Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

2600 Euro brutto für die Saisonarbeiterin beim Après-Ski

Katha arbeitet jede Saison woanders, ihre Schichten gehen oft bis drei Uhr nachts.
Foto: Privat

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Was der Beruf Saisonarbeiterin bedeutet

Als Saisonarbeiter:in arbeitet man zeitlich begrenzt und meistens in unterschiedlichen Betrieben. Vor allem im Tourismus ist diese Art der Arbeit sehr verbreitet, aber zum Beispiel auch in der Landwirtschaft. Die Stellen gibt es auf der ganzen Welt, in der Gastronomie sind im Sommer Orte wie Ibiza, Mallorca oder der Goldstrand in Bulgarien sehr beliebt. Im Winter gehen viele von uns in Skigebiete, weil wir dort viel mehr Geld verdienen können. 

Wie ich Saisonarbeiterin geworden bin

Meine erste Stelle habe ich kurz nach meinem 18. Geburtstag über ein Online-Gesuch gefunden. Nur wenige Tage nach meiner Bewerbung stand ich bereits hinter dem Tresen. Ich hatte allerdings noch nie zuvor in meinem Leben gearbeitet und war am Anfang ziemlich überfordert. Im Team hat darauf niemand Rücksicht genommen. Im Gegenteil, vor allem die Neulinge müssen sich in jeder Schicht beweisen und die Kollegen von ihrer Belastbarkeit überzeugen. Einmal habe ich fünf Minuten zu spät mit meiner Schicht begonnen. Da wurde ich als Bestrafung in den Keller geschickt und musste neun Stunden lang eimerweise Birnen für einen Obstbrand schneiden. Meine Naivität habe ich nach diesem Tag schnell abgelegt. Doch als die erste Saison zu Ende ging, wollte ich nicht mehr aufhören. Erst verlängerte ich um ein paar Monate, dann um ein Jahr. Mit der Zeit wurde die Saisonarbeit zu meinem Hauptberuf, zusätzlich habe ich eine Berufsausbildung zur Touristikassistentin gemacht. 

Wie mein Arbeitsalltag beim Après-Ski aussieht

Im Moment arbeite ich in einem Après-Ski-Club in Ischgl. Ich habe dort keine feste Position, sondern springe jeden Tag an die Stelle der Kollegen, die gerade Ruhetag haben. Wir arbeiten in einem Schichtmodell: Mal beginnt man mittags, mal am späten Nachmittag. Wenn die ersten Besucher ihren Skitag beenden, geht es bei uns so richtig los. Eine Pause habe ich, sobald die Gäste für das Abendessen in ihre Unterkünfte gehen, die drei Mahlzeiten pro Tag sind für mich kostenlos. Wenn alle Gäste mit dem Abendessen fertig sind, startet langsam die zweite Party-Phase. Wir arbeiten meistens bis drei Uhr in der Früh. Nachdem ich rund zwölf Stunden nur auf den Beinen war, habe ich oft starke Rückenschmerzen und freue mich sehr auf mein Bett. Es kommt aber auch nicht selten vor, dass ich nach Feierabend mit Gästen oder Kollegen weiterziehe. 

Welchen Unterschied Geld macht

Es gilt die Daumenregel: Je reicher die Gäste an einem Arbeitsort, desto strenger sind die Arbeitsbedingungen. Hinzu kommt, dass die Klientel aus der Upper-Class oftmals schwierig ist, da man ab einem gewissen Umsatz eine Sonderbehandlung erwarten darf. Zum Beispiel bekommen sie Tischfeuerwerke oder besondere Aufmerksamkeit durch den Barchef. Und selbst wenn es so voll ist, dass man sich kaum noch einen Weg durch die Menschenmassen bahnen kann, werden die „besonderen“ Gäste an den Tischen trotzdem bedient und ihre Jacken in einen anderen Raum gebracht. So bekommen sie das Gefühl, sie seien etwas Besonderes. Viele dieser Gäste verhalten sich höflich, allerdings merke ich auch häufig, wie der Blickkontakt zu mir oder anderem Personal absichtlich vermieden wird. Das war einer der Gründe, warum ich eine frühere Stelle in Ischgl aufgegeben habe. Es hat mich einerseits sehr gestört, die Gäste abhängig von ihrem Einkommen unterschiedlich behandeln zu müssen. Zum anderen fand ich es unangenehm, wie die normalen Gäste im Schauspiel der Reichen mitgespielt haben. 

Wie die Arbeit das Privatleben beeinflusst

Für meine Freundschaften ist die Saisonarbeit eine Zerreißprobe. Ich habe wenig Freizeit und melde mich daher nur selten. Häufig werfen mir Freunde vor, mir seien die Parties wichtiger als die Beziehung zu ihnen. Dabei vergessen sie, dass die Party meine Arbeit ist. Natürlich spielt da auch das klassische Phänomen Instagram vs. Reality eine Rolle. Auf den sozialen Medien sieht mein Leben jeden Tag wie Urlaub aus. Jedoch habe ich meist stundenlang gearbeitet, bevor ich etwas Lustiges poste. In den Wochen zwischen den Saisons gebe ich mir daher Mühe, die Zeit mit Freunden zu verbringen. Für eine Beziehung wäre das niemals eine Basis. Manche Kollegen von mir sind gemeinsam mit ihren Partnern in die Saisonarbeit gegangen, das scheint zu funktionieren. Langfristig möchte ich gerne mein eigenes Lokal am Meer eröffnen und dort sesshaft werden. Ich würde dann selbst Saisonkräfte einstellen, die mich unterstützen. 

Welche Fragen auf Partys gestellt werden

Eigentlich sind das immer die gleichen drei Fragen: Wie komme ich zu meinen Jobs? Wie vereinbare ich mein Privatleben mit diesem Lebensstil? Und lohnt sich das alles finanziell für mich? Für Menschen, die über Jahre hinweg den gleichen Job haben, ist meine Welt einfach unvorstellbar. Im Gespräch reflektieren sie dann meistens die Aspekte meines Alltags, mit denen sie nicht leben könnten. Doch während sie Angst davor hätten, immer wieder neu anzufangen, habe ich darin mein Zuhause gefunden. 

Welche Eigenschaften man braucht

Um im Team gut anzukommen, hilft es sehr, extrovertiert zu sein. Man muss zudem mutig auf Gäste zugehen und unter großem Zeitdruck arbeiten. Außerdem sollte man flexibel sein und nicht auf klassische Regeln der Berufswelt bestehen. Und: Überstunden sind keine Ausnahme, sondern die Regel. 

Vorstellung vs. Realität

Viele denken, ich lebe in einer Urlaubskulisse, in der jeder Tag wie ein Samstag ist. Die Gäste hören von meinem Einzelzimmer und den inkludierten Mahlzeiten und beneiden mich um mein Lotterleben. Tatsächlich habe ich in dieser Saison in Ischgl schlichtweg Glück gehabt. Normalerweise teile ich mir mit einer Kollegin das Zimmer und das Mitarbeiteressen ist furchtbar. Einen Rückzugsort habe ich nur sehr selten. Dazu kommt, dass ich mein ganzes Hab und Gut auf einen Koffer beschränken muss. Diese Schattenseiten können die Gäste vom Après-Ski-Club aus aber natürlich nicht sehen. Sie sind feierwütig und laden mich oft auf einen Shot ein. Daher trinke ich fast täglich Alkohol, auch wenn es meistens nicht viel ist. Damit das zu keinem ernsten Problem wird, passe ich sehr auf. Von Drogen lasse ich streng meine Finger, obwohl viele in der Branche welche nehmen. Wer zwölf Stunden am Stück im Sekundentakt Bestellungen abarbeitet, muss wie ein Roboter funktionieren. Unter diesem Stress haben einige meiner ehemaligen Kollegen ein Drogenproblem entwickelt. 

Wie viel man verdient

Im Moment verdiene ich 2600 Euro brutto und bin über meinen Arbeitgeber versichert. Das Trinkgeld, das ich verdiene, darf ich direkt behalten. An einem guten Tag komme ich damit zusätzlich auf hundert Euro. Rechnet man das auf eine Sechs-Tage-Woche hoch, summiert sich das ganz schön. Da ich für Kost und Logis nichts zahle, lebe ich nur von meinem Trinkgeld und fasse mein Gehalt gar nicht erst an. 

  • teilen
  • schließen