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Wie es ist, die Quotenfrau zu sein

Illustration: FDE

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Ich bin jetzt im zweiten Lehrjahr meiner Ausbildung zur Verfahrensmechanikerin. Dass mein Beruf kein typischer „Frauenberuf“ ist, wurde mir ziemlich schnell klar. In meinem Betrieb bin ich die einzige Frau unter den Auszubildenden, eine von wenigen generell in der Fertigung. Diesen „Männerberuf“ habe ich bewusst gewählt: Ich habe zwölf Jahre meines Lebens eine christliche Mädchenschule besucht. Sexistische Stereotype wie zum Beispiel, dass alle Mädchen schlecht in Mathe seien, gab es bei uns nicht, weil viele meiner Klassenkameradinnen gut oder sogar sehr gut in Mathe waren. Wenn wir uns für sogenannte MINT-Fächer, also Mathe, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, interessierten, wurden wir ermutigt, diese Richtung weiter zu verfolgen: „Da bekommst Du auf jeden Fall einen Job. Da werden immer Frauen gesucht.“ Uns wurde beigebracht, wie wichtig es sei, „den Männern“ zu zeigen, dass wir das alles mindestens genauso gut könnten wie sie.

Ich bin naturwissenschaftlich und handwerklich interessiert, fand Astrophysik in der 12. Klasse spannend und bezeichnete mich damals auch schon als Feministin. Warum also nicht den alten weißen Männern mal zeigen, wie der Hase läuft und ein paar Rollenbilder aufbrechen?! So kam ich, vor zwei Jahren, in meine Ausbildung. Ziemlich naiv, würde ich rückblickend sagen.

Die Frauenquote ist nur ein Anfang in Richtung Gleichberechtigung

Die CDU diskutiert 2020 über eine innerparteiliche Frauenquote und viele finden das immer noch schrecklich und schwierig. Vor allem junge Männer fühlen sich durch die gezielte Förderung von Frauen benachteiligt. Und auch als betroffene Frau kann ich bestätigen, dass es sich schnell abwertend anfühlt, „nur“ die Quotenfrau zu sein. Das liegt aber nicht an der Quote selbst. Sie ist nur ein Anfang in Richtung Gleichberechtigung, mit ihr alleine erreicht man noch lange keine Gleichbehandlung. Ein positives Arbeitsumfeld und eine gute Atmosphäre sind dabei genauso wichtig – das musste auch ich die vergangenen zwei Jahre erst lernen.

Ich dachte, es würde reichen, „auch als Frau“ einen guten Job zu machen. Schon in den ersten Wochen wurde mir klar, dass es nicht so ist. Für meine männlichen Kollegen war es kein Problem, Anschluss zu finden. Bei Gesprächen über Autos, Fußball und „Weiber“ wurden sie zu Brüdern. Ich saß daneben und kam mir fehl am Platz vor. Für Autos und Fußball hatte ich mich nie wirklich interessiert. Wenn ich das abwertende Gerede über Frauen ansprach, wurde mir entweder versichert, dass ich damit natürlich nicht gemeint sei oder ich war halt die „verklemmte, prüde Feministin“, so wurde zumindest mehrfach über mich gesprochen.

Und noch eine neue Erfahrung kam für mich dazu: Die „Frauenkarte“: Während meiner Schulzeit wurde mir nie vermittelt, dass ich Sachen aufgrund meines Geschlechts nicht könne. Jetzt darf ich plötzlich nichts mehr heben und meine Kollegen sind erstaunt, dass ich Flugzeuge interessant finde und mir Steuerungstechnik Spaß macht. 

Ja, mein Beruf macht mir Spaß. Nur das Drumherum nicht. Im dritten Monat meiner Ausbildung wurde ich von einer Angestellten der Personalabteilung gefragt, ob ich mich gut eingelebt hätte. Als ich das bejahte, sagte sie, dass sie sich für mich freue, da ich ja doch irgendwie „die Quotenfrau“ in der Ausbildung sei. Danach fragte ich mich, was an mir im Bewerbungsverfahren überzeugender war: Meine Persönlichkeit? Mein Lebenslauf? Oder vielleicht doch nur mein Geschlecht?

Männer bilden untereinander Netzwerke, in die Frauen gar nicht erst reinkommen

Dabei bin ich definitiv pro Quote, denn Auswahlverfahren sind bisher meist subjektiv: Männer fördern bevorzugt andere Männer und bilden untereinander Netzwerke, in die Frauen gar nicht erst reinkommen. Eine Frauenquote gibt Frauen die Chance, fair beurteilt zu werden. Sie ist kein Freifahrtschein! Natürlich kann ein Betrieb sich auch Quoten für andere Faktoren der betrieblichen Diversität setzen, zum Beispiel in den Punkten ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, Religion oder Behinderungen. Diversität in Unternehmen kann die Leistungsfähigkeit und die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen spürbar verbessern. 

Und es ist wichtig, Stereotype und Rollenbilder aufzubrechen. In Unternehmen oder Institutionen, die sich nicht verändern wollen, brauchen wir definitiv Quoten. Wir Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung aus, im Bundestag sind Frauen aber nur zu einem Drittel vertreten. Wie soll jemand für uns Politik machen, der sich nicht mit unseren Interessen und Erfahrungen identifizieren kann? Durch eine gezielte Förderung von Frauen kann dieses Ungleichgewicht ausgeglichen werden. 

Sexistische, rassistische und diskriminierende Sprüche und Witze waren an der Tagesordnung

Gleichzeitig muss ich aber auch sagen: Es ist wahnsinnig anstrengend, sich als Quotenfrau jeden Tag in einem männlichen Arbeitsumfeld herumzuschlagen. Ich kann hier nur für mich sprechen, aber mir ist aufgefallen, dass die Stimmung in meinem Betrieb in meiner Anwesenheit immer ein wenig angespannt war. Sexistische, rassistische und diskriminierende Sprüche und Witze waren an der Tagesordnung. Er müsse jetzt zu der „der fetten Sau“, sagte ein Kollege über die Mitarbeiterin der Personalabteilung. Ein Kollege nannte mich eine „Scheiß Veganer-Fotze“. Ich könnte noch so viele weitere Beispiele nennen.

Wenn ich mich darüber beschwerte, war ich das Problem. Als ich meinem Ausbildungsleiter von den psychischen Belastungen erzählte, sagte er mir, dass ich auf andere „arrogant“ wirke und etwas an meiner Einstellung ändern oder kündigen solle. Ist es meine Aufgabe, mich für eine Gleichstellungsbeauftragte im Betrieb einzusetzen? Meinem männlichen Ausbildungsleiter zu erklären, dass ich nicht mehr in einer Abteilung arbeiten kann, die sexistische Witze macht? Mit den männlichen Jugend- und Auszubildenden-Vertretungen und Betriebsräten über all das zu reden, nur um zu hören, dass bei Veränderungen der männliche Geschäftsführer zustimmen müsste, was sie als unwahrscheinlich erachteten? 

Ich wünsche mir nicht nur eine Quote, ich wünsche mir Unterstützung. Andere Menschen, die mit mir kämpfen, die meine Meinungen teilen und mit mir zusammen mit dem Kopf gegen die Wand beim Geschäftsführer rennen. Alleine ist dieser Kampf auf Dauer zermürbend. Sich tagtäglich mit Sexismus und Unverständnis herumschlangen zu müssen, schlägt auf die Psyche. Wenn man sich jedes Mal aufs Neue beweisen muss, und das Gefühl hat, nur geduldet zu werden, wenn man die Beste ist.

Ich möchte andere Frauen nicht davon abhalten, in Betriebe mit einem hohen Männeranteil zu gehen. Aber ich mache keiner einen Vorwurf, die einen einfacheren Weg wählt. Ja, ich finde meinen Beruf interessant, aber ich interessiere mich zum Beispiel auch für die Themen Ernährung und Gesundheit. Und ich weiß, dass ich in dieser Branche niemals dieselben Schwierigkeiten haben werde, die ich jetzt habe. 

Wir brauchen Ansprechpartnerinnen und Netzwerke, wir brauchen Verbündete

Für mich ist im Januar mein Ausflug (oder Kampf?) als Quotenfrau vorerst zu Ende, dann schließe ich meine Ausbildung ab und werde das Unternehmen verlassen. Ob ich überhaupt irgendwas in den Köpfen meiner Kollegen ändern konnte? Ich weiß es nicht. Das mag jetzt egoistisch klingen, aber meine psychische Gesundheit hat Priorität. Vielleicht sind meine Nachfolgerinnen erfolgreicher als ich. Mein Wunsch wäre, dass keine Frau mehr dasselbe wie ich durchmachen muss. 

Eine Frauenquote ermöglicht Frauen eine faire Beurteilung bei der Bewerbung, darüber hinaus muss aber noch viel mehr geschehen, um auch ein positives Arbeitsumfeld für diese Frauen zu schaffen. Wir brauchen Ansprechpartnerinnen und Netzwerke, wir brauchen Verbündete. Von der Politik wünsche ich mir die gesetzliche Verpflichtung für Gleichstellungsbeauftragte in allen Betrieben mit einem deutlich geringeren Frauen- oder Männeranteil. Nur dann kann auch eine Quote funktionieren.

*Da die Autorin ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen hat, möchte sie unerkannt bleiben. Ihr Name ist der Redaktion aber bekannt. 

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