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1428 Euro brutto pro Auftrag für die Traurednerin

Foto: Sascha Erdmann

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Die Frage, die auf Partys immer gestellt wird

„Wie wird man denn Traurednerin?“ Darauf gibt es aber keine allgemeingültige Antwort, weil es keine staatlich anerkannte Ausbildung gibt. Ich mache den Job seit 2015. Ich bin Theaterpädagogin, komme also aus dem Bereich Darstellung, Sprache und Inszenierung, habe aber auch eine Ausbildung für Beratung, Coaching und Paartherapie gemacht, um Menschen in herausfordernden Lebenssituationen zu begleiten. Durch Zufall habe ich entdeckt, dass es so etwas wie freie Trauungen gibt und dachte: „Ich glaube, ich kann das.“ Das Präsentieren der Rede am Hochzeitstag ist natürlich wichtig, aber man muss auch gut in Gesprächsführung sein, braucht Einfühlungsvermögen, muss die richtigen Fragen stellen und natürlich schreiben können. Und ein bisschen Organisationstalent und Kreativität sollte man auch mitbringen. 

Um mich fachlich abzusichern, habe ich an der „Akademie für Trauredner“ Grundlagen gelernt. Ansonsten macht einem die Hochzeitsbranche den Einstieg sehr leicht: Ich habe einfach eine Facebook-Seite erstellt und konnte gar nicht so schnell gucken, wie die Anfragen reinkamen. Facebook und Instagram sind immer noch die Hauptplattformen, über die ich angefragt werde, ansonsten ist es auch ganz viel Mundpropaganda – auf jeder Hochzeit mit 100 Gästen hat man ja direkt wieder 100 Multiplikatoren.

Die Kundschaft

Die Paare, die ich begleite, sind ganz verschieden, alt, jung, heterosexuell, homosexuell. Meistens ist die Klientel aber zwischen Mitte 20 und Mitte 30, weniger kirchlich und traditionell orientiert und eher nicht aus dem ländlichen Raum.

Ich treffe die Paare zu einem Kennenlern-Gespräch in meinem Büro, wir besprechen, wie sie sich ihre Trauung vorstellen, und ich stelle ganz viele neugierige Fragen, damit wir nicht beim Smalltalk hängenbleiben. Die Beiden sollen ja auch ein Gespür dafür bekommen, wie es ist, sich mit mir über sich zu unterhalten. Wenn es sich beide Seiten vorstellen können, schließen wir einen Vertrag. Anschließend bleiben wir in Kontakt und treffen uns ungefähr drei Monate vor dem Hochzeitstag ein zweites Mal für ein längeres Gespräch.

Die richtigen Fragen 

Beim Standesamt fragen sie für ihre Rede Eckdaten ab: An welchem Datum und wo habt ihr euch kennengelernt, an welchem Tag hat der Antrag stattgefunden? Mir ist es allerdings völlig schnuppe, ob der erste Kuss am 13. oder 17. Dezember war, ich will wissen, wie er war: Was haben die Beiden dabei gespürt und gedacht, wie ging es an dem Tag für sie weiter, was hat sie aneinander fasziniert und angezogen?

Im Gespräch muss ich immer gut hinhören, wo es vielleicht auch mal Schwierigkeiten gab. Nicht jedes Paar redet gerne darüber, aber unabhängig davon, ob es in der Rede Platz findet oder nicht, ist es wichtig, sich darüber auszutauschen. Viele Paare sagen mir hinterher: „Krass, darüber haben wir uns vorher noch nie unterhalten.“ Das ist unglaublich wertvoll. 

Die Gespräche dauern drei bis vier Stunden und sind intensive Paarzeit, die in den regulären Hochzeitsvorbereitungen zwischen Kleidern, Schmuck, Deko, Ringen, Farbkonzept und Sitzordnung oft total untergeht. Manchmal rückt aus dem Fokus, warum sie das Ganze eigentlich machen. Viele freuen sich darum sehr auf unser Gespräch, weil sie nach einem halben Jahr endlich mal wieder Zeit haben, sich mit sich selbst zu beschäftigen.

Die kniffligen Fälle

In den Gesprächen erzählen die Paare mir manchmal von Umständen, die wichtig für die Beziehung sind, aber nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen. Ich habe dieses Jahr zum Beispiel ein Paar mit arabischen Wurzeln verheiratet, das sich über Tinder kennengelernt hat und die Eltern durften das auf keinen Fall erfahren. Also musste ich die Details weglassen und die Kennenlerngeschichte der beiden in der Rede einfach ignorieren. 

Ein Bräutigam hat mal zwei Monate auf der Intensivstation gelegen und das Paar hat das aus verschiedenen Gründen vor der Familie verheimlicht. Diese Zeit hat ihre Beziehung natürlich unglaublich geprägt und wenn einer um das Leben des anderen gebangt hat, ist das eigentlich nicht aus einer Hochzeitsrede wegzudenken. Es war für mich eine Herausforderung, Worte zu finden, durch die das Brautpaar weiß, was gemeint ist, aber weder Eltern noch Gäste es direkt verstehen.

