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„In einem Buch über Frauen und Musik muss es leider auch um Sexismus gehen“

Foto: Robert Haas

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Paula Irmschler, Jahrgang 1989, wuchs in Dresden auf, zog später für ihr Studium der Politikwissenschaft nach Chemnitz und lebte dort sechs Jahre lang. Inzwischen ist sie Redakteurin beim Satiremagazin „Titanic“ und schreibt unter anderem für den „Musikexpress“, sie lebt schon seit Längerem in Köln.

„Superbusen“ ist ihr Debütroman. Paula Irmschler erzählt darin mit ironisch-ehrlichem Ton die Geschichte von Gisela, einer jungen Frau, die aus Dresden kommt, zum Studieren nach Chemnitz zieht und 2018, nach einem halbjährigen Abstecher nach Berlin, eher ungern wieder dorthin zurückkehrt. Dort ergründet sie nicht nur sich selbst, sondern gründet mit Freundinnen die All-Female-Band „Superbusen“, mit der sie in Ost- und Westdeutschland auf Tour geht – und sich dabei einigen Unterschieden im geeinten Land bewusst wird. 

jetzt: Dein Buch „Superbusen“ lässt sich gar nicht so leicht einordnen. Es ist eine Art Pop-Coming-of-Age-Roman über Ostdeutschland: Es geht um eine junge Frau namens Gisela, die versucht, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden und dann in Chemnitz eine Frauenband gründet. Was war deine Intention hinter „Superbusen“?

Paula Irmschler: Ich habe gemerkt, dass ich gerade in den letzten Jahren ganz viele tolle Frauen kennengelernt habe, viele neue Freundinnenschaften entstanden sind. Darüber wollte ich gerne schreiben. Diese zwischenmenschlichen Sachen und eben auch dieses Chemnitz-Ding haben dann immer mehr Raum eingenommen. Erst sollte es gar nicht so viel um Chemnitz gehen, es sollte nur ein Startpunkt sein. Ich habe dann aber gemerkt, dass es mir ein Bedürfnis war, über Chemnitz zu schreiben.

Ursprünglich wollte ich ja eine Frauenclique-Geschichte erzählen. Man hat immer nur coole Männer-Coming-of-Age-Geschichten, immer sind es drei bis fünf Typen, die coole Sachen machen und die Frauen sind immer nur dabei. In der Realität ist das ja gar nicht so. Es gibt auch Frauencliquen, die nicht nur wie in „Sex and the City“ übers Ficken reden, sondern auch Sachen erleben.

„Man darf nicht vergessen, dass es da Menschen gibt, denen man helfen muss“ 

Du setzt oft politische Ereignisse, wie das „Wir sind mehr“-Konzert, zu dem Gisela mit Freunden geht, als Zeitmarken. Dort sagt die Protagonistin, dass die Leute, die herkommen, sich gegenseitig „auf die Schulter klopfen“, nach den Konzerten prompt wieder weg sind und nie wieder nach Chemnitz kommen. Siehst du das echt so?

Dass Leute besorgt sind, finde ich natürlich erstmal wichtig. Es gibt ja auch Grund zur Sorge. Was mich nervt, ist dieser Event-Charakter, den habe ich im Buch auch beschrieben. Es ist schade, wenn die Leute die Hände in den Schoß fallen lassen und sagen: „Ja, da ist eh nix mehr zu retten“ oder „Sachsen muss weg, dann ist alles super in Deutschland“. Diese Abgrenzung nervt mich, statt den Leuten, die dort sind oder denen, die dortbleiben – vor denen ich großen Respekt habe – zu helfen und die Strukturen zu unterstützen.

Man sollte sich das angucken und sehen, dass es dort Menschen gibt, die nicht-weiß sind, die queer sind, die links sind, die nicht wegkönnen. Die da entweder arbeiten, die nicht genug Geld haben um in einer coolen, weltoffenen Stadt zu leben. Diese Ignoranz diesen Leuten gegenüber nervt mich. Dass ganz viel auf die Nazis geguckt wird, ist unbedingt wichtig, genau wie auch auf die rechten Konservativen. Man darf aber nicht vergessen, dass es da Menschen gibt, denen man helfen muss. Man kann auch öfter mal vorbeikommen, auch zu kleineren Demos, wenn nicht die großen Bands spielen.

Einer der „großen Bands“ gehört ja auch Kraftklub-Frontmann Felix Brummer an, ein gebürtiger Chemnitzer. Letztes Jahr sorgte er mit einer Aussage vor der Sachsen-Wahl für Wirbel, in der er ankündigte, dass er bei einer Regierungsbeteiligung der AfD nach Berlin umziehen würde. Wie wichtig ist es, dass er geblieben ist?

