicht besser

Natürlich gibt es auch Männer, die Frauen fördern. Und mehr Frauen in Führungspositionen alleine machen die Arbeitswelt nicht besser, vor allem nicht, wenn auf diesen Positionen dann nur weiße Akademikerinnen landen. Tatsache ist aber: Wenn wir jungen Frauen davor zurückschrecken, uns zu bewerben, weil wir von vornherein denken, dass das eh nichts bringe, ändert sich das System natürlich nie. Vielleicht sollten wir insgesamt wegkommen von der Idee, dass jemand irgendwann Chef*in wird und das dann sehr lange bleibt.

Eine Kollegin erzählte mir, dass es Firmen gibt, in denen Positionen rotieren. In denen alle, die möchten, mal Chef*in sind und mal normale Angestellte. Ich finde diese Idee ziemlich charmant. So können festgefahrene Machtstrukturen aufgebrochen werden. Wenn ein solches System nicht durchführbar oder schlicht noch zu utopisch für ein Unternehmen ist, dann sollten unsere Leitungsebenen insgesamt viel diverser werden.

Ich will, dass in den Führungsetagen mehr Frauen sitzen, ja. Aber mehr weiße Akademikerinnen reichen nicht. Da sollen genauso non-binäre Menschen sitzen und People of Color, trans Männer und Personen ohne Akademiker*innen-Hintergrund, Menschen mit einer Behinderung und Männer, die geschlechtersensible Sprache nicht als „feministischen Unsinn“ abtun, sondern ernst nehmen. Ich will, dass da alle möglichen Menschen sitzen, nur eine Gruppe von Menschen nicht: diejenige, die findet, dass gerade alles schon ganz geil ist, so, wie es ist. Dass sich eigentlich nichts ändern sollte. Denn das stimmt definitiv nicht.

Also, liebe Männer: Lasst uns das mal angehen! Am liebsten natürlich zusammen.

Eure Frauen

20 aus 2020: Alle 20 sz.de-Lieblingstexte aus dem Jahr 2020 findest du hier: https://www.sueddeutsche.de/thema/20_aus_2020

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