Die Rede

Eine freie Trauung dauert in der Regel 50 Minuten, ich betreue sie von der Begrüßung bis zur Verabschiedung und stelle natürlich auch die Frage nach dem „Willst du?“ Die Rede dauert meistens 20 bis 25 Minuten. Während der Vorgespräche mit dem Paar schreibe ich mit und mache mir Markierungen, wenn ich schon einen schönen Fokus oder Gedanken entdecke. Vorm Schreiben lese ich mir die Aufzeichnungen durch und schaue, was der Kern dieser Beziehung und dieser Liebesgeschichte ist. Oft wählen Paare einen Trauspruch, der zum Beispiel auf der Einladungskarte steht. Mir ist es wichtig, den einzubinden, und die Worte, die sie sich selbst ausgesucht haben, mit Inhalt zu füllen. Um eine Rede zu schreiben, brauche ich etwa 15 bis 20 Stunden. Anschließend lese ich sie mir laut vor. Oft probe ich sie auch noch mal am Hochzeitstag, wenn ich vor Ort bin.

Die Reaktionen

Die Paare reagieren durchweg positiv. Oft sagen sie: „Es war noch schöner, als wir es uns vorgestellt haben“, was natürlich ein super Kompliment ist. Bei den Gästen fließen oft Tränen, aber mir ist es wichtig, dass auch gelacht, geklatscht und reingerufen werden darf. Und besonders freut es mich, wenn ich die Kritiker überzeugen kann: Wenn der Opa eigentlich nicht kommen wollte, weil er nichts von einer freien Trauung hält – und dann bedankt er sich nachher bei mir und sagt: „Ich war mir ja nicht so sicher, aber das war wirklich schön.“

Das Privatleben

Von Oktober bis April ist es recht ruhig, da finden hauptsächlich die Vorgespräche statt. Danach geht es ans Schreiben, was am meisten Zeit kostet. Aber weil ich es machen kann, wann und wo ich will, ist es sehr gut mit meinem Privatleben vereinbar – ich schreibe einfach, wenn mein Sohn schläft oder in der Schule ist. Im Sommer muss ich natürlich oft samstags arbeiten, wenn die Trauungen stattfinden. Ich verbringe meistens noch den Vormittag mit meiner Familie und fahre mittags los. Ich lebe in Hanau bei Frankfurt und die meisten meiner Trauungen finden in einem Umkreis von 100 Kilometern statt. Ich war aber auch schon in München, Hamburg, Berlin und Lissabon.

Der Glaube

Dass ich freie Trauungen anbiete, hat nichts damit zu tun, dass ich Religiosität ablehne. Ich bin Christin und wenn ein Paar es sich wünscht, spreche ich bei der Trauung gerne einen Segen oder wir beten gemeinsam. Ich finde es allerdings schwierig, wenn man mit Gott nichts am Hut hat und dann in der Kirche heiratet. Da wäre eine freie Trauung die besser Wahl.

Das Geld

Ich berechne pro Hochzeit 1428 Euro, darin sind 19 Prozent Mehrwertsteuer enthalten. Davon gehen natürlich alle Kosten ab, die man in der Selbstständigkeit hat: Krankenversicherung, Sozialversicherung, Rentenvorsorge, Büro, Auto, Laptop und so weiter. Für eine Hochzeit fallen ungefähr 30 bis 35 Arbeitsstunden an, vom ersten E-Mail-Kontakt über Telefonate, die persönlichen Gespräche und die Schreibarbeiten bis hin zur Anfahrt und dem Auf- und Abbau. Dieses Jahr mache ich 20 Hochzeiten und arbeite nebenher weiterhin als Beraterin und Coach. Wenn du nur von Hochzeiten leben willst, musst du 35, 40 Hochzeiten im Jahr betreuen und das ist eine sehr große Zahl. Vergangenes Jahr habe ich das gemacht und das war echt ein emotionaler Overload. 

Die Konkurrenz

Ich spreche nicht gerne von Konkurrenz, sondern lieber von Kollegen – weil ich der festen Überzeugung bin, dass jedes Paar den Redner oder die Rednerin finden muss, der oder die zu ihnen passt. Der Markt wächst gerade sehr stark und manche Kollegen machen sich Sorgen, dass zu viele Leute sagen: „Ich mache das jetzt auch mal!“ Ich glaube aber, dass sich Qualität durchsetzen wird. Manche Redner nehmen nur fünfhundert Euro für eine Trauung, aber die investieren definitiv weniger Zeit. Wenn ich eine Schema-F-Rede habe und da nur die Namen und drei, vier Daten anpasse, geht das natürlich. Aber wenn man es ernst meint, ist das nichts, was man aus dem Ärmel schüttelt, sondern ein umfangreicher Job mit sehr viel Verantwortung. Die, die irgendwas hinschludern oder unzuverlässig sind, werden schneller wieder gehen, als sie gekommen sind.

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