Super wichtig! Und ich schätze ihn sehr. Auch das, was er sagt und was er schon alles auf die Beine gestellt hat, finde ich großartig. Solche Leute, die einfach dableiben sind top – ob in Chemnitz, in anderen Städten im Osten oder allgemein in strukturschwachen Städten. Es braucht diese Leute unbedingt als Anlaufpunkt, als Vernetzungspersonen.

Ich glaube, er hat es auch nicht ernst gemeint. Wenn er es aber ernst gemeint hat, dann kann ich den Gedanken auch gut verstehen. Ich bin ja auch abgehauen und denke mir jedes Mal: Toll, du bist eigentlich genauso, wie man es nicht machen sollte.

Bist du denn noch oft in Sachsen?

Ja, also in Chemnitz bin ich tatsächlich regelmäßig. In Leipzig manchmal. Es wohnen noch einige Freunde von mir da, die ich dann auch besuche.

„Die großen deutschen Festivals wollen immer noch an dieser Biersauf-Kultur festhalten“

Am Schluss deines Buches steht eine Frauenband auf einer Festivalbühne. Eine schöne Vorstellung, sind auf Festivals in Deutschland Frauen im Line-up doch oft unterrepräsentiert. Woran liegt das?

Ich glaube, es liegt an Ignoranz und am Beibehalten wollen von dem, was als Festivalkultur gilt. Meinem Eindruck nach, ich habe ja auch in Clubs gearbeitet, hören die jungen Leute schon längst viel mehr Musik von Frauen. Es hat sich schon viel verändert, aber die großen deutschen Festivals wollen immer noch an dieser Biersauf-Kultur festhalten. Die sind so festgehangen in ihrem „Toten Hosen“-Mindset, dass die das gar nicht mehr verändern wollen, weil sie sich das nur so vorstellen können. Nämlich als männlichen Raum, den sie gar nicht öffnen wollen für eine neue Welt, die es eigentlich schon gibt. Also nichts gegen Bier, aber es ist wirklich noch so eine Gröl-Kultur, die da bewahrt werden will.

Im Internet liest man fast schon absurde Kommentare zu weiblichen Popstars wie Billie Eilish, in denen es mehr um ihre Haare oder ihr Alter geht, als um ihre Musik geht. Was sagt das über die aktuelle Wahrnehmung von Frauen im Musik-Betrieb aus?

Billie Eilish ist wirklich ein krasses Beispiel. Es gab ja wirklich schon öfter junge Frauen, die bekannt waren und Popmusik gemacht haben. Aber wie sehr sich gegen diese Person gewehrt wird, ist wirklich krass. Ich denke, dass das Internet eine größere Rolle spielt: Männer stacheln sich gegenseitig auf und feuern gegen alle. Sie sind schon von Greta völlig fertig und dann kommt die nächste Frau, die in Bereiche eindringt, von denen sie dachten, die kommt da nicht rein. Man kann sie eben nicht so einfach abkanzeln, wie man damals beispielsweise Britney Spears abgekanzelt hat. Sie erdreistet sich, ihren Körper nicht so zu zeigen – und darauf kommen auch viele nicht klar. Ein junges Mädchen zeigt uns nicht ihre Hüften, ihre Brüste und ihren Po. Das geht ja gar nicht! Das können sie dann gar nicht einordnen.

„In einem Buch über Frauen und Musik muss es leider auch um Sexismus gehen“

Siehst du hier eine Weiterentwicklung im Pop?

Hier findet gerade ein Wandel statt und ich finde es schön zu beobachten, wie gut das den Mädchen und Frauen tut, dass es diese Person gibt. Viele Männer werden herummeckern, die haben immer herumgemeckert. Aber vielleicht blickt man eher mal drauf, was das bei den Frauen oder bei den Nicht-Männern nach sich zieht.

Würdest du sagen, dass dein Roman irgendwo auch eine Kritik am männerdominierten Musikbetrieb ist? Im Buch erzählen Musikerinnen beispielsweise, dass sie bei Konzerten immer wieder verbal sexualisiert würden.

Es war nicht beabsichtigt, das extra als politisches Statement reinzumogeln. In einem Buch über Frauen und Musik muss es leider auch um Sexismus gehen. Sie werden bevormundet, anders bewertet, müssen sich stärker beweisen, werden sexualisiert und so weiter. Ich kenne keine weiblichen Künstlerinnen, die nicht von misogynen Erlebnissen in den Szenen berichten können.

Muss man als Frau im Kunstbetrieb also immer damit rechnen, von irgendwem einen dummen Spruch gedrückt zu bekommen?

Ja. Genauso wie es ja an den anderen Stellen beim Feiern oder beim Arbeiten passiert. Ich kann mir Frausein leider nicht ohne Nervereien von Männern denken.

Der Roman „Superbusen“ von Paula Irmschler erschien am 28. Februar bei Claassen.